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Hans Platzgumers Anti-Kriegsroman „Großes Spiel“

„Großes Spiel“ von dem österreichischen Autor Hans Platzgumer ist ein humanistisches Werk über eine japanische Epoche, die die Gegenwart spiegelt und existenzielle Fragen stellt. Wie traditionell und liberal soll eine Gesellschaft sein? Wann wird Patriotismus zu radikalem Nationalismus? Und was passiert bei einer großen Naturkatastrophe?

von Andreas Gstettner-Brugger

2015, als die Menschen in Europa auf die große Flüchtlingsbewegung zu Beginn mit humanitärer Solidarität reagieren, sitzt Autor und Musiker Hans Platzgumer in einem Lokal in München. Ihm gegenüber einer seiner besten Freunde, der in Tokyo aufgewachsene Carl Tokijiro Mirwald, der ihm von einer Zeit in Japan erzählt, in der noch mehr Unruhe und Chaos geherrscht hat. Eine Zeit, wie Hans Platzgumer im Interview meint, die in Japan noch immer ein Tabu-Thema ist und über die selbst viele Japaner nicht viel wissen.

Die Taisho-Zeit. Die beiden beginnen akribisch zu recherchieren, und das über die Jahre gesammelte Material wird nach zahlreichen Versuchen zu dem Roman „Großes Spiel“, einem wichtigen Werk für Hans Platzgumer, das helfen könnte, unsere gegenwärtige Entwicklung als Gesellschaft aus einer anderen, konstruktiven Perspektive zu sehen.

Vom Aufbruch und Zusammenbruch

In der sogenannten Taisho Epoche 1912 bis 1926 wurde Yashihito zum Kaiser ernannt. Aufgrund seiner neurologischen Erkrankung konnte er Japan nicht mit derselben Strenge und Autorität regieren wie seine Vorgänger. Er beschäftigte sich vielmehr mit Poesie, schrieb hunderter Haikus und ging verkleidet unter das Volk, mit dessen Ärmsten und Kranken er mitgelitten hat.

Dadurch gerät das hierarchische Kastensystem zunehmend ins Wanken. Widerstand gegen die herrschende Ordnungsstruktur formiert sich rund um den Aktivisten und Anarchisten Osugi und die radikale Feministin Noe Ito. Gegenpol ist der Armeehauptmann Amakasu, der es als seine Pflicht und seinen Lebensinhalt ansieht, die gewohnte Ordnung wiederherzustellen und alle Aktivist:innen, die liberale Ideen propagieren, zu verfolgen. Als schließlich das größte Erdbeben der Geschichte Japans Tokyo verwüstet, brechen auch die humanistischen Verhaltensregeln zusammen und so kommt es auch menschlich zur großen Katastrophe.

Vom Äußeren ins Innere der Geschichte

Mehr als ein Dutzend Versionen hat es von Hans Platzgumers neuem Roman „Großes Spiel“ gegeben, bis das Werk schlussendlich veröffentlicht werden konnte.

Buchcover "Großes Spiel" Hans Platzgumer

Zsolnay Verlag

Zum Buch „Großes Spiel“ (Zsolany Verlag) erscheint am 01. September die CD „Taisho Romantica“ (Noise Appeal Recrods) von Platzgumer / Tokujirô mit Songs über die verschiedenen historischen Charaktere des Romans.

Hans Platzgumer: „Mein Freund Carl hat viel recherchiert und ich habe begonnen, all die Geschichten und Fakten in auktorialer Erzählweise recht brav hinzuschreiben. Das hat gar nicht funktioniert, weil es zu einer dokumentarischen Erzählung geworden ist. Die Figuren waren auch gefühlsmäßig weit weg. Das Ganze war eher was fürs Archiv. Ich habe das dann zunächst aufgegeben und mir überlegt, wie es wäre, mich in eine der Figuren hineinzubegeben und aus deren Inneren die Geschichte zu erzählen.“

Hans Platzgumer hat die Perspektive von Masahiko Amakasu, dem Hauptmann der Kaiserlichen Armee eingenommen, um die Geschehnisse zu erzählen. Er ist ein Traditionalist und steht den liberalen und feministischen Ideen, die sich in der Gruppierung um Osugi breit machen, ablehnend gegenüber. Er ist der Gegenpol zu den demokratischen Werten, die damals in den Aktivisten gekeimt haben. In einem Land, das sich gegenüber dem Westen abgeschottet hat und dessen Ständesystem streng geregelt war, kam diese Bewegung einem Hochverrat gleich. Und doch machen sich in dem Hauptmann Amakasu Zweifel breit und auch seine festgefahrenes Wertesystem gerät ins Wanken.

