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Bühne mit Publikum am FM4 Frequency 2023

Patrick Muennich

„Wir wollen euch spüren, schmecken, riechen“: Tag 3 am FM4 Frequency Festival

Der Samstag und letzte Tag am Frequency 2023: Die Sonne ballert, der Bass wummert (noch immer) & die Gedanken fließen.

Von Melissa Erhardt

Die Freude auf die Dusche nach dem Festival gehört wahrscheinlich zu den besten Gefühlen überhaupt. Zumindest, wenn man kurz davor ist. „Endlich wieder so richtig, gescheit sauber sein“, sagt die Frequency-Besucherin rechts neben mir im Zug, ihre Sehnsucht nach dem Moment, an dem sie endlich den Hahn aufdrehen kann, schwappt bis zu mir rüber.

Das FM4 Frequency-Festival 2023 ist Geschichte - und wie fast jedes Jahr stehen den müden aber glücklichen Festivalsurviver:innen die kritischen Stimmen der immer-lauten-Außenwelt gegenüber: Wie Mainstream das Frequency denn nicht geworden wäre, wie (Deutsch-)Rap-lastig die drei Tage denn mittlerweile seien, dass das alles ja gar keine „richtige“ Musik mehr sei.

Man könnte kontern: Mainstream und Alternative, diese Einordnung ist sowieso längst passé. Wir sind schon lang im Zeitalter der Nischen, der gut voneinander abgeschotteten Ecken, der viel zu lauten Echokammern. Da geht halt auch kein Line-Up wie 2013 mehr. Weil: Was ist überhaupt „Alternative“? Man könnte das Ganze auch mit einem Geschmäcker-sind-halt-verschieden-Achselzucken abtun, mit einem Das-verkauft-sich-halt-Gut. Wieso ein System ändern, das offenbar funktioniert, schreibt Kollegin Lisa Schneider sehr passend schon an dieser Stelle über den Eröffnungstag des Festivals. Vielleicht ist es auch einfach leicht: das Kritisieren von neuen, oft im viralen Raum gewachsenen Acts. Sätze wie „Das ist der erste Song, den ich auf TikTok von ihm gehört habe“, werden auf dem Frequency durchaus häufiger fallen.

Aber, versuchen wir’s mal so: Warum nicht einfach mal drauf einlassen und schauen, was passiert? Lässt man sich am Frequency nämlich einfach mal treiben, checkt man schnell: Hier koexistieren mehrere Formen des Festival-Erlebens und -Auslebens gleichberechtigt nebeneinander. Keine ist mehr wert als die andere, keine sollten wir, wenn wir fair sind, mehr oder weniger judgen als die andere.

Ski Aggu am FM4 Frequency 2023

Patrick Muennich

Für die meisten Menschen hier am Frequency ist das Festival vielleicht die kleine, dringend nötige Verschnaufpause von der realen Welt, der Pause-Button, der für ein Wochenende alles stillstehen lässt. Manche nutzen diese Verschnaufpause für eine gediegene Eskalation, für eine Full-Body-, vielleicht sogar eine Out-Of-Body-Experience. Die Ski Aggu-Fans zum Beispiel, die Skibrillen- und Vokiträger:innen, die Wir-grölen-Sprechchöre-in-die-Welt-hinaus-Leute. „Das ist eine superdumme Hook, deswegen gehen wir alle dumm“, ruft der Berliner ins Mikro, und alle rasten aus. „Dumm gehen“, Kopf aus, Becher in die Luft. Spüren, mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen. Frust raus. Ganz einfach, und immer wieder, etwa bei 01099 oder BHZ. Kann man es wem verübeln?

Fans am FM4 Frequency 2023 formen mit ihren Händen ein Herz

Patrick Muennich

Andere nutzen den kleinen Break für das Rauskitzeln von Emotionen, und zwar solchen, die eigentlich eh längst rausmüssten. Da sind wir bei Provinz, den Burschen aus dem Schwäbischen Oberland, bei schön geschriebenen Liedern, etwa über die eine, immer da gewesene Parkbank am Land, die auf einmal einem neu gebauten Seniorenheim weichen muss und alle Erinnerungen mit sich mitreißt. Zweimal habe sie geweint bei Provinz, höre ich meine Sitznachbarin im Zug erzählen, es wäre einfach zu wholesome gewesen.

Kraftklub am FM4 Frequency 2023

Patrick Muennich

Wholesome, sowieso ein schönes Wort für diese Art von Festival-Erleben. Ein Wort, das auch für die Headliner-Show von Kraftklub am Samstagabend wie angegossen passt. Nachdem ihr Set letztes Jahr wegen eines Sturms nach nur zwei Tracks abgebrochen werden musste, ist das nur die wohl verdiente Kontinuation von dem, was eh schon war. „Wir wollen euch spüren, schmecken, riechen“ sagen sie, mitten in der Crowd stehend und performend, bei manchen kullern die Tränen von ganz allein.

Und, noch was: Vielleicht haben wir uns kollektiv zu sehr darauf versteift, der Generation Z jegliche Konzert- und Festivalmanieren abzusprechen. Dass es nicht bei jeder Show Moshpit und Deathwall braucht, das können wir auch am Frequency dick und fett unterschreiben. Dass Sachen in die Luft werfen uncool ist, auch. Aber, und jetzt kommt das große Aber: Vielleicht ist die Generation Z sogar mehr als alright, wenn es um Festivals geht. Ein Gedanke, eine Hypothese, die an diesem Wochenende als klitzekleine Idee irgendwo im Hinterkopf beginnt, und bis Samstagabend immer größer werden sollte.

Wir sprechen von kleinen Momenten: Wenn sich ein paar oberkörperfreie, aufgepumpte junge Männer an den Händen nehmen, um sich gemeinsam zur Bühne vorzukämpfen. Wenn ein Sechzehnjähriger mit einer Höflichkeit wie aus dem Bilderbuch eine Tschick schnorrt, seine habe er im Moshpit verloren. Tausendmal entschuldigen für die Störung, schönen Abend wünschen, kleiner Knicks inklusive.

Verifiziert am FM4 Frequency 2023

Patrick Muennich

Oder wenn ein durchgeschwitzer Ski Aggu seiner Crowd immer wieder Wasser bringt, an den Konsens beim Flirten erinnert und „eklige Atzen-Typen“ für sexistische Attitüden outcalled. Wenn eine Hannah Grae einen selbstgehäkelten Hut in die Crowd wirft, etwas, dass sie bei jeder ihrer Festivalshows macht. Wenn ein Luciano nicht nur die „wunderschönen Gyals“ begrüßt, sondern auch die „wunderschönen Gentlemen“. Wenn Verifiziert ihre Bühne mit drei anderen Flinta-Acts teilt, um auf das extreme Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Acts zu thematisieren (138 zu 22, btw). Oder wenn Nina Chuba die Boys von Provinz und Kraftklub zum kollektiven Tanz auf die Bühne holt und alle am Start sind.

Nina Chuba am FM4 Frequency 2023

Patrick Muennich

Das sind vielleicht kleine Momente, aber sie reichen komplett aus, um aus einem dritten Frequency-Tag einen krönenden Festivalabschluss zu machen.

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