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Bibiza @Arena Wien Oktober 2023

Andreas Graf

Was Wien, Kuss?

Bibiza hat gestern seinen Tourabschluss in der ausverkauten Wiener Arena gespielt. Es war natürlich ein Wahnsinn und wir denken drüber nach.

Von Lisa Schneider

Vielleicht lässt Bibiza sich gerade ein Bad ein. Das ist gar kein so unwahrscheinlicher guess, auch er betreut jetzt diverse Fan-Group-Chats auf Instagram, in denen er Hinterkulissenaufschluss darüber gibt, wie er runterkommt in all dem Tour-Wirr-Warr. Gestern hat Bibiza eine ausverkaufte Show in der Arena Wien gespielt, es war für die nächsten Monate die vorerst letzte.

An der letztmonatigen Karriere von Bibiza kann man überhaupt gute Schlüsse und Gedanken drüber ziehen, wie das aktuell so ist, mit Fan-Sein und Fans-Haben. „Ich hab’ damals noch zu meinem Manager gesagt: Werden da überhaupt Leute kommen, in, keine Ahnung, Stuttgart oder Leipzig?“ erinnert sich Bibiza im FM4-Interview zurück an die Veröffentlichung der ersten eigenen Headliner-Tourdaten. Der Manager war zuversichtlich, und er hat Recht behalten.

Wer Bibiza via seiner Socials folgt, kriegt da schon gut mit, was für ein Eau-de-Star das alles umgibt, wie supervoll die Räumlichkeiten waren, die er da zuletzt durchgespielt hat, wie textsicher die Menschen waren, die sich rechtzeitig Tickets gesichert haben. Zwei junge Frauen etwa, die vor der Arena im Nieselregen noch auf weitere Freund*innen warten, und erzählen, „das hätten sie im Dezember schon erledigt“. Wieso? „Weil Bibiza es in seinen Stories geteilt hat“. Und es wird gemacht, was Bibiza sagt? „Natürlich!“.

Wir haben es eh auch schon lange gewusst, es uns halt heuer aber unter anderem auch am Nova Rock bestätigen lassen. Im mindestens knöcheltiefen Gatsch sind wir da gestanden, vor der kleinsten, zu diesem Zeitpunkt aber vollsten Open-Air-Bühne am Gelände, da sind Longchamp-Taschen in den Dreck gefallen, Taschentücher halfen auch nichts mehr. Weil ja, natürlich ist auch das Bibiza, und somit sein Publikum: ein bisschen dekadent, ein bisschen eigenweltverliebt, ein bisschen, so heißt ja auch das Album: Wiener Schickeria.

Bibiza in der Arena Wien im Oktober 2023

Andreas Graf

Manchmal wird sich auf der Suche nach ihm der Kopf zu sehr zerbrochen, man merkt’s, und manchmal ergibt er sich von ganz alleine, der begrifflich angestaubte „unique selling point“. „Wiener Schickeria“ ist ein Konzeptalbum, da fließt eins ins andere, zwischen den wohl heuer in Österreich bestproduziertesten Liedern gibt es Sound-Snippets, Nicholas Ofczarek und unter anderem eine Konzertbesucherin zu hören, die das alles ganz furchtbar Scheiße findet. Vorwürfe: schlechter Sound, schlechte Texte, und dann halt die Drogen- und Alkoholverherrlichung. Was drauf folgt, ist auch live gestern Abend ein Lied, das dann gleichmal „Alkoholiker“ heißt, ein Bekenntnissong für die Generation und die, die gern dazugehören wollen, ein Elternkopfschüttellied und eine Ode, bleiben wir im Jargon, des „Es-ist-mir-eh-auch-ein-bissl-wurscht-was-ihr-denkt.“

