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„Orquídeas“: Kali Uchis und ihre fantastische Crossover-Welt

Auf ihrem vierten Studioalbum zeigt die kolumbianisch-amerikanische Musikerin einmal mehr, was es bedeutet, Crossover-Artist zu sein - und das auf die bestmögliche Art und Weise.

Von Melissa Erhardt

„Sin amor soy una flor que esta a punto de morir“: Ohne Liebe bin ich eine Blume, die bald sterben wird. Viel mehr als diese eine Songzeile brauchen wir vielleicht gar nicht, um zu begreifen, worum es Kali Uchis seit über zehn Jahren geht: In einer Welt, in der alles vorbeirast, in der alles drunter und drüber geht – in dieser Welt zieht sich Kali Uchis lieber zurück in ihre eigene Fantasiewelt.

Eskapismus, Nostalgie, Leidenschaft; das alles war schon immer zentral im musikalischen Werk der 29-jährigen Musikerin. In ihrem letzten Album „Red Moon in Venus“ treibt Kali Uchis das an die Spitze, ermutigt ihre Hörer:innen, mit ganzem Herzen zu lieben. Da wünscht sie geliebten Menschen, die aus ihrem Leben gehen, nicht Böses, sondern Rosen, da zwitschern die Vögel und zirpen die Insekten, da gibt es keine Bitterkeit, weil man sich dafür zu sehr selbst liebt und achtet. Wholesome, das ist so ein Wort, das einem da in den Sinn kommt.

Kali Uchis’ Garten Eden

Diese Vision baut Kali Uchis auch auf ihrem vierten Studioalbum „Orquídeas“ weiter aus, das nicht einmal ein Jahr nach „Red Moon in Venus“ erscheint. Es ist ein warmes und pulsierendes Album, ein eklektischer Mix aus karibischen Polyrhythmen, 90er House und verträumten Synth-Pop, immer aber mit dem typischen Kali Uchis Fingerprint: Ihre charakteristischen, fast schon himmlischen Vocals, der (neo-)soulige Ansatz, die hyperfeminine Energie.

Die 14 Tracks sind eine Art Rückbesinnung auf das Romantische, Uchis’ eigener Garten Eden, den sie sich gebaut hat, um klarzukommen mit dem Leben, das einem oft dazwischenfunken kann. Aufgewachsen in einer Migrafamilie irgendwo zwischen Virginia in den USA und Pereira, einer kleinen Stadt am Fuß der Zentralkordilleren Kolumbiens, hat Uchis nicht die einfachste Kindheit.

In Interviews spricht sie immer wieder von familiären „abuse“, ein Grund, warum sie sich damals schon in ihre Gedanken zurückzieht, schreibt und sich von der Realität abkapselt. Als Teenager wird sie von ihren Eltern rausgeworfen, jobbt im Supermarkt und schläft bei Freund:innen oder in ihrem Subaru, in dem sie auch ihr erstes Mixtape produziert. Menschen wie Snoop Dogg oder Tyler the Creator werden schnell auf sie aufmerksam, dass sie mit ihrer Musik einmal aber so viel Erfolg haben würde, glaubt sie nicht – bis heute. „Hier unten, in dieser materiellen Welt, bin ich kein Popstar, aber ich bin international“, singt sie auf „Heladito“, ein Song auf „Orquídeas“, der uns instant in Kali Uchis’ „Por Vida“ Chillwave-Ära ins Jahr 2015 zurückkatapultiert.

Deep Dive in der Latin Welt

„Orquídeas“ ist Kali Uchis zweites Latin Album, der Nachfolger von „Sin Miedo (del amor y otros demonios)“ quasi, auf dem sie ihrer Latina-Identität bereits ausreichend Spielraum gegeben hat. Sie habe sich nie akzeptiert gefühlt, weder in Lateinamerika noch in den USA, postet sie einmal auf Instagram - und wahrscheinlich wäre es genau deshalb so „unauthentisch“, nur in einer Sprache Musik zu machen, wie sie es in diversen Interviews erzählt.

Es ist eine Weile her, seit eine Latinx-Künstlerin beschlossen hat, sowohl auf Englisch als auch auf Spanisch durchzustarten – und in beiden Sprachen und beiden musikalischen Traditionen tatsächlich auch erfolgreich ist. Da ist natürlich Shakira Anfang der 2000er und 2010er, sprechen wir aber von Latinx in den USA, gibt es da eigentlich nur Selena Quintanilla: Enkeltochter mexikanischer Einwanderer, geboren und aufgewachsen in Texas, Anfang der 90er berühmt geworden für ihre Tejano-Cumbia-Klassiker wie „Como la Flor“ oder „Amor Prohibido“. Bevor Quintanilla aber ihr erstes bilinguales Album veröffentlichen kann - ein Mix aus Tejano, Pop, R’n’B und Cumbia - wird sie mit nur 23 Jahren auf dramatische Weise von der Präsidentin ihres eigenen Fanclubs erschossen. Das Album erscheint posthum trotzdem, Quintanilla geht in die Geschichte ein.

Kali Uchis tritt gewissermaßen in Selenas Fußstapfen - und bohrt noch tiefer rein. Fast schon nahtlos wechselt sie auf „Orquídeas“ zwischen Englisch und Spanisch („Cuando estoy feliz, that’s why you’ll do whatever for me / I guess I’m just spoiled, yo merezco todo lo mejor“) und taucht tief ein in den unendlichen Pool der lateinamerikanischen Musikwelt: Da ist „Te Mata“, ein dramatischer Bolero über die Flucht aus einer toxischen Beziehung, nachdem man endlich seinen eigenen Wert erkannt hat, oder "Muñekita“ und „Labios Mordidos“: Pulsierende Reggaeton bzw. Dembow-Tracks auf denen Kali Uchis ihre luxuriöse High-Femme-Energy channeled und absichtlich dick aufträgt. Eine Annäherung an kubanischen Són hören wir auf „Tu Corazón Es Mio …“ (an dem übrigens auch der Österreicher Jakob Rabitsch mitproduziert hat) Kalis eigene Version von dominikanischem Merengue der 90er auf dem Outro „Dame Beso / Muévete“ - inklusive Tempo-Switch, der auch die älteste Generation nochmal zum Tanzen bringt.

„Orquídeas“ ist, wenn wir so wollen, also das Produkt der Diaspora-Welt, in der Kali Uchis groß geworden ist und die auch Millionen anderer Latinx in den USA prägt und formt. Um das Ganze abzurunden, holt sich Kali die Latin Popstars der Stunde mit ins Boot: Die Kolumbianerin Karol G, die 2023 das wohl erfolgreichste Jahr in der Latin Welt hatte, Peso Pluma, der Mexikaner mit der wohl markantesten (und umstrittensten) Stimme, Dembow-King El Alfa, oder Reggaeton-Superstar Rauw Alejandro.

Damit zeigt Kali Uchis ein weiteres Mal, was für eine herausragende Musikerin ist - und was für ein gutes Vorbild noch dazu. Denn: Welchen großen Popstar gibt es da draußen, der seinen Fans auf allen möglichen Kanälen mitteilt: Passt auