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Foto vom Buch "Die Wirtinnen"

Zita Bereuter | Radio FM4

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„Die Wirtinnen“ von Silvia Pistotnig im House of Pain

Gertrud, ihre Mutter Marianne und ihre Oma Johanna sind mit dem örtlichen Gasthaus enger verbunden, als ihnen lieb ist. Alle drei fühlen sich dem Betrieb verpflichtet, alle drei würden viel lieber etwas anderes machen, alle drei behalten das aber für sich. „Die Wirtinnen“ von Silvia Pistotnig ist auf mehrfache Art ein beeindruckender Roman.

Von Zita Bereuter

„‚Leiser!‘ Sie brüllt schon wieder. Ich dreh leiser. Wer da wohl laut ist? Immer dasselbe. Nie kann ich in Ruhe Musik hören! Die Mama geht weg. Kann mich mal. Ich dreh wieder auf.
Jetzt brüllt sie von unten ‚Noch immer zu laut!‘
‚Jaja‘, ruf ich und dreh wieder leiser. Jetzt ist echt so gut wie nichts mehr zu hören. Wie soll man bitte so House of Pain hören? Wie geht ‚Jump Around‘ bei Volume 3? Hätt ich nicht so einen mickrigen Kassettenrekorder, würd es nicht so krachen. So ist der Bass kein Bass, sondern nur ein dumpfes Dröhnen. Aber so was ist für uns nicht drin, sagen die Mama und der Papa. Aber für die Gäste. Da geht immer alles.“

Den Gästen ordnet man sich seit Generationen unter, in diesem Dorfgasthaus, das mitunter ein „House of Pain“ ist. Das leuchtende Gelb der Sonnenschirme ist längst vergilbt. Der Eckwirt hat seine besten Tage hinter sich. Der einzige Stammgast ist der bierbäuchige Adi. Dennoch – bei Taufen und Beerdigungen müssen alle drei Generationen mitarbeiten. Johanna, die Oma, in der Küche, Marianne, die Mama, hinter der Schank, und die Ich-Erzählerin Gertrud hilft im Service aus. Ihrer Mutter und der Oma zuliebe.

Aus Mitleid fühlt sich Gertrud, die Trudi genannt werden will, verpflichtet. Weiß sie doch, wie viel die Mama und die Oma immer arbeiten. Marianne etwa schuftet von der Früh bis spät in die Nacht. „Manche Leute hatten Hobbys. Sie hatte Arbeit.“

Einerseits bewundert Trudi die beiden, gleichzeitig schämt sie sich für ihr Umfeld. „Am liebsten hätt ich gebrüllt, dass ich mich geniere, für die Oma und das Gasthaus, für den Adi mit seiner Zahnlücke und die stinkigen Grammelknödel, für die Mama, die sich die Füße in den Bauch steht und sich für Mathe (ja, Mathe!!!) interessiert – und für mich selbst, weil ich mich für all das geniere.“

Foto vom Buch "Die Wirtinnen"

Zita Bereuter/radio fm4

„Die Wirtinnen“ von Silvia Pistotnig ist bei Elster & Salis Wien erschienen.

Hin- und hergerissen zwischen Zwang, Tradition und familiärer Bindung macht sie das, was von ihr erwartet wird. Ihrem Traum vom Leben in der Großstadt („Und ich werd sicher nicht in Leoben studieren. Das ist ja der Untergang. Ich geh ganz weg, nach Wien. Ist ja logisch.“) und ihrer Leidenschaft, dem Fußballspielen, hängt sie heimlich nach.

Was sie nicht weiß: Auch die beiden anderen Frauen haben besondere Talente und hatten früher ganz andere Träume als Wirtin zu sein. Aber über Wünsche, Gefühle, Träume oder auch Alpträume wird in der Familie nicht gesprochen. Man lebt zusammen, kennt sich aber nicht. Gleichzeitig beschützen sich die drei Frauen gegenseitig. „Die Beschützerinnen“ war der ursprüngliche Buchtitel, erklärt Silvia Pistotnig.

In „Die Wirtinnen“ trifft Siliva Pistotnig nicht nur einen glaubwürdigen Ton in einer Coming-of-Age-Geschichte, sondern zeichnet auch drei beeindruckende Frauenbiographien und ein Portrait eines Gasthauses, wie es sie vor wenigen Jahrzehnten Österreichweit noch in fast jedem Dorf gab.

Silvia Pistotnig zeigt das mitunter harte und brutale Dorfleben mit klaren Hierarchien und Strukturen. Zeigt, wie Frauen sich unterzuordnen haben. Wie geschwiegen und vertuscht wird. Wie der Schein nach außen gewahrt wird und Schicksale bigott hingenommen werden. Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung wird erst langsam gelernt.

Dass sich Silvia Pistotnig so gut einfühlen kann, liegt an ihrer eigenen Biographie - ihre Großmutter hatte früher ein Gasthaus. „Das Kartenspielen der Männer, die Küche, das Essen. Ich kann mich erinnern, dass ich vor allen Gästen immer Angst hatte und mich nicht getraut habe zu fragen, was sie trinken wollen.“ Außerdem hat sie von ihren Eltern Geschichten aus dem Gasthaus gehört, dass etwa viel mehr Schnaps getrunken wurde und die Speisekarte überschaubar war – es gab meistens nur ein Gericht.

„‚Musik ist was für die Reichen. Für uns ist das nix. Das haltet nur vom Arbeiten ab‘, sagt die Mutter und sie hatte recht.“ Johanna hört das 1937 und beendet ihre Träume vom Orgelspielen in der Kirche. Auch da greift Silvia Pistotnig auf Biographisches zurück. „Mein Großvater väterlicherseits, der aus sehr armen Verhältnissen kommt, hatte ein musikalisches Talent. Er hat sich wirklich selbst das Orgelspielen beigebracht und leitete einen Chor. Er meinte immer: Die Kunst ist ein brotloser Beruf. Also für ihn war klar: Damit lässt sich nichts verdienen, das bringt nichts. Er hat einfach das weitergemacht, das für ihn ‚vorgesehen‘ war.“

Daran halten sich auch die Protagonistinnen. Sie tun, was von ihnen erwartet wird. Das würden ja auch die meisten von uns machen, meint Silvia Pistotnig: „Das, was erwartbar ist, weitermachen. Es ist vertraut und bekannt und damit viel sicherer als einfach auszusteigen und zu sagen: Ich verlasse das alles und erfinde mich neu.“

Autorin Silvia Pistotnig

Martin Rauchenwald

Silvia Pistotnig ist in Kärnten geboren, lebt als Autorin und Redakteurin in Wien. „Die Wirtinnen“ ist ihr vierter Roman.

Silvia Pistotnig hat ein besonderes Talent für Dialoge und schafft authentische Stimmungen, so authentisch, dass Gertrud mit ihrem Hang zum selbstmitleidigen Drama auch nerven kann. Gertrud nimmt als Ich-Erzählerin den meisten Raum ein und erzählt im Präsens. Ihr fühlt sich die Autorin besonders verbunden. „Gertrud bin eindeutig ich, auch wenn meine Familiengeschichte nichts mit ihrer zu tun hat und ich absolut null Fußballtalent habe.“ Aber sie kennt die zweifelnden Fragen in der Jugend. „Dieses ständige ‚es ist peinlich‘, dieses ständige ‚ich will dazugehören‘, dieses ständige ‚bin ich eh cool?‘“

Von 1936 bis 2022 sind die Kapitel durcheinander datiert. Da erzählt etwa Johanna 1936, im nächsten Kapitel Gertrud 1983, dann Marianne 1994. Silvia Pistotnig hatte keinen übersichtlichen Zeitplan mit Post-its. „Der Text ist von der Chronologie noch genauso, wie ich ihn geschrieben habe. Allerdings musste meine Lektorin ausgiebig herumrechnen, bis alle Jahreszeiten zu dem Alter der Personen gepasst haben. Hier hat sich mein mathematisches Untalent sehr schön gezeigt.“

Gasthäuser wie der Eckwirt sind größtenteils ausgestorben. In „Die Wirtinnen“ kann man die Luft von abgestanden Aschenbechern und kalter Fritteuse geradezu riechen. Dennoch - oder gerade deswegen - möchte man im Eckwirt einen Platz an der Theke oder am Stammtisch. Und mit allen Wirtinnen einen Schnaps trinken. Auf das Leben! Auf das Buch!

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