Die Wiener Schickeria also als Show, das bietet sich alles sehr gut an für Liveumsetzung mit Band. Lack und Leder, alles frei nach Stendhal und wahrscheinlich eigentlich eh nicht in rot und schwarz, die Haare sollen „nass“ sein, es fallen Beschreibungswörtchen wie natürlich „hot“ und „sexy“. Bibizas Hemd ist sanft durchsichtig, sehr schön, sehr voll mit Rosen. In dieser Welt klingelt der Wecker zum ersten Mal um 13.00- und zum letzten Mal um 17.00 Uhr. Das geht sich eigentlich ja alles nicht aus, weil niemand muss hier arbeiten, zumindest ist das der Vorschlag und gleichzeitiges Angebot. Und dann, wenn der Morgen graut, geht alles wieder von vorne los. Bibiza rollt sein „rrr“ oft, laut und leise.

Man muss das mögen, und wenn man’s mag, dann sehr. Taxi-Teile stehen und liegen auf der Bühne, das blaue Straßenschild sagt „Opernring“, jetzt schon eine Hymne von gestern, heute und übermorgen. Deshalb dann gestern Abend auch gleich zweimal live: einmal nur an der Gitarre, dann mit knallender Band-Überpolitur. Beides geht, Menschen, schreien, Seele, Hals. Gute Musik braucht keine Show, eh klar, aber hat das schon jemand zu Björk gesagt, oder, weil schon in Gedanken gestern ein bisschen dort, zu Bilderbuch?

Bibiza in der Arena Wien im Oktober 2023

Andreas Graf

Sogar ein Taxifahrer ist auf der Bühne dabei, er schauspielert, er führt ein in den Abend und zwischen die Songs. Der Fahrer auf der Bühne, der Taxi 40100-Represent-Stand vorm Eingang der Arena, obendrauf ein alter, schöner, dunkelroter Mercedes, bei dem das gelbe Schild leuchtet, sitzt ja niemand drin. Menschen haben sich vor dieser Videorequisite gestern fotografieren lassen, schon auch wieder alles sehr, sehr klug gemacht. Morgen ist das alles online, Hashtags von „Bibiza“ bis eben Taxinummer, Mehrwert ohne Ende.

Alles also so echt wie möglich, alles so übertrieben wie möglich, und da wären wir auch schon wieder bei der Dekadenz: Taxifahren ist ja nichts, das sich jede:r leisten kann, genauso wenig wie die Rauschmittel, um die’s da geht oder die Zeit, die verschlissen wird. Das ist eine Welt, die für viele neu und anders und vor allem stellenweise rückwärtsgewandt Rock’n’Roll-idealisiert ist, natürlich klappt das gut in Deutschland, und noch besser hier, in Wien. Überlegt mal, wann ihr euch zuletzt keine Gedanken gemacht habt.

Bibiza in der Arena Wien im Oktober 2023

Andreas Graf

Sie zählen ihn ein, sie zählen ihn aus, vor, während und nach dem Konzert. Bibiza staunt nach all diesen ausverkauften Shows zwar vielleicht ein bisschen weniger, aber immer noch sehr über alles, was da passiert. Dass er im FM4-Interview fast keine Worte findet für das, was aktuell an ihm vorbeizieht, ist ein schöner Beweis dafür, dass es eben manchmal nicht so gut klappt mit dem Gegenwartsgenießen. Er betont oft die Tatsache, dass da jetzt „reale Menschen“ vor ihm stehen und ihm die Texte, die er mal daheim, mal on the run ins Handy getippt hat, entgegenschreien. Gerade bei Bibiza, eben auch als Figur ein Social-Media-Phänomen, doppelt spannend. Er, der so langsam-entzückend wie niemand „Haaaallliiiiiihallllooooo“ ins gelbe Mikro flötet, man glaubt fast, es könnt’ ihm nichts egaler sein.

Wieviel Ego ist also in einem Egoist, fragt Bibiza sein Publikum gestern Abend, man kannsoll das schon machen, das Vorbilder Bedienen. Irgendwann übertrifft er sie alle, weil Doppelpunkt, Bibiza, Superstar.

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