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Zerstörtes Gebäude in Rafah / Gazastreifen

APA/AFP/MOHAMMED ABED

Pallywood: Gefälschte Fake News und die Leugnung des palästinensischen Leids

Auch die Fakten der selbsternannten Faktenchecker müssen überprüft werden, wie die vielen Fake News über vermeintliche Fake News aus Gaza zeigen.

Von Ali Cem Deniz

Immer wieder entpuppt sich im Gaza-Krieg das „debunking“ von Fake News selbst als Fake News oder eine manipulative Darstellung. Die Debatte um einen ZiB-2-Bericht, dem fälschlicherweise vorgeworfen wurde „lebende Leichen“ zu zeigen, ist nur ein Beispiel dafür. Unter dem Begriff „Pallywood“ ist ein ganzes Genre entstanden, das behauptet Hollywood-ähnliche Inszenierungen durch palästinensische Gruppen aufzudecken.

Ironischerweise haben die Anhänger:innen der Pallywood-Verschwörungstheorie inzwischen selbst eine Industrie aufgebaut, die am Fließband angebliche Fake News und Videos „entlarvt“, um so die grauenvollen Folgen des Krieges in Gaza zu leugnen.

Die Pallywood Propaganda

Der viralste und tragischste Fall ereignete sich kurz nach dem Ende der humanitären Feuerpause, als die israelische Tageszeitung Jerusalem Post behauptete, eine palästinensische Familie habe eine Spielzeug-Puppe als ein totes Baby dargestellt.

Auf „X“ machte die Meldung schnell die Runde, tausende spöttische Tweets und Memes wurden gepostet, obwohl es bereits Berichte von palästinensischen Journalist:innen gab, die den Namen des getöteten Babys und den Ort des Raketeneinschlags verifiziert hatten.

Es handelte sich nicht um eine Puppe, sondern um ein Baby in Totenstarre. Die Jerusalem Post entfernte am folgenden Tag den Bericht, ohne genauer auf den Inhalt einzugehen. Die vielen viralen Tweets und zutiefst geschmacklosen Memes blieben und kursieren bis heute.

Auf den Spuren von Alex Jones

Immer wieder ist auf „X“ auch von „crisis actors“ zu lesen. Der Verschwörungstheoretiker Alex Jones, der kürzlich auf „X“ wieder entsperrt wurde, hat massiv zur Verbreitung des Begriffs beigetragen. Immer wieder behauptete er, dass die Opfer von Schießereien an US-Schulen bezahlte „crisis actors“, also Schauspieler:innen, seien.

Dafür wurde er verurteilt. Doch auf „X“ kann man sehen, wie immer mehr Accounts diese Verschwörungstheorie auf den Gaza-Krieg übertragen. Dass auf „X“ mittlerweile auch kleine Accounts gegen Geld einen bluecheck bekommen und so sich als legitime, verifizierte Quellen darstellen können, trägt zusätzlich zur Desinformation bei.

Oft teilen solche Accounts Videos, die aus völlig anderen Zusammenhängen stammen. Ein virales Video etwa, in dem palästinensische Gruppen angeblich die Nachwirkungen eines Luftangriffs inszenieren, stammt aus einem Filmdreh.

Ein anderes Video aus Südostasien, das islamische Bestattungsrituale erklärt, kursiert als „Pallywood“-Video, das angeblich lebende Leichen zeigt. Dabei ist es eine Art Anleitungsvideo, in der eine Bestattung nachgestellt und erklärt wird, wie Leichentücher gewickelt werden. Immer wieder werden auch Video oder Bilder von Menschen, die sich mehr oder weniger ähneln, hergenommen, um zu beweisen, dass jemand gar nicht verletzt oder tot sein könne oder mehrmals in unterschiedlichen Videos vorkommt.

Eine Gemeinsamkeit dieser Unterstellungen ist, dass einerseits behauptet wird, die Palästinenser würden aufwändig falsche Bilder von Toten und Verletzten produzieren, anderseits wird aber impliziert, sie seien zu schlampig oder gar zu dumm, um zu erkennen, dass auf den eigenen Aufnahmen die Toten erwachen.

Zerstörtes Gebäude in Rafah / Gazastreifen

APA/AFP/MOHAMMED ABED

Das geleugnete Leid

Die gefälschten Fake News leugnen einerseits das palästinensische Leid, andererseits muss man selbst den Kontext des Gaza-Kriegs ausblenden, um solche angeblichen „debunkings“ überhaupt glaubhaft zu finden. Bisher wurden im Gaza-Streifen mehr als 18.000 Menschen getötet. Mehr als 7000 von ihnen sind Kinder. Die israelische Armee hat ihren eigenen Angaben zufolge mehr als 22.000 Ziele im Gaza-Streifen angegriffen.

Nur wer diesen Kontext außer Acht lässt, kann, wie in den oben beschriebenen Fällen, wissentlich oder unwissentlich in jeder Darstellung des Leids eine mögliche List vermuten. Und dann erscheint eben der im ZiB-2-Bericht gezeigte besorgte Vater, der seiner verletzten Tochter wohl andeutet, sie möge sich wieder hinlegen, damit sie sich nicht überanstrengt, wie ein Betrüger, der sie daran erinnert, dass sie ja eine Leiche spielen soll.

Das soll natürlich nicht bedeuteten, dass es keine Fake News oder manipulative Videos im Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza gibt. Immer wieder tauchen Videos auf, die eigentlich Szenen in Syrien zeigen, auch KI-generierte Bilder kursieren und werden tausendfach geteilt. Das ist eine Dynamik, die wir aus anderen Konflikten kennen. Auch im Ukraine-Krieg sind Videos aus dem syrischen Bürgerkrieg aufgetaucht, trotzdem zweifeln zumindest seriöse Medien nicht an der Echtheit und der Brutalität des Ukraine-Kriegs.

Die Bilder werden nicht nur zu Propaganda-Zwecken geteilt, es geht häufig um Likes und Aufmerksamkeit. Im Zeitalter der Livestreams und Smartphones gibt es eine große Nachfrage nach Bildern und diese Nachfrage wird immer wieder auch mit falschen Bildern befriedigt.

Den einzelnen tatsächlichen Fake-Videos aus Gaza steht eine enorme Fülle von glaubwürdigen und verifizierten Videos, Fotos und Berichten gegenüber, die das palästinensische Leid dokumentieren. Diese Bilder sind oft sehr grausam - und meistens sind das leider Bilder, denen wir trauen können.

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