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Filmstill "I Will Break Your Face"

Michael Neulinger

„I Will Break Your Face“: Tabuthema Partnergewalt in queeren Beziehungen

Gewalt in Beziehungen ist eine traurige gesellschaftliche Realität. Gleichgeschlechtliche Beziehungen bilden da keine Ausnahme. Das Thema wird aber in der öffentlichen Wahrnehmung bisher kaum besprochen – und auch politische Entscheidungsträger*innen scheinen es wenig bis gar nicht auf dem Schirm zu haben.

Von Philipp Emberger

Premiere „I Will Break Your Face“ & Lesung aus „Heimat bist du toter Töchter“: 30. Juni 2023, 18:00 Uhr, Schikaneder Kino in Wien. Im Anschluss findet eine Diskussion zum Thema Partnergewalt statt.

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„I Will Break Your Face.“ Den brutalen Satz aus einer Ex-Beziehung hat Michael Neulinger zu Kunst gemacht. Er ist Regisseur und hat in seinem gleichnamigen Kurzfilm den eigenen Weg raus aus einer Gewaltbeziehung verarbeitet. In seinem Tanzfilm sind zwei Räume zu sehen, ein Kellerraum und ein großer, prunkvoller Festsaal. Der Weg vom einen in den anderen ist das Symbol für den Weg heraus. Im Film von Michael Neulinger geht es um Gewalt innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Beziehung.

In queeren Beziehungen kommt es genauso zu Gewalt wie in heterosexuellen Beziehungen. Die Art der Gewalt und wie diese eskaliert, spielt sich ähnlich ab. Den Täter*innen geht es meist um Macht und Kontrolle.

Das weiß Peter Peinhaupt. Er ist Sozialarbeiter, tätig in der Betroffenenunterstützung bei der Männerberatung in Wien: „Von Gewaltdynamiken und den Gewaltspiralen her sind die Beziehungen sehr ähnlich. Wie Gewalt ausgeübt wird, wie geschimpft wird, wie die Gewalt eskaliert. Wann Menschen geschlagen und wie sie sozial kontrolliert werden. Das ist sehr ähnlich.“ An die Männerberatung können sich Personen wenden, die sich als männlich identifizieren. Dort bekommen sie neben einem Beratungsangebot auch psychologische, soziale und juristische Hilfe.

Unsichtbar in der Gesellschaft

Ein großer Unterschied zu heterosexuellen Beziehungen ist die gesellschaftliche Situation. LGBTIQ-Rechte werden von Teilen der Politik immer noch attackiert, queere Beziehungen sind noch nicht gleichberechtigt anerkannt. Die Gefahr, dass das Thema als Nischenthema einer Randgruppe wahrgenommen wird, ist hoch. Ein Fehler, wie Peter Peinhaupt im FM4-Interview erzählt: „Prinzipiell kommt es häufig vor, weil Gewalt durch Männer in Beziehungen eben häufig ist. Das ist dann auch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen so.“

Der letzte Männerbericht aus Österreich ist 6 Jahre alt

Es ist unklar, wie viele Personen in Österreich von Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen betroffen sind. Auf Anfrage verweist das Sozialministerium im Fall von Gewalt unter homosexuellen Männern auf den sechs Jahre alten Männerbericht aus dem Jahr 2017. Ein Indiz, wie wenig das Thema öffentlich und politisch auf der Agenda ist. Im Bericht wird das Problem der Gewalt unter homosexuellen Männern als „unsichtbar“ bezeichnet. Eine quantitative Zahl dazu gibt es aus den USA. Eine Studie der University of Michigan gibt an, dass 46 Prozent der schwulen Männer bereits häusliche Gewalt erlebt haben. Der Forschungsstand ist generell sehr dürftig, gerade im deutschsprachigen Raum. Vor allem, wenn man auf der Suche nach Zahlen ist, die innerhalb der Personengruppen der LGBTIQ-Gemeinde unterscheiden.

Das Phänomen der Unsichtbarkeit betrifft nicht nur die Gesamtgesellschaft. Auch innerhalb der LGBTIQ-Community wird das Thema kaum angesprochen. Als ohnehin schon vulnerable Gruppe fällt es vielen Betroffenen schwer, sich auch noch über Gewalt in der Beziehung zu äußern und so die Community schlecht dastehen zu lassen.

Filmstill "I Will Break Your Face"

Michael Neulinger

Theo Krausz in „I Will Break Your Face“

Ein Mann als Opfer?

Jede dritte Frau ist laut Statistik Austria in Österreich von körperlicher und/oder sexueller Gewalt innerhalb oder außerhalb von Beziehungen betroffen. 2022 wurden 29 Frauen ermordet, meist von (Ex-)Partnern. Während in heterosexuellen Beziehungen das Täter/Opfer-Rollenbild meist klar verteilt ist, sieht das bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen anders aus.

Eine Frau als Täterin? Ein Mann als Opfer? Das geht sich für viele nicht aus, wie Regisseur Michael Neulinger bestätigt: „Wir werden ja trotzdem als Männer sozialisiert. Die Männlichkeitsideen von einem starken, stoischen Mann hindern Betroffene daran, sich als Opfer zu sehen.“ Die Tabuisierung des Themas sowie die herrschenden Rollenbilder machen es Betroffenen schwer, sich Hilfe zu suchen. Die Angst, dass ihre Gewalterfahrungen abgetan und ihnen von Behörden und Institutionen nicht geglaubt wird, ist groß. „Der Leidensdruck ist oft schon sehr hoch und die Situationen dementsprechend eskaliert, bevor die Personen zu uns kommen und sich Hilfe holen“, sagt Peter Peinhaupt dazu.

Filmstill "I Will Break Your Face"

Michael Neulinger

„I Will Break Your Face“

Spezialisierte Einrichtungen für Betroffene gibt es in Österreich nicht. Die Situation ist je nach Ausgangslage anders und hoch individuell. Beratungsstellen für Männer und Frauen stehen Betroffenen aber offen. Lesbische Frauen können sich etwa an Frauenberatungen und Frauenhäuser wenden. Schwule Männer finden bei der Männerberatung Hilfe. „Courage“ bietet Beratungen für LGBTIQ-Personen an.

Damit mehr zu dem Thema geforscht wird und in weiterer Folge ein Angebot für die individuellen Bedürfnisse von betroffenen queeren Personen geschafft werden kann, braucht es öffentliche Aufmerksamkeit. „Wenn man nicht darüber spricht, ist es auch kein Problem für die Öffentlichkeit. Und wenn es für die Öffentlichkeit kein Problem ist, dann gibt es auch kein Geld dafür“, sagt Michael Neulinger im FM4-Interview dazu. Um das Tabu zu brechen, zeigt er nun seinen Kurzfilm. Das wollte er ursprünglich gar nicht machen. Bis er realisiert hat, dass er so dazu beitragen kann, die Debatte zu starten. Die Probleme anzusprechen und zu benennen, ist auch für Peter Peinhaupt wichtig: „Geheimnistuerei und leise sein schützen Gewalt ausübende Personen und ihr Verhalten.“

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