FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szenenild "A Haunting in Venice"

Disney

Only Murders in the Palazzo

Kann man von Geistern ermordet werden? In „A Haunting in Venice“ wird eine Séance in einem Palazzo wird zu einem Tatort und Kenneth Branagh ermittelt zum dritten Mal als Hercule Poirot. Mit weniger Glamour und mehr Düsterheit - und das tut dem ganzen sehr gut. Außerdem: Jamie Dornan mit Schnauzer!

Von Pia Reiser

Jetzt wollte Kenneth Branagh es wissen. Nach zwei Verfilmungen von Kriminalromanen von Agatha Christie, die nicht nur als zwei ihrer besten gelten, sondern auch durch frühere Verfilmungen große Bekanntheit erlangt haben und damit idealer Stoff für Neuverfilmungen waren (weil: das Kinopublikum will meistens was sehen, was es eigentlich schon kennt), überrascht der dritte Film im Bunde mal gleich mit dem Titel.

Denn, es gibt weder einen Roman noch eine Kurzgeschichte von Agatha Christie mit dem Titel „A Haunting in Venice“. Und es wird noch besser: Mit dem Roman „Halloween Party“, auf dem „A Haunting in Venice“ beruht, hat der Film tatsächlich wahnsinnig wenig gemeinsam. Es ist ein bisschen so, als würde man sagen „Kevin allein zu Haus“ ist eine Verfilmung von Charles Dickens „A Christmas Story“, weil beide spielen an Weihnachtstagen und eine Figur liegt in beiden Werken mal im Bett.

Branagh will also wissen, ob diese Agatha-Christie-Verpackung auch funktioniert, wenn vom vorgeblichen Ausgangsmaterial nur der Zeitpunkt der Handlung, das Spiel „Apfelschnappen“, ein Vorname und zwei Figuren übrig bleiben; eine davon natürlich der Meisterdetektiv Hercule Poirot - und hier hat sich Regisseur Kenneth Branagh zum dritten Mal (und zu Recht) selbst besetzt.

„Death on the Nile“ war aufgeblasen, wabernd und öde, „A Haunting in Venice” hat mit dem Luxus-Dampfer-Debakel-Spektakel aber nur mehr gemein, dass es auch auf dem Wasser spielt, denn Drehbuchautor Michael Green versetzt Poirot nach Venedig (es gibt übrigens keinen Roman von Agatha Christie, der dort spielt) und Branagh tauscht das gleißende Sonnenlicht aus dem Vorgängerfilm gegen Schummrigkeit und Dunkelheit. Auch erzählerisch ist dies hier der düsterste der drei Branagh-Christie-Filme.

Szenenild "A Haunting in Venice"

Disney

Licht sparen hat der Kreisky gsagt! Tina Fey und Kenneth Branagh in „A Haunting in Venice“

Das betrifft auch Poirots Gemütszustand. Der Belgier, an sich ja 24/7 ganz gut amüsiert von seiner eigenen Brillianz, befindet sich nach dem Zweiten Weltkrieg im selbstgewählten Exil in Venedig und hat seine Arbeit als Detektiv niedergelegt. Was soll ich euch sagen, sogar der berühmte Poirot-Bart ist dezenter gestutzt. Der kleinere Bart ist ein passendes Symbol für die generelle Ausrichtung von „A Haunting in Venice“ im Vergleich zu den beiden Vorgängerfilmen.

Statt Glamour, Exaltiertheit und Starbesetzung noch mehr auf Anschlag zu drehen, geht Branagh ein paar Schritte zurück, lässt seinen Film nicht mehr so schreien, sondern eher flüstern. Wie „Mord im Orientexpress“ und „Der Tod auf dem Nil“ setzt aber auch „A Haunting in Venice“ auf die Einheit des Ortes. Ein Palazzo in Venedig. Knarrende Türen, endlose Gänge, flackerndes Licht und nur mehr ein Schatten der früheren prunkreichen Tage, also noch nicht ganz Immobilienkategorie „Bastlerhit“, aber der ramponierte Bau spiegelt ganz gut die Verfassung seiner BewohnerInnen.