Hans Platzgumer: „Mich haben die inneren und äußeren Kämpfe interessiert, die Amakasu durchstehen muss. Er muss sich am Ende als Mörder bezeichnen und ohne, dass er eigentlich etwas böses will, schlittert er immer mehr hinein in die Radikalisierung und in die Katastrophe. Gleichzeitig aber auch in die Läuterung. Nur leider zu spät.“

Literatur als Spiegelbild und Warnung

Beim Lesen fragt man sich, warum der liberale und freiheitsliebende Hans Platzgumer nicht die Erzählposition des Aktivisten Osugis eingenommen hat, der ihm selbst näher liegen würde.

Hans Platzgumer: „Ich habe mich gut in Amakasu hineinversetzen können, da er mich an meinen Vater erinnert hat. Mein Vater war unglaublich konservativ, extrem traditionell, er ist dafür eingestanden und hat dafür gekämpft. Er war auch bei der Polizei, Sicherheitsdirektor von Tirol. Gleichzeitig habe ich meinen Vater auch als Menschen erlebt, der Empathie für die anderen Lebensformen durchaus gehabt hat. Das ist eben genau das, was in der Gesellschaft passiert, dass man sofort die Menschen in Schubladen steckt. Wenn du nicht unser Freund bist, bist du unser Feind. Diese Trump-Populisten-Doktrin hat sich mittlerweile in die gesamte Gesellschaft hineingezogen.“

Tipp: Lesung von Hans Platzgumer:

  • 07.09.2023 Thalia, Mitte Wien, 19:00 Uhr
  • 18.09.2023 Buchhandlung Heyn, Klagenfurt 19:00 Uhr
  • 26.09.2023 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck, 19:30 Uhr
  • 05.10.2023 Landestheater Bregenz

Insofern ist „Großes Spiel“ von Hans Platzgumer kein klassisch historischer Roman. Es ist vielmehr eine Parabel über die Gesellschaft, wie Menschen in Krisenzeiten auf Extreme reagieren und wie sich das ideologische, politische Machtsystem dieses Verhalten zu Nutze macht. Gleichzeitig geht es um zutiefst existenzielle Fragen des Lebens. Wofür es sich zu kämpfen lohnt und dass man lernen muss, das Scheitern als Teil des Lebens anzunehmen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen.

Im Fall der Taisho Epoche in Japan haben zwar die verschiedenen Figuren in Platzgumers Roman versucht, das Beste aus ihrer Situation zu machen, allerdings ist ihre Wahrnehmung stark eingefärbt von einerseits ideologischen und radikalen, andererseits anarchistischen Konzepten. Die Radikalisierung spitzt sich auch noch soweit zu, dass sich das In-den-anderen-Hineinversetzen unmöglich wird und damit auch kein Dialog mehr stattfinden kann. Dass so die beiden aufeinanderprallenden Extrempositionen in die große Katastrophe führen, hält uns dieser spannende und aufrüttelnde Roman vor Augen.

Hans Platzgumer: „Die Fragen von damals sind die gleichen Fragen von heute: Wie liberal und wie traditionell soll die Lebensweise einer Gesellschaft sein? Wann wird Patriotismus zu Nationalismus und wann wird dieser zu Krieg? Im Laufe des Lesens wird hoffentlich deutlich, dass es eigentlich ein Anti-Kriegsroman ist. Deshalb war es mir so wichtig, dass der Ich-Erzähler eine ideologisch so andere Figur ist als ich es bin. Denn es geht darum, dass wir einfach wieder viel mehr Verständnis füreinander aufbauen müssen. In jeder Beziehung.“

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