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Jury beim Bachmannpreis 2023

APA/GERT EGGENBERGER

Bachmannpreis – Mittwoch bis Donnerstag

Die 47. Tage der deutschsprachigen Literatur sind angebrochen und Klagenfurt ist endlich wieder so voll mit Autor:innen, Verlags-Menschen und Kulturjournalist:innen, dass man circa alle fünf Meter über einen Deutschlandfunkredakteur stolpert.

Elias Hirschl berichtet aus Klagenfurt

Weil mir letztes Jahr der Publikumspreis zuerkannt wurde, bin ich jetzt in meiner Rolle als Klagenfurter Stadtschreiber anwesend und kann den ganzen Bewerb endlich mal ohne den Wettbewerbsdruck genießen. Dafür berichte ich an dieser Stelle einerseits aus dem ORF-Kärnten-Garten, der wieder in Ingeborg Bachmann-Park umbenannt wurde, und andererseits von Twitter, wo sich wie jedes Jahr wieder ein lieber Literatur- und Gossip-hungriger Mob zusammengefunden hat.

Mittwoch, Eröffnungstag

Der ganze Bewerb beginnt dieses Jahr gleich mit mehreren Überraschungen. Einerseits sind es plötzlich nicht mehr vierzehn Teilnehmende sondern nur noch zwölf - Robert Prosser und Helena Adler mussten kurzfristig absagen, und andererseits ist jemand anderer anwesend, von dem ich eigentlich dachte, dass er überhaupt nicht kommen wird: nämlich der Klagenfurter Bürgermeister Christian Scheider. Dem hat ja erst vor ein paar Tagen die SPÖ die Koalition aufgekündigt, nachdem es eine Hausdurchsuchung gegen den Journalisten Franz Miklautz gegeben hatte, der über üppige Gehälter im Klagenfurter Rathaus berichtete. Das ganze hat jetzt nicht direkt etwas mit dem Bachmannpreis zu tun, außer der Tatsache, dass es zu Christian Scheiders Aufgaben als (noch) Bürgermeister gehört, den Bachmannpreis zu eröffnen. Letztes Jahr hielt er nicht einmal eine Rede, sondern antwortete nur auf zwei kurze Fragen der Moderation. Dieses Jahr antwortete er nur noch auf eine einzige Frage. Ich persönlich würde mich ja freuen, wenn er diesen Trend im kommenden Jahr fortsetzt.

Andere Neuerungen bei der Eröffnung sind: Ein neuer Moderator, Peter Fässlacher, der Christian Ankowitsch ersetzt, der dieses Jahr überraschend nicht mehr als Moderator angefragt wurde. Die Jurypräsidentin Insa Wilke drückte Ankowitsch in ihrer Eröffnungsrede ihren Dank aus, auch auf Twitter wird er vermisst. Zusätzlich gibt es eine weitere Figur, nämlich das Künstliche Intelligenz-Abbild der ORF-Kärnten Direktorin Karin Bernhard. Die KI wird kurz vorgestellt und beantwortet auf klassische ChatGPT-Manier die Frage, wie die Zukunft der Literatur angesichts von KI ausschauen wird, versöhnlich damit, dass KI eine Hilfe sein kann, aber wahre Kunst nie ersetzen können wird. Ein einzelner Mensch klatscht im Garten. Auf Twitter wird eher über das holprige Einbauen des KI-Themas geschmunzelt. Ich hoffe nur, dass niemand von den Teilnehmenden einen Text über Künstliche Intelligenz mitgebracht hat, das Thema hat die Moderation jetzt schon abgefrühstückt.

Lesung beim Bachmannpreis 2023

APA/GERT EGGENBERGER

Auch in der Jury gibt es ein paar Neuerungen: Vea Kaiser und Michael Wiederstein haben den Bewerb dieses Jahr verlassen und dafür hinzugekommen sind Thomas Strässle aus der Schweiz und Mithu Sanyal aus Deutschland, deren großartigen Roman Identitti ich in Vorbereitung auf den Bachmannpreis gerade noch fertig gelesen habe. Sehr zu empfehlen!

Ansonsten das übliche Eröffnungs-Prozedere. Verschiedene Sponsoren und Politiker:innen, die eigentlich gar nichts mit Literatur zu tun haben, tun so, als hätten sie was mit Literatur zu tun. Es wird immer wieder die Frage gestellt, welches Buch man auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Der Kelag-Sponsor sagt: den Mann ohne Eigenschaften. Die BKS-Bank-Vertreterin sagt: Hauptsache nichts Belastendes.

