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She the Devil, she a Rebel: Doja Cats neues Album „Scarlet“

Die Zeit der leicht-verdaulichen Pop-Hits ist vorbei, waren ja eh alles nur „Cash-Grabs“: Auf ihrem vierten Studioalbum gibt es von Doja Cat jede Menge Bars, in denen sie mit einer toxischen Stan-Kultur aufräumt, aber auch versöhnliche Töne anschlägt.

Von Melissa Erhardt

Es war ein, sagen wir mal, bezeichnender Moment, als die New Yorker Rapperin Ice Spice und Doja Cat zusammen bei der Verleihung der MTV VMA Awards waren. Bezeichnend war nicht, dass die beiden zusammen dort waren – Ice Spice wird Doja Cat ab Ende Oktober immerhin als Support auf ihrer „Scarlet Tour“ durch Nordamerika begleiten. Bezeichnend war viel mehr, wie Ice Spices Fan-Community auf die beiden reagierte: „Gurl get away from her“, stand da zum Beispiel unter Ice Spices Insta-Post, „Why u hanging around a demon?“ oder: „It’s too late, only the lord can save her“.

Was klingt wie ein absurder Skit aus Donald Glovers Horrorkomödie „Swarm“ über toxisches Fan-Dasein, ist in Wahrheit das Ergebnis der weirdesten Theorien rund um Doja Cat, die in den letzten Monaten aus den tiefsten Winkeln des Internets gewuchert sind: Doja Cat habe ihre Seele an die Illuminati verkauft (warum sonst das Fledermausskelett-Tattoo auf ihrem Rücken?) und sei einen Pakt mit dem Teufel eingegangen (warum sonst ist „Paint the Town Red“ so ein Ohrwurm? Must be the work of a devil!). Verschwörungstheorien, die durch die rot durchtränkte Promophase ihres Albums (das ursprünglich noch dazu „Hellmouth“ heißen sollte) noch bestärkt wurden. Bleib also lieber weg, Ice Spice, sonst schwappen die Dämonen auch auf dich über, so der Online-Tenor.

Die viralen Stan-Armeen, die in solchen Fällen gerne ausrücken, um ihre Lieblingsmusiker:innen zu verteidigen, waren im Fall Doja Cat auffällig stumm: Mit denen hatte es sich Doja Cat nämlich ziemlich verhaut. Als die „kittenz“, so der Name der Doja-Stans, sich nämlich über ihre angebliche Beziehung mit dem kontroversen Twitcher J. Cyrus beschwerten und von Doja Cat eine Stellungnahme zu dem Ganzen forderten, twitterte diese: „I NEVER HAVE AND NEVER WILL GIVE A FUCK WHAT YOU THINK ABOUT ME OR MY PERSONAL LIFE GOODBYE AND GOOD RIDDANCE MISERABLE HOES HAHA!“ Und weiter: „If you call yourself a ‚kitten‘ or fucking ‚kittenz‘ that means you need to get off your phone and get a job and help your parents with the house.“ Als einer ihrer Fans dann hören wollte, dass Doja ihre Fans immer noch liebt, antwortete sie einfach nur: „I don’t though cuz I don’t even know y’all.“ Autsch.

Kid of the Internet

Es ist nicht das erste Mal, dass Doja Cat polarisiert. Sei es ihre frühere Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Producer Dr. Luke, ihr Abhängen in Alt-Right Chatrooms oder seien es sonstige unsensible Kommentare, die sie in jungen Jahren von sich gegeben hat. Doja Cat vergisst anscheinend manchmal, was für eine Tragweite ihre Worte haben.

Wie Lil Nas X ist sie im Internet aufgewachsen, hat quasi über Nacht ihre Reichweite durch ein Meme verzigfacht und kommt mit den parasozialen Beziehungen, die daraus entstanden sind, offenbar noch immer nicht so klar. Aber sie ist eben ein Kid of the Internet, weiß, dass das alles eh Engagement ist und ihr das im Endeffekt nur hilft – dementsprechend hat sie die ganze Kontroverse auch gut genutzt, um ordentlich Hype für ihr Album zu generieren.