Rowena Drake (Kelly Reilly), einst gefeierte Operndiva, ist schwer gezeichnet vom Tod ihrer Tochter, der Arzt (Jamie Dornan) der Familie ist gebeutelt von Kriegserfahrungen und die patenteste Person im Palazzzo ist ein Junge namens Leopold, der gern Edgar Allen Poe liest und zwei Kilo Altklugheit auf den kleinen Schultern trägt. Was macht Poirot also in diesem Palazzo, über das man sich auch erzählt, dass es hier spukt? Seine Freundin, die Krimi-Autorin Adriane Oliver (Tina Fey) hat ihn mitgeschliffen. Im Palazzo soll an Halloween eine Séance stattfinden und Ariadne ist sich sicher, dass das Medium - eine Dame namens Joyce Reynolds (Michelle Yeoh) - eine Schwindlerin ist. Poirot soll ihr helfen, das zu beweisen.

Szenenild "A Haunting in Venice"

Disney

Die Geister, die bei der Séance gerufen werden, lassen schnell Fenster aufgehen und Luster von der Decke knallen, außerdem tobt der Wind ums Haus, die Telefonleitungen sind tot und bald auch Joyce Renolds. Poirot schließt die Türen, zwingt alle Anwesenden zu bleiben, zwirbelt die Bartspitzen und beginnt zu ermitteln. Weil wie heißt es schon bei den Beginnern: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Die Ermittlungen werden nur dadurch erschwert, dass er - der Mann der Vernunft und der Wissenschaft - Stimmen hört und Geister sieht.

Durchaus mehr abergläubisch als Poirot ist Kenneth Branagh: In seinem Film „Belfast“ wird zu Weihnachten Agatha Christies „Hallow’ween Party“ ausgepackt, damals stand eine dritte Agatha Christie Verfilmung im Raum, Branagh und sein Drehbuchautor Michael Green liebäugelten schon mit diesem Buch und so fand Branagh „why don’t you put it in as an offering to the gods?“.

Nicht nur kommt ein dritter Film zustande, Branagh besetzt auch Jamie Dornan und Jude Hill aus „Belfast“ gleich nochmal als Vater und Sohn. Nicht alles sitzt in „A Haunting in Venice“ so gut, wie der Bart auf Dornans Oberlippe und sein Tweed-Jacket, aber das kleinere Setting, das Eintauschen von Poirots zahlreichen Spleens gegen einen Detektiv, der seinen Beruf eigentlich aufgegeben hat und dann auch noch an seinem Verstand zu zweifeln beginnt, das tut dem Film wahnsinnig gut.

Szenenild "A Haunting in Venice"

Disney

Ich hab nur Zweifel daran, dass Hercule Poirot jemals ausgerechnet Venedig als Exil aussuchen würde, der Mann, der zur Seekrankheit neigt und Staub, Dreck und starke Gerüche hasst, ich weiß nicht, warum der sich eine Stadt aussuchen sollte, in der es manchmal nach Kanal riecht, Wasser auf die Straßen schwappt und sich Muscheln an den Holzpfählen sammeln. Ich versteh auch nicht wirklich, warum man nicht einfach eine von Agatha Christies sensationell gut konstruierten Mordgeschichten verfilmt, sondern eine neue erfindet. Aber was wunderschön bei „A Haunting in Venice“ funktioniert ist die Mischung aus Murder Mystery mit Elementen von Geistergeschichten und ein, zwei Anleihen aus dem Horrorgenre.

„A Haunting in Venice“ startet am 15. September 2023 in den österreichischen Kinos

Und auch wenn der Glamour hier zurückgefahren wurde, so ist wie bei jedem gelungenen whodunnit, das Kostümbild hier ein Xanadu für old souls. Wer sich nach „A Haunting in Venice“ kein Filzhütchen oder Tweed-Jacket zulegt, der hat wohl schon eines. Als nächste Agatha-Christie-Verfilmung jetzt aber bitte „And then there were none“ und außerdem sollte Branagh die gute alte Krimiverfilmungs-Regel einhalten, dass man betagtere Stars nochmal glanzvoll inszeniert. Wie grandios wäre es Charlotte Rampling, Terence Stamp oder Faye Dunaway in so einem Film zu sehen.

mehr Film:

Aktuell: