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Depeche Mode im Wörtherseestadion

Patrick Münnich

It’s a Question of Love

Depeche Mode haben gestern ihr heuer einziges Österreichkonzert im Wörtherseestadion in Klagenfurt gespielt. Wir waren dabei.

Von Lisa Schneider

Das neue Album von Depeche Mode ist ein schweres Album, und dieser Satz ist genauso blöd wie wahr. Wie soll man in Zeiten, in denen es niemanden mehr interessiert, ob das jetzt Synthpop, Gothrock oder was auch immer ist, sonst über Musik reden und nachdenken als auf einer Ebene, die mehr als nur die technischen Parameter bespricht. Bleiben wir plakativ: das ist kein Sommeralbum, das ist kein Album, das man hört, wenn man Wäsche zusammenlegt oder am Weg zur Arbeit ist. „Memento Mori“ (dieser Titel!) ist ein Album, das gern Zeit, Aufmerksamkeit und vielleicht sogar ein bisschen Aufopferung hätte, für all die Ideen, die drin stecken - und natürlich geht’s um Sterblichkeit.

Das ist per se nichts Neues im Katalog von Depeche Mode, erst im Lied „Fly on the Windscreen“ hat Martin Gore das klar wie selten festgehalten: „Death is everywhere“. Diese Lieder waren, mit wenigen Ausnahmen, schon immer dunkelgrau. Diesmal aber haben es Dave Gahan und Martin Gore, die einzigen verbleibenden Gründungsmitglieder seit dem Tod von Andrew Fletcher 2022, schon nochmal über auch von ihnen bekannte Spitzen hinausgetrieben.

Zeit ist einmal mehr die Schule, in die alle gehen, hier haben Menschen viel erlebt, die leuchtenden, großen Seiten von Ruhm und Ehre, die dreckigen Hintergassengeschichten, den Boulevard, die Charts-Platzierungen, die Drogen, die Flops, die Streitereien und die künstlerischen Differenzen. Was muss das für ein Leben sein, so viele, viele Durchschlepp-Phasen, und sieht man jetzt Martin Gore und Dave Gahan live auf der Bühne, spielt sich das alles noch einmal ganz neu als Spiegelkabinett der Wunderlichkeiten ab. Wir haben ja keine Ahnung.

Depeche Mode @Wörtherseestadion Klagenfurt

Patrick Münnich

Es ist kein trauriges, es ist ein großes Konzert, so, dass einem die Schultern schwer werden. Es regnet in Klagenfurt zunächst in Strömen, und dann kommt die Sonne. Viele Münzen dafür, Mäuschen spielen zu dürfen, wenn Dave Gahan backstage den schwarzen Kajalstift um seine Augen zieht, die Haare zurückgelt, irgendwelche unbequemen, aber natürlich fantastisch eleganten und im besten Fall glitzernden Outfits anlegt. Über was reden die zwei kurz vor einem Auftritt? Depeche Mode sind gerade dabei, an die 80 Konzerte quer über die Welt verteilt zu spielen, vermutlich sprechen sie zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nur mehr über Hotelbetten. Es passt schon wieder nicht zusammen, das normale Leben und die Show, fast will man an schöne Gerüchte denken, etwa zu Zeiten, als Dave vielleicht sogar wirklich mal auf Tour in einem Sarg geschlafen hat. Keine Stories, keine Stars.

Die Gesichter leicht verbraucht - Martin Gore hält seines immerhin seit Jahrzehnten der kalifornischen Sonne entgegen -, die Schritte ein bisschen sanfter. „My Cosmos Is Mine“ ist als Opening-Song schon eine kleine Herausforderung und gleichzeitig das einzig richtige Statement: Depeche Mode bearbeiten seit immer schon die Frage, was denn jetzt massentaugliche Musik ist und was nicht. Was soll man sich sonst fragen, wenn man eine Karriere aufbaut; natürlich ist davon auszugehen, dass der Traum die Musik ist, aber wer das da macht, der will schon auch noch mehr.

Depeche Mode im Wörtherseestadion

Patrick Münnich

Der Kosmos Depeche Mode ist mittlerweile gebeutelt, gefestigt und riesig, jetzt ist der Zeitpunkt, wirklich frei das zu tun, was eben passiert, wenn zwei Menschen sich einschließen und so lange streiten, bis ein Album fertig ist. Es ist eine fast schon süße Zweisamkeit, die Martin Gore und Dave Gahan auf der Bühne zeigen, als wären sie ein bisschen oder sogar sehr stolz darauf, das noch einmal so hingekriegt zu haben. Zurecht: „Memento Mori“ ist, und da sind sich tatsächlich alle einig, eine der besten Depeche-Mode-Platten überhaupt, „Ghosts Again“ der in Vertrautheit gemessen größte Song. „Wasted meanings / broken feelings / time is fleeting / see what it brings“: Da ist sie schon wieder, die Zeit, die uns durch die Finger rinnt, man kann sich entschließen, mitzurinnen oder sich unaufhörlich zu ärgern.

Wahrscheinlich ist Depeche Mode gerade diese eine Band, zu der man am besten über alles, über Himmel, Sonne, Mond, Sterne, Steuerrechnung, Gasrückzahlung und Liebe nachdenkt, die Spannung, genau das zu tun, ist durchgehend superhoch. Und dabei ist das gar nicht alles. Ein kluger Mensch sagt während des Konzerts, „it’s all about the delivery“, und er hat Recht. Die Texte von Depeche Mode will man keiner poetisch fundierten Studie unterziehen, aber das ist halt auch nicht das, worum’s geht. Die Bühne und der Kranichtanz mit ausgestreckten Armen viel eher schon, Dave Gahan dreht und dreht sich und breitet die Arme aus, als würde er, als wollte er alle Menschen da draußen umfassen. Es ist ein ganz eigenartiges Weh, zu genau diesem Zeitpunkt hier zu stehen, im Stadion, eins, das von der Bühne kommt: zwischenmenschliche Beziehungen bedeuten ständige Diskrepanzen, und ohne geht’s nicht.

Depeche Mode @Wörthereseestadion Klagenfurt

Patrick Münnich

Christian Eigner (Soundpark-Einladung ist raus!) spielt die Drums, er hat ebenfalls mitgearbeitet an den neuen Liedern, Peter Gordano spielt Synths. Der Rest ist Zusammenkommen und Funken. Martin Gore singt „Question Of Lust“ und „Soul With Me“, das ist alles okay, aber fast am Ende dann, es ist eine Erleichterung, kommt das gemeinsame Duett mit Dave Gahan draußen am Bühnensteg, „Waiting For The Night“. Was sagt man einem Menschen, den man schon oft gehasst und manchmal geliebt hat, an den man fürs Leben gebunden ist, weil das eben die gemeinsame Musikgeschichte ist? Now everything is bearable.

Und dann wäre ja da noch die Sache mit dem nicht nur endlich lang gesuchten common ground, den man auch weiterhin allen anderen anbieten muss. Die Kosmos-Geschichte muss noch einmal herhalten, weil sie stimmt ja so gar nicht ganz: Sie ist eine Einladung. In einem sehr schönen großen Feature zum neuen Depeche-Mode-Album im New Yorker sagt Martin Gore (auch das sicher ein guter Mäuschen-Moment, ihn in seiner strahlenden LA-Wohnung sitzen zu sehen, all in black natürlich, das Leder und die Docs, nur die Zähne zu weiß), dass der Großteil der Menschheit nun mal aus Außenseiter:innen besteht, und dass er glaubt, ihre Musik hätte über all die Jahre deshalb so gut funktioniert. Es ist ein kleines, ein großes, und eigentlich auch überhaupt kein Geheimnis, dass die, die beim Volleyball immer zuerst in die Mannschaft gewählt wurden, in der absoluten Minderheit sind.

Und wohin mit den Hits? Ein paar zu Beginn („Walking In My Shoes“, „It’s no good“), ein paar natürlich ganz am Ende („Just Can’t Get Enough“, „Enjoy The Silence“) und den allergrößten am Aller-Aller-Ende. „Personal Jesus“ ist der Rausschmeißer, die Füße spazieren heim, die Gedanken weiter, Lieder retten keine Welt, sie lassen dich aber zumindest nicht vor ihr davonlaufen.

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