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Sahra Wagenknecht

APA/AFP/John MACDOUGALL

Wie Sahra Wagenknecht die Linke spaltet

Die LINKE muss ihre Fraktion im deutschen Bundestag auflösen, weil zu viele Mitglieder zur neuen Partei von Sahra Wagenknecht wechseln. Die will linke Wirtschaftspolitik mit konservativen Werten vermischen. Warum das nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Internet auf Sympathien stoßen könnte.

Von Ali Cem Deniz

Harald Schmidt nannte sie einst die „Ikone der Linken“. Sahra Wagenknecht war immer eines der berühmtesten Gesichter der deutschen Linken, gleichzeitig war sie in der Parteibasis und in der linken Szene eine polarisierende Figur. Am Parteitag der LINKEN 2016 wurde sie von einem Antifa-Aktivisten mit einer Torte beworfen.

Die Torte galt ihrer Migrationspolitik, einer der vielen Gründe wieso sie eine Sonderrolle innerhalb der Partei spielte. Seit 2015 forderte Wagenknecht immer wieder einen restriktiven Kurs bei Migration und Asyl. Die Antifa-Aktivist:innen verglichen sie mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Die Torte hat nicht weh getan, hatte Wagenknecht nach der Aktion gemeint, aber der Vergleich mit einer AfD-Politikerin schon.

Die Linke in der Linken

Die in der DDR geborene Wagenknecht brach 1989 eine Karriere als Wissenschaftlerin ab und trat in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ein. Dabei stand sie dem System in DDR kritisch gegenüber. Für die studierte Philosophin, die sich stark an Hegel, Marx und Luxemburg orientierte, war die DDR nicht sozialistisch genug.

Nach der deutschen Wiedervereinigung trat sie der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) bei. Während die PDS versuchte, sich in der neuen post-sowjetischen Weltordnung neu zu orientieren, wurde Wagenknecht Mitglied der „Kommunistische Plattform“ – ein Zusammenschluss innerhalb der PDS (und später auch der Linken), der vom deutschen Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird.

Auch in der 2007 aus der PDS hervorgegangenen Partei Die Linke war sie als Vertreterin des linken Flügels bekannt. 2011 veröffentlichte die Politikerin, die auffällig viel publiziert, ein Buch mit dem Titel „Freiheit statt Kapitalismus“. Obwohl sie in der Partei immer wieder für Kontroversen sorgte, war sie vor allem medial und in den vielen deutschen Talkshows das Gesicht der Partei.

Der Bruch mit der Linken

Seit 2015 sorgen aber nicht ihre linksradikalen Positionen, sondern ihre Aussagen zur Migrationspolitik für Unruhe unter den deutschen Linken. Sie attackiert die Migrationspolitik von Angela Merkel und der EU scharf. Nach den Übergriffen bei der Kölner Silvesternacht, ruft sie dazu auf, Aslysuchende, die ihr Gastrecht missbraucht hätten, abzuschieben. Ein Facebook-Posting von Wagenknecht nach einem Terror-Anschlag in Ansbach löst eine Debatte über Wagenknecht aus. Parteikolleg:innen fordern ihren Rücktritt.

Auch wenn in der Praxis Wagenknechts Aussagen zu Migration an die AfD erinnern, steckt hinter ihnen eine andere Theorie. Wagenknecht kritisiert die europäische Migrationspolitik seit 2015 aus einer linken Position heraus. Die großen Flucht- und Migrationsbewegungen haben für sie nichts mit dem Recht auf Asyl oder auf Freizügigkeit zu tun.

Sie sind ein Werkzeug westlicher kapitalistischer Staaten, um in den eigenen Ländern Lohndumping zu betreiben. Außerdem leiden Wagenknecht zufolge auch die Herkunftsländer unter der Migration, weil sie aufgrund des „brain drains“ qualifizierte und gut ausgebildete Menschen verlieren.

Diese Kritik der Migration ist zwar nicht weit verbreitet, aber innerhalb der Linken auch nicht komplett unbekannt. Wohl deshalb bleibt Wagenknecht auch weiterhin in der Partei.

Das Ende einer komplizierten Beziehung

Aber es blieb eben nicht nur bei Migration. Wagenknecht distanzierte sich auch von den progressiven Elementen der Partei, kritisierte immer wieder das Gendern, den Zugang der Partei zu LGBTIQ-Themen. Kurz gesagt den vermeintlichen „Wokeismus“ der Partei. Zum endgültigen Bruch kam es schließlich im Zuge des Ukraine-Kriegs, wo Wagenknecht gegen die militärische Unterstützung der Ukraine auftrat und stattdessen lieber mit Russland verhandeln wollte.

Anfang Oktober reichten 50 Mitglieder der Linken einen Antrag zum Parteiausschluss von Wagenknecht ein. Am 23. Oktober ging dann der jahrelange Streit zu Ende, Wagenknecht gab ihren Austritt bekannt und gründete den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“. Weil ihr neun Abgeordnete der Linken folgten, musste die Linke ihre Bundestagsfraktion auflösen. Eine solche Fraktionsauflösung hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben und sie hat schwere Folgen für die Linke. Sie verliert im Bundestag an Einfluss und an finanzieller Unterstützung.

Die Mitglieder, die sich Wagenknecht anschließen, sind durchaus prominent. Die bisherige Co-Vorsitzende der Linken Fraktion Amira Mohamed Ali oder Sevim Dağdelen, die ebenfalls dem linken Flügel der Linken zugerechnet wurden. Dieser Verein soll nun die Gründung einer Partei vorbereiten, die bei der Wirtschaftspolitik links, aber bei den meisten anderen Themen, wie Migration und Klima rechts bzw. konservativ sein soll.

Links und Rechts

Für die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner, die an der Queen’s University Belfast zu linksradikalen Parteien forscht, ist das eine Mischung, für die es durchaus eine Nachfrage geben könnte. Eine Partei, die diese Mischung anbietet, gibt es hingegen nicht. Die Menschen, die eine Wagenknecht Partei wählen könnten, seien „kulturell eher konservativ, weniger aufgeschlossen für Klimathemen und gegen das Gendern.“

Sarah Wagner glaubt, dass die neue Wagenknecht Partei vor allem die AfD schwächen könnte. Das wäre ironisch, denn gerade die Linke hat Wagenknecht immer wieder vorgeworfen mit ihren Positionen die AfD zu stärken. Björn Höcke vom rechtsextremen Flügel der AfD hat sogar versucht, Wagenknecht zu vereinnahmen und sie in seine Partei eingeladen. Wagenknecht hingegen hat sich von ihm distanziert und ihn als Rechtsextremen bezeichnet, mit dem sie nichts zu tun haben möchte.

Die Hochburgen von Wagenknecht seien vor allem in Ostdeutschland, sagt Sarah Wagner. Auch die AfD ist dort stark. Nächstes Jahr gibt es in drei ostdeutschen Bundesländern Wahlen, in denen die Wagenknecht-Partei antreten könnte.

Migrant:innen gegen Migration

Vor allem beim Blick aus Österreich fällt auf, wie viele Mitglieder des Vereins BSW eine Migrationsgeschichte und nicht „bio-deutsche“ Namen haben. Zumindest in diesem Punkt ist der Unterschied zur AfD sehr deutlich. Und vielleicht ist das auch ein Kalkül von Wagenknecht. In den USA hatte Donald Trump von den „hispanics“ durchaus große Unterstützung bekommen, obwohl er eine Mauer zwischen USA und Mexiko errichten wollte und ständig rassistische Aussagen tätigte.

Auch in Deutschland könnte Wagenknecht bei Menschen punkten, die selbst Migrationshintergrund, haben, Migration gegenüber skeptisch sind, aber auch nicht AfD wählen. Denn die AfD will nicht nur Migration eindämmen, sondern tritt auch diskriminierend und rassistisch gegenüber Deutschen mit Migrationshintergrund auf, die bereits seit Generationen in Deutschland leben.

Mit einem wertkonservativen Auftritt könnte die Wagenknecht Partei auch jene Migrant:innen ansprechen, die selber konservative Weltanschauungen haben, aber sich nicht mit CDU oder AfD identifizieren können. Unter den Deutschtürk:innen ist etwa die SPD die beliebteste Partei. Gleichzeitig wählen bei türkischen Wahlen, wahlberechtigte Deutschtürk:innen mehrheitlich die konservative AKP. Die Gründe dafür sind zwar vielfältig, aber es zeigt, dass Migrant:innen nicht automatisch, weil sie Migrant:innen sind, mit SPD und Grünen sympathisieren müssen.

Und nicht zuletzt wären selbsternannte kapitalismuskritische „Anti-Woke“, die sich mit der Wirtschaftspolitik der AfD nicht identifizieren können, eine potenzielle Wähler:innen-Schicht für Wagenknecht. Auf X, wo es eine kleine, aber zunehmend prominente Gruppe an „post-leftists“ und „MAGA-communists“, kommt Wagenknecht auch gut an.

Signal nach Europa

Kurzfristig stellt die Abspaltung die Linke vor massiven Herausforderungen, aber längerfristig könnte sie sogar davon profitieren, glaubt Sarah Wagner. Wagenknecht war zwar eine starke Figur, aber sie hat die Partei auch polarisiert. Die Partei könne sich neu aufstellen und sich stärker auf progressive Themen konzentrieren und so Wähler:innen ansprechen, die mit den Grünen und SPD nicht zufrieden sind.

Am Ende könnte also die neue Wagenknecht Partei die politische Landschaft in Deutschland deutlich verändern. Ob es so weit kommt, wird sich noch zeigen. Aus Österreich ist bekannt, dass Protest-Parteien, die sich auf eine Person stützen, kurzfristig erfolgreich sein können, aber sich nicht lange halten (Team Stronach, Liste Pilz, BZÖ).

Im kommenden Jahr gibt es noch eine weitere wichtige Wahl: die Europawahl. Wenn die Wagenknecht-Partei dort antritt und gut abschneidet, könne das auch eine Signalwirkung nach Europa haben, glaubt Sarah Wagner. „Falls sie da besonders erfolgreich ist, wäre das ein klares Signal nach Europa, dass es nicht nur eine Nachfrage nach progressiven linken Parteien gibt, sondern auch nach konservativen linken Parteien.“

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