Als die Autorin Tanja Maljartschuk einige Minuten später ihre Rede zur Literatur hält, eröffnet sie diese mit den Worten: „Jetzt kommt das Belastende“. So soll es sein. Auch Twitter freut sich. Ihre Rede versieht sie dann noch mit der Anrede „Liebe Ingeborg“. Es ist ein Text über die Gewalt der Sprache und über ihr Heimatdorf in der Ukraine, über Verbrechen im zweiten Weltkrieg und über das Scheitern an der Kunst und Literatur. Sprache ist nie unschuldig, man verwendet sie auch zum Befehle erteilen. Man kann sich vor Sprache fürchten. Twitter weint und liebt den Text. Ich auch.

Nach der Eröffnung gibt es noch einen kleinen Umtrunk auf dem ORF-Gelände. Ich kann sagen, es ist dieses Jahr wesentlich enstspannter als letztes Jahr, was hauptsächlich daran liegt, dass ich dieses Jahr nicht selber beim Bewerb mitmachen muss. Die Teilnehmenden haben sich gestern schon alle intern getroffen, sie wirken schon wie eine gut eingeschworene Gruppe. Das Teilnehmerfeld ist dieses Jahr recht homogen jung.

Donnerstag

Der erste Lesetag ist angebrochen. Um 10 Uhr Vormittags versammeln sich die Zuschauer*innen im ORF Theater und draußen im Garten vor der Livestream-Leinwand. Alle holen sich schnell noch einen Kaffee und ein Croissant in der kleinen Cafeteria, dann geht es auch schon los.

Jayrôme C. Robinet – Sonne in Scherben

Der erste Lesende ist der französisch-deutsche Autor Jayrôme C. Robinet. Ein Text über Väter, die Magie von Baustellen, Sprachbarrieren, Liebe und Tod, Leben erschaffen und Leben verlieren. Die Geschichte folgt einem Menschen bei seiner Transition von Mädchen zum Mann, aber auch von Frankreich zu Deutschland, oder wie Jayrômes Erzähler auf die entsetzte Frage antwortet, ob er demnächst einen deutschen Mann anschleppe: „Der deutsche Mann bin ich selbst geworden.“

Es macht absolut Sinn, dass dieser Text von Mithu Sanyal eingeladen wurde, die in ihren Büchern ebenfalls dauernd Fragen nach Identität und Identitätszuschreibung verhandelt. Der Text ist einerseits sehr langsam und lyrisch, hat aber auch viele lustige und vor allem richtig gute performative Stellen, etwa wenn die französischen Chansons in Kylers Ohren zu dadaistischen, deutschen Liedern werden („Himalaya, die Jury, pure Lawine!“), oder der Mozzarella zum Mozartella. Ein sprachspielerischer Text, der bis an die Grenzen des sagbaren geht, bis die Wörter in der Sprachlosigkeit zerfallen, wo es noch gar keine Wörter gibt für was man ausdrücken möchte.

Jayrôme C. Robinet.liest beim Bachmannpreis

ORF/JOHANNES PUCH

Ich ertappe mich genau wie Teile der Jury dabei, dass ich den Erzähler im Kopf immer wieder mit dem Autor gleichsetze. Mithu Sanyal erinnert schließlich in der Diskussion noch einmal an die Differenz. Das macht ja auch absolut Sinn, denn der Text ist vermutlich einige Jahrzehnte vor unserer Zeit angesiedelt und eine Schwangerschaft bei einem Trans-Mann wird noch als noch nie gehörte absolute medizinische Sensation dargestellt.

Mara Delius wirft dem Text Konventionalität vor, Strässle kritisiert, dass es einige lose Enden gibt, wohl weil der Text ein Romanauszug ist, aber ansonsten nimmt die Jury die Geschichte und vor allem die Performance überwiegend positiv auf.

Andreas Stichmann – Verwechslungen

Nach dem ersten Text ist die Aufmerksamkeit im Garten merklich etwas gesunken, es wird noch gerutscht, geredet und vereinzelt Kaffee geholt, als der zweite Leser mit seinem Text beginnt. Verwechslungen, eine Art Sanatorium oder Krankenhaus, ein Erzähler mit Nesselsucht, ein verstorbenes Kind und ein Schläger, der zum Pfleger wird. Ich sehe in meinem Kopf schon, wie die Jury gleich die Thomas-Mann-Zauberberg Vergleiche auspackt.

In der Jury-Diskussion ist hier wiederum Insa Wilke diejenige, die den Text konventionell findet, was sie vor allem deshalb erwähnt, weil er von Mara Delius eingeladen wurde, die gleiches vorhin dem ersten Lesenden vorgeworfen hat. Delius versucht den Text zu verteidigen und wirft dabei die Generalaussage in den Raum, dass dieser Text lustiger ist, als so ziemlich alles, was man in den folgenden Tagen noch zu hören kriegen wird. Mithu Sanyal sagt, sie finde spannend, wie der Text mit Auslassungen arbeite („Erzähl mir endlich mehr über deine Nesselsucht!“), aber sie finde nicht so wirklich in den Text hinein. Ich muss ihr leider ein bisschen recht geben. Tingler gefällts.

Valeria Gordeev – ER PUTZT

Valeria Gordeev liest auf Einladung von Insa Wilke, die eigentlich immer ein gutes Gespür für skurrile, ungewöhnlich erzählte Text hat. So auch heute. ER PUTZT ist für mich persönlich der beste Text des Tages. Ich bin ja generell Fan davon, wenn ein Text mit minimalistischem Setting und kleinsten erzählerischen Mitteln trotzdem einen irrsinnigen Drive entwickeln kann, und das ist Valeria Gordeev hier eindeutig gelungen. Sie erzählt von einem Mann, der putzt. Einfach nur putzt. Und das wie versessen. Ich glaube, die ersten zwei bis drei Seiten lang putzt er einfach nur ein Spülsieb. Das wird allerdings in so einer extrem präzisen Sprache beschrieben. Gordeev hat jedes einzelne Wort recherchiert, jeden Handgriff, jede Chemikalie, jede Metall-, Gummi-, und Fleck-Sorte exakt definiert. Vor allem folgt sie einer meiner Lieblingsregeln beim Schreiben: Wenig Adjektive, dafür aber mehr gut ausgewählte Verben und Nomen. Das klingt einfach, macht aber einen riesigen Unterschied beim Lesen.

Valeria Gordeev.liest beim Bachmannpreis

ORF/JOHANNES PUCH

Der Text springt dann noch zu Serien wie Emergency Room und Es war einmal... das Leben, taucht über letzteres in den Körper und in die mikroskopische Welt der Viren und Bakterien ein, wo, wie Klaus Kastberger anmerkt, die Keime ironischerweise als gut geordnete, funktionierende Gesellschaftsform dargestellt werden, und verbindet dann dieses innerkörperliche Element mit dem Putzen über das Bild eines Wattestäbchens, dass der Protagonist sich nicht ins Ohr stecken will, weil man dadurch nur noch viel mehr Keime und Sporen in den Gehörgang drückt. Der Putzzwang endet zwar nicht am eigenen Körper, aber er scheitert daran, die Ausübung der Kontrolle über die Umwelt scheitert am eigenen Innenleben. Ich fühl alles und die Jury fühlt es auch. So gut wie keine negative Kritik, wenn der Text keinen Hauptpreis gewinnt fress ich mein Spülsieb.

Anna Gien – EVE SOMMER

Eine Art fragmentiertes Traumtagebuch, manchmal datiert von 2019 bis 2021, manchmal nicht. Der Text wendet sich an ein gegenüber, ein wahrscheinlich romantisches Du, wird zwischendurch zu einem Roadtrip mit Thomas Bernhard, der seinen Tod nur vorgetäuscht hat und jetzt als Ghostwriter für andere Autoren schreibt und seltsamerweise in Augsburg begraben wurde. Ich finde die Idee spannend, einen Text nur über Träume zu erzählen und über die Träume dann quasi die eigentlich tagsüber stattfindende, aber nie direkt erwähnte echte Handlung nur anzudeuten, zu spiegeln. Der Text leidet aber, wie die Jury fast einhellig findet, unter seiner Fragmentiertheit, Zusammengewürfeltheit. Wieder eingeladen von Mara Delius, die noch einmal hervorkehrt, dass Anna Gien es mit dem letzten Startplatz des heutigen Tages schwer hat, weil die Aufmerksamkeit bei den Zuschauer*innen schon sehr leidet. Das stimmt natürlich auch.

Junior-Bachmannpreis

Wofür es vom Hauptbewerb leider auch sehr wenig Aufmerksamkeit gab, war die Junior-Bachmannpreis-Verleihung, die um 18:30 ebenfalls im Ingeborg Bachmann-Park vor dem ORF-Gebäude stattfand. Das Thema war „Schräge Vögel, bunte Hunde“ und ich durfte dieses Jahr in der Jury für die Altersgruppe 16 bis 19 sein und auch die Laudatio auf den Gewinnertext „weichlicht.“ von Yiannis Pagger schreiben. Ein Text, der wie Valeria Gordeev auch ein minimalistisches Setting nutzt um schöne Bilder aufzuwerfen. In dem Fall: Ein Truthahn mit einem Joghurtbecher auf dem Kopf, der in einer Seitengasse langsam eingeschneit wird.

Junior-Bachmannpreis-Verleihung

Elias Hirschl

Ich würde mir für nächstes Jahr wünschen, dass der Junior-Bachmannpreis in der Berichterstattung über den Hauptbewerb auch ein bisschen vorkommt, vor allem weil es ja um neue Literatur geht, aber auch weil die diesjährige Schüler-Band beim Junior-Bachmannpreis, bestehend aus Harfe und Hackbrett, um Längen besser war als die Band beim normalen Bachmannpreis (no offense).

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