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Christina Diamantis

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Toxische Beziehungen als Sucht

Wie sich Narzissmus und Gewalt in Partnerschaften entfalten.

Von Barbara Köppel

Christina Diamantis ist Einzel- und Paartherapeutin mit Schwerpunkt toxische Beziehungen und partnerschaftliche Gewalt. Ihre Praxis ist in München. Zusätzlich betreibt sie in großem Stil Aufklärungsarbeit auf Social Media, mit über 82.000 Followern auf TikTok und über 22.000 auf Instagram.

Wir haben sie zum Thema Narzissmus und gefährliche Dynamiken in Paarbeziehungen befragt.

Radio FM4: Der Begriff Narzissmus ist zentral in all deinen Posts, und du benutzt Hashtags wie #narzisstischermissbrauch, #toxischebeziehungen, #partnerschaftlichegewalt. Verwendest du das alles synonym?

Christina Diamantis: Ja, das würde ich schon sagen. Meiner Meinung nach ist Narzissmus die Grundlage für jegliche Form von Gewalt. Narzissmus ist das Fehlen von emotionaler Empathie und es ist der Mangel an Selbstreflexion. Wenn wir Aspekte wie Bildung, soziale Verhältnisse und Armut außer Acht lassen und fragen, was muss ein Mensch tendenziell für ein Wesen oder eine Neigung haben, um gewaltbereit zu sein und Gewalt auszuüben, dann ist es der Narzissmus.

Radio FM4: Würdest du sagen, dass jede toxische Beziehung, jede Beziehung mit einem Narzissten tatsächlich auch das Potenzial zu körperlicher Gewalt birgt, dass es dieses Risiko immer gibt?

Christina Diamantis: Das Risiko besteht immer. Körperliche Gewalt beginnt entgegen der gängigen Annahme nicht erst bei Schlägen ins Gesicht, bei Boxen, Treten oder Anspucken. Andere Formen werden nicht so einfach als körperliche Gewalt wahrgenommen: Das ist das Festhalten, sich in den Weg Stellen, bei einem Konflikt sehr nahe ans Gesicht Kommen und Anschreien. Das ist Gegenstände im Haus oder in der Wohnung zerstören oder Gegenstände nach dem Opfer werfen. Körperliche Gewalt ist immer dann gegeben, wenn die physische Präsenz der Opfer bedroht wird. Ein Beispiel, von dem viele Frauen berichten, ist das aggressive Autofahren. Grundsätzlich muss man aber sagen, egal welche Form der Gewalt im Laufe einer Beziehung stattfindet, es steht immer die psychische Gewalt am Anfang.

Radio FM4: Was sind typische Muster oder Abläufe in toxischen Beziehungen?

Christina Diamantis: Wir unterteilen diese toxische Dynamik in vier Phasen. Die erste ist die Love-Bombing-Phase, wo das Kennenlernen stattfindet, das schnelle Dating, eine übermäßige Präsenz, Überschüttung mit Komplimenten, Hilfsbereitschaft, Charme. Viele Frauen beschreiben das im Nachhinein als „zu schön, um wahr zu sein“.

In der zweiten Phase beginnen der Missbrauch und die Gewalt oft schleichend und sehr subtil. Mit einer spitzen, ironischen Bemerkung hier, einem Witz, der keiner ist, da. Mobbing, Unzufriedenheit und Gaslighting verstärken sich im Laufe der Beziehung. Das Verhalten des Täters folgt dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche. Eine bestehende Abhängigkeit wird dadurch noch verstärkt. An einem Tag ist man die Traumfrau und am nächsten Tag das Letzte. Nach einem Konflikt tut der Partner so, als wäre nichts passiert. Man läuft auf Eierschalen, man weiß nicht: Wie ist mein Mann, mein Freund drauf? Wann kann ich etwas ansprechen, damit es nicht eskaliert?

Danach kommt die Entsorgung. Der Täter hat dem Opfer alles genommen, was es zu geben hatte. Die Frauen sind in der dritten Phase meist psychisch und körperlich so erschöpft, so desillusioniert und geschwächt, dass sie entsorgt werden. On-off ist typisch in toxischen Beziehungen.

Und wenn diese Trennung dann vollzogen ist, unabhängig von welcher Seite, kommt die vierte Phase: Das Hoovering, das Zurückgewinnen der Frau. Dass die Täter mit Reue, Einsicht, Entschuldigungen und wieder mit einer Art von Love-Bombing anfangen. Dann gibt es Therapieversprechen und Zusicherungen, dass man sich bessert und dass man erst jetzt realisiert hat, was man verloren hat und um die zweite Chance bettelt. Die meisten Frauen lassen sich auch auf diese Hoovering-Versuche ein. Dann beginnt dieser ganze Kreislauf wieder von vorne. Nur mit dem Zusatz, dass die Gewalt und der Missbrauch jedes Mal schlimmer werden.

Das Wichtigste ist, dass die Trennung gut vorbereitet ist.

Radio FM4: Frauen in toxischen Beziehungen wissen ja meistens, dass diese ihnen nicht gut tun. Warum schaffen sie es trotzdem viel zu selten, sich zu trennen? Warum fällt das den Frauen so schwer?