„Scarlet“

Angekündigt war es schon lang, „Scarlet“ wird kein rosarotes Glitzerpop-Album, keine Singles à la „Say So“ oder „Kiss Me More“. Ihre letzten beiden Alben seien sowieso nur „Cash-Grabs“ gewesen, twittert sie im Mai dieses Jahres „and y’all fell for it“. Sich selbst als Sellout zu bezeichnen, das macht auch nur eine Doja Cat.

Statt Glitzerpop gibt es auf „Scarlet“ jetzt also tatsächlich Hip-Hop – wobei diese Hip-Hop-Pop-Unterscheidung ein bisschen schwammig ist. Doja Cat rappt nicht zum ersten Mal (was war dann „Get Into It“ auf „Planet Her“?), die Mischung aus melodischen Hooks und Rap-Flows hat sie immer schon sehr gut drauf gehabt. Jetzt passen eben die Produktionen besser, die von großen Namen wie Earl on the Beat, London on da Track, D.A. Got That Dope oder auch Dojas Longtime-Producer Kurtis McKenzie kommen. Die Bandbreite reicht von bassintensiven Trap-Beats zu ganz smoothen und jazzigen Nummern, an denen zum Beispiel auch mal der New Yorker Jazz-Keyboarder Sam Barsh mitgewerkelt hat („97“), der unter anderem für seine Arbeit mit Kendrick Lamar und Kanye West bekannt ist.

Thematisch ist das Album eine harsche Antwort auf das ganze virale Gedöns. Auf Tracks wie „Fuck the Girls (FTG)“ und „Shutcho“ verteilt Doja ordentlich Watschen an angebliche Fans („I don’t love you hoes, you worship everything you couldn’t be“) und Hater („Run my check up while they run they mouth“).

Illuminati-Gerüchte zerstreut sie auf „Skull and Bones“ („The only thing I sold was a record“), und auch die misogyne Musikindustrie, die weibliche Artists immer noch viel zu schnell miteinander vergleicht, wird zur Angriffsfläche:

„I never learn to ‚superstar‘ from a textbook / Talkin’ bout, ‚She falling off, why she get booked?‘ / Man, I been humble, I’m tired of all the deprecation / Just let me flex, bruh, just let me pop shit / ‚Why she think she Nicki M? She think she hot shit‘ / Huh, I never gave a F, go stir the pot, bitch“

Doja spittet aber nicht nur aus Wut, da ist auch ganz viel Sehnsucht nach Nähe und innigen Verbindungen („Can’t Wait“, „Agora Hills“) und natürlich auch straight-up Sex-Talk („Gun“, „Often“). Auch wenn sich die Themen wiederholen: Die Songs machen Spaß, die Punchlines sitzen und das ganze Album ist ehrlicher, kantiger und rebellischer als alles, was sie davor gemacht hat - wenn auch nicht ganz so „hart“, „punkig“ und „maskulin“, wie es angekündigt war.

Auf einem der thematischen Höhepunkten, „Love Life“, schlägt Doja versöhnlichere Töne an, zeigt sich fast schon mild, auf Kompromiss aus. „I love it when my fans ain’t mad (…) I love it when I embrace my flaws / I love it when they doin’ the same / I love it when my fans love change, that’s how we change the game“, heißt es da. Sie will ja einfach nur Fans, die sie so nehmen, wie sie ist, mit ihren „Flaws and All“, wie Beyoncé sagen würde. Dass am Wochenende Videos von einem von Spotify organisierten Albumrelease-Event in L.A. viral gegangen sind, in dem sie mit roter Farbe ein „I do love you“ auf die Fensterscheibe geschrieben hat, rundet die ganze Geschichte ab. Wer weiß, vielleicht war das eh alles geplant. Wie gesagt, she’s an internet kid, she knows how these things work.

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