Teenage Graceland
Von Pia Reiser
Beaulieu heißt schöner Ort und es ist der Nachname der 14jährigen Priscilla, die mit ihrer Familie an einem nicht wirklich schönen Ort lebt. Priscillas Stiefvater ist Offizier der US Air Force und Ende der 1950er Jahre bei Wiesbaden stationiert, die Familie ist aus den USA mitgekommen. Ebenfalls bei Wiesbaden leistet Elvis Presley seinen Militärdienst ab.
Als Priscilla Elvis kennenlernt ist sie 14, als sie zu ihm auf das legendäre Anwesen Graceland zieht 17, als sie ihn heiratet 22 und als sie ihn verlässt 27. Diesen Bogen einer jungen Frau, die sich nicht nur in den damals alles überscheinenden größten Star verliebt, sondern ihn auch heiratet, den erzählt Sophia Coppola in „Priscilla“. Leicht wäre es gewesen, Elvis zu dämonisieren, doch was Coppola an dieser Geschichte fasziniert, ist Priscilla Presleys Blickwinkel auf ihre durchaus sehr ungewöhnliche Jugend, ihre Beziehung mit Elvis - und wie sie davon in ihren 1985 erschienenen Memoiren „Elvis & Me“ erzählt.
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„Priscilla“ beginnt mit einem nackten Frauenfuß mit lackierten Zehennägeln auf weißem Flauschteppich, es ist ein Bild wie aus einem Sophia Coppola-Lehrbuch. Seit ihrem ersten Film „The Virgin Suicides“ begibt sich Coppola immer wieder in die Herzen, Köpfe und Zimmer von jungen Frauen, die in einem Moment zwischen Ennui und Melancholie hängen und die oft fremdbestimmt sind.
Von Beginn an ist Coppola eine Meisterin darin, ihre sad girls in Momenten der Verlorenheit, der Schwärmerei und des Zweifelns zu inszenieren - und das am eindrucksvollsten in Innenräumen. Coppolas Filme sind Seidenvorhänge und Baumwollnachthemden, Samtpolster, Cupcakes mit glänzender Glasur und Streusel, Hundewelpen, lange Haare und ein Kranz aus Gänseblümchen. Coppola ist grandios, wenn es darum geht, girlhood zu bebildern - oder eben ihre Versionen von girlhood.
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Die Geschichte von Priscilla Presley schreit geradezu danach, von Sofia Coppola verfilmt zu werden, weil so viele Eigenheiten aus Coppolas Filmen ohnehin schon gegeben sind. Eine Schwärmerei, eine Beziehung zu einem deutlich älteren Mann, ein goldener Käfig. Als sie zu Elvis nach Graceland zieht, gibt es dort im Grunde weniger Freiheiten als im Elternhaus in Wiesbaden.
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Priscilla macht den Abschluss an einer katholischen Schule, darf aber niemanden nach Graceland einladen. Arbeiten soll sie auch nicht, so Elvis, sie solle zuhause sein and keep the fire burning. Elvis selbst hat die meiste Zeit über left the buidling und wenn er zurückkehrt, dann wird er umringt und bejubeld von der Memphis Mafia. Was für Priscilla übrig bleibt ist, sich hübsch zu machen und auf ihn zu warten. Das ist dann schon mehr als das weltschmerzige Ennui, das ist schon ausgewachsene Langeweile für die junge Frau. Dass es für uns nicht langweilig ist, hat mit Coppolas Bildern und ihrer Erzählweise zu tun. Sie vertraut auf ein mündiges Publikum, sie muss nicht in einer Dialogszene erklären, dass das natürlich kompletter Wahnsinn ist, dass der 24jährige Popstar mit einer 14jährigen anbandelt. Oder auch die Kontrolle über ihr Aussehen übernimmt: Haare schwarz färben, mehr Eyeliner und um Himmels Willen keine Kleider mit großen Prints, so Elvis.
Jacob Elordi als rockstargewordenes towering inferno ist mit seinen 1 Meter 96 eine tatsächliche larger-than-life Gestalt vor allem im Gegensatz zur 1 Meter 55 großen Cailee Spaeny. Anders als Baz Lurhmans in „Elvis“ interessiert sich Coppola nicht für die Bühnenpersona von Elvis, erinnert uns aber doch ab und zu daran, was für eine Lichtgestalt der Popkultur Elvis war.
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Immer muffiger wird dieses Graceland, oft lässt Coppola nur wenig Licht durch schwere Vorhänge fallen und langsam, doch stetig beginnt in Priscilla etwas zu rumoren. Coppola erzählt die Geschichte einer persönlichen Emanzipation - auch - via Haare und Mode. Wenn die Haare von Priscilla wieder brauner werden und in Gloria Steinem Manier über die Schultern fallen, dann hat im Inneren eine große Entwicklung stattgefunden, die auch sichtbar ist, die aber nicht erklärt oder auserzählt werden muss. Und: Es ist trotz all der durchaus problematischen Verhaltensweisen von Elvis eine Liebesgeschichte, die erzählt wird. Nach dem wirklich nicht sehr guten „On The Rocks“ ist Sophia Coppola mit „Priscilla“ wieder ein einnehmendes Meisterwerk gelungen, die Geschichte einer Selbstbestimmung, raus aus dem musealen Puppenhaus namens Graceland.
Publiziert am 08.01.2024