Christina Diamantis: Die meisten Frauen entwickeln ein sogenanntes Trauma-Bonding. Der beständige psychische Missbrauch führt zu einer emotionalen Abhängigkeit, oft in eine Sucht. Das heißt, dass eine tiefe, sehr destruktive Verbindung zum Täter besteht, und die entwickelt sich tatsächlich in bestimmten Arealen im Gehirn. Ein zentraler Faktor dabei ist das Belohnungssystem: Jeder Mensch reagiert auf Anerkennung, auf Wertschätzung, auf Komplimente. Dieses toxische Verhalten zwischen Heiß und Kalt, dieses Auf und Ab führt zu biochemischen Prozessen in unserem Gehirn, die mit einer Drogenabhängigkeit vergleichbar sind.

Radio FM4: Toxische Beziehungen als Sucht - das klingt so, als wären die Frauen total ausgeliefert.

Christina Diamantis: Das sind sie auch leider in den meisten Fällen. Man muss in dem Kontext erwähnen, dass die größte Gefahr für einen Femizid oder eine Verletzung der Frau in der Phase der Trennung besteht. Für Außenstehende ist es vielleicht unverständlich, warum Betroffene immer wieder zu ihrem gewalttätigen Partner zurückgehen. Paradoxerweise fungiert das aber auch manchmal als Selbstschutz.

Radio FM4: Bleiben wir noch bei den Auswirkungen psychischer Gewalt. Wenn man ständig gezielter Verunsicherung, Manipulation und Abwertung ausgesetzt ist, kann das auch körperliche Symptome nach sich ziehen. Welche sind das? Wie geht es Frauen in toxischen Beziehungen?

Christina Diamantis: Es ist zu vergleichen mit komplexen, posttraumatischen Belastungsstörungen, also innerliche Angespanntheit, Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungen. In vielen Fällen haben wir auch Suizidgedanken. Konzentrationsschwierigkeiten, Haarausfall, Probleme in der Regulation der Hormone. Ganz vielen Frauen bleibt die Periode aus oder der Zyklus spielt total verrückt. Das sind die häufigsten Nachwirkungen, die ich im Laufe der Jahre meiner Arbeit feststellen konnte. Es ist die komplette Zerstörung der Frauen. Danach sind sie oft nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Radio FM4: Was sind deine drei wichtigsten Tipps, um sich aus einer gewaltvollen Beziehung zu befreien?

Christina Diamantis: Das Wichtigste ist, dass diese Trennung gut vorbereitet ist. Das heißt, ich muss erstens versuchen, mich schon in der Beziehung emotional zu distanzieren, mich nicht mehr triggern zu lassen, um psychisch Kräfte zu sammeln, diesen Schritt dann zu wagen. Wenn eine Frau gemeinsame Kinder mit dem Täter hat, braucht es ganz viel Dokumentation und Beweisführung. Am besten ein Tagebuch führen über die Aussagen und Handlungen des Täters. Dokumente sichern: Steuerbescheide, Gehaltsabrechnungen, Versicherungen, Geburtsurkunden und Pässe der Kinder müssen greifbar sein.

Ein zweiter Punkt ist ein sicheres soziales Netz. Man sollte sich im Vorhinein darüber informieren: Wer kann mir wobei helfen? Welche Anlaufstellen gibt es? Wo kann ich mich informieren, welche Rechte und welche Pflichten ich habe? Da möchte ich ganz deutlich betonen: Die Frauen dürfen sich nur an Menschen wenden, die zu 100 Prozent auf ihrer Seite stehen. Jene, die sich nicht vom Täter beeinflussen lassen.

Der dritte Punkt ist - und den Ausdruck habe ich von einer befreundeten Rechtsanwältin im Familienrecht - eine Kriegskasse. Also sich finanziell ein wenig ein Polster aufzubauen oder auch herauszufinden, welche finanziellen Unterstützungen es gibt.

Und ganz, ganz wichtig: Dem Täter ja nicht erzählen, was man vorhat. Das muss wirklich von einem Tag auf den anderen geschehen. Denn man muss sich bewusst sein: Alles, was in einer Beziehung oder in der Trennungsphase von einer Betroffenen gesagt wird, kann und wird gegen sie verwendet werden.

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FM4 Auf Laut am 5. Dezember

Gewalt in Paarbeziehungen – Wo fängt es an?

Schläge, Würgen, Misshandlungen: Jede dritte Frau ab 15 in Österreich erlebt zumindest einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt. Die extremste Form davon ist der Femizid. 28 Frauen wurden dieses Jahr bereits ermordet, dazu kommen 41 Mordversuche bzw. Fälle schwerer Gewalt gegen Frauen. Männer üben Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor allem in Paarbeziehungen aus. Diese Gewalt kann viele Formen annehmen: Kontrolle, Drohungen, Erniedrigungen, Gaslighting und jede andere Art von psychischem Druck sind Alarmsignale. Frauen jeden Alters, jeder Klasse und jeder Herkunft sind betroffen. Wo beginnt Gewalt in Paarbeziehungen? Wie können sich Frauen schützen und wo wird ihnen geholfen? Wie funktioniert Männerarbeit und was bringt sie? Diese Fragen besprechen Ali Cem Deniz und Barbara Köppel in FM4 Auf Laut mit Expert:innen.

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