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Raphael Thelen gießt in „Wut“ Klimaaktivismus in Romanform

Einer der bekanntesten Klimaaktivisten Deutschlands hat mit „Wut“ sein Romandebüt über die Klimabewegung geschrieben. Raphael Thelen findet, dass es mehr Wut braucht, um sich der Klimakrise entgegenzustellen und eine bessere Welt zu erschaffen.

Von Simon Welebil

„What do we want?“ „Climate Justice!“ „When do we want it?“ „Now!“. Raphael Thelen lässt sein Romandebüt mit den inzwischen berühmten Slogans der weltweiten Klimastreiks beginnen. Schauplatz ist eine Demo in Berlin. Für die Protagonist:innen des Romans sind diese einst gänsehauterzeugenden Slogans mittlerweile aber nur mehr lose Floskeln, weil sich trotz immensen Zuspruchs in der Klimapolitik nicht viel geändert hat. In der Gruppe der Aktivist:innen herrscht Frust. Nicht nur, weil sie wenig Erfolg vorzuweisen haben, sondern auch, weil sie nach Jahren des friedlichen Protests auch ziemlich ausgebrannt sind. „Lasst uns eskalieren heute“ - der Vorschlag, aus der Demoroutine auszubrechen und zu radikaleren Protestformen zu greifen, fällt deshalb auf fruchtbaren Boden, wenn auch nicht bei allen.

Thelen hat sich Mühe gegeben, die bunte Szene der Klimaaktivist*innen abzubilden. Da ist etwa Sara, deren Mutter aus Südamerika stammt, wo deutsche Unternehmen für Lithium die Menschen in den Dörfern vergiften und vertreiben. Dann ist da Wassim, der wegen seines arabischen Hintergrunds oft Opfer von Rassismus wird. Die Hauptperson und Erzählerin des Romans ist aber Vallie, die sehr behütet und privilegiert aufgewachsen ist. Sie, das Gesicht der Klimabewegung, ist es, die sich anfangs nicht wirklich traut, die gewohnten Bahnen zu verlassen, aber mitgezogen wird.

Raphael Thelen bei Demos und Straßenblockaden der Letzten Generation

LG Jonas Gehring

Autor Raphael Thelen als Aktivist bei einem Klimaprotest der Letzten Generation

Wie radikal muss Klimaaktivismus werden?

Durch den ganzen Roman zieht sich die Frage, wie radikal Klimaaktivismus werden muss, um wirklich Veränderung zu bewirken. Eine Frage, die in den letzten Jahren auch medial immer breit diskutiert worden ist. Raphael Thelen hat sie für sich selbst beantwortet. Über zehn Jahre hat er als Journalist für die Zeit oder den Spiegel gearbeitet und zuletzt vor allem Reportagen von den Schauplätzen der Klimakrise geliefert. Anfang 2023 hat er dann seinen Abschied vom Journalismus verkündet, hin zur Letzten Generation, und mit ihnen etwa Straßen blockiert, weil ihm dies als angemessenerer Umgang mit der Klimakrise erschien.

Warum er der Klimabewegung zu mehr Wut rät, erklärt er im FM4-Interview aus seiner persönlichen Erfahrung als Reporter, als der er auch über die rechtspopulistische Pegida-Bewegung in Ostdeutschland geschrieben hat. Auf deren Demos habe man gespürt, dass es diesen Menschen um alles gehe, dass ihr Anliegen nicht so leicht zu ignorieren sei, weil sie so wütend gewesen seien. „Ich teile deren Ziele zu keinem Prozent. Aber das hatte was. Diese Kraft von Wut, die mir in Erinnerung geblieben ist.“ Die Klimabewegung hingegen wäre sehr beherrscht, strategisch und freundlich, könne deshalb aber auch leicht ignoriert werden, wie es die deutsche Bundesregierung ja trotz Millionen Menschen auf der Straße gemacht hätte.

Ich glaube, wir müssen wütender werden, damit man uns zuhört, damit man uns ernst nimmt

sagt Raphael Thelen, und mit der Entwicklung seiner Protagonistin Vallie zeichnet er diesen Weg vor. Sie wird ihre Wut finden und kanalisieren.

Roman als besseres Medium?

Der Genrewechsel vom Reportageformat zum Roman sei Raphael Thelen nicht schwer gefallen, im Gegenteil, er habe ihn geliebt und sehr genossen. „Ich mag den Satz, dass Fiktion oft wahrhaftiger ist als die Wahrheit oder die Realität“, sagt er. Aufrütteln könnte zwar die Reportage auch, aber der Roman hätte den Vorteil, freier erzählen zu können. „In einem Roman kann man natürlich überspitzen, zuspitzen. Man kann natürlich viel archetypischer arbeiten und so versuchen, vielleicht eine Wahrheit in einer größeren Dichte darzustellen.“

Buchcover "Wut"

Arche Verlag

„Wut“ von Raphael Thelen (176 Seiten) ist im Arche Literatur Verlag erschienen.

Das ausführliche Interview mit Raphael Thelen gibt’s im FM4-Interviewpodcast zu hören.

Dieses Zuspitzen gelingt Thelen allerdings unterschiedlich gut. Manche Stellen wirken peinlich, manche Charaktere sind zu einseitig, fast klischeehaft dargestellt. Der Konzernchefin geht es etwa nur um Profit und dem Politiker um sein Image - was Thelen allerdings als präzise und ehrliche Beschreibungen verteidigt, orientiert an der Realität.

Insgesamt ist Thelen ein spannender Einblick in die Klimabewegung gelungen, der „erste Roman, der von einem Mitglied der Klimabewegung über die Klimabewegung geschrieben wurde“, wie er es selbst ausdrückt, und der einem Motivation und Diskussionen, aber auch Ängste innerhalb der Bewegung sehr kurzweilig näherbringt. Fast schon prophetisch liest sich im Roman, der bereits vor knapp einem Jahr fertig war, die Drohung verschärfte Polizeiaufgabengesetze und Anti-Terrorgesetzgebung gegenüber Klimaaktivist*innen zum Einsatz bringen zu wollen. In diesem Frühjahr sind dann bundesweite Razzien gegen die Letzte Generation in Deutschland wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung durchgeführt worden.

„Wut“ schließt nach der Eskalation jedenfalls mit einer positiven Utopie, auch weil Thelen sich quasi „freischreiben“ wollte, ein „Akt der Notwehr“. „Ich bin es selber satt, einfach nur diese ganzen Horrormeldungen und Doomsayers zu sehen und zu hören“, sagt er. Man müsse auch mal aussprechen, wie schön es auch sein könnte, wenn es zu positiven Veränderungen käme. „Und daran glaube ich. Sonst würde ich nicht auf der Straße sitzen, sonst würde ich mich nicht da festkleben, würde ich keine Haftstrafen in Kauf nehmen, wenn ich nicht daran glauben würde, dass wir diese Krise bewältigen können und vielleicht sogar eine bessere Welt erschaffen.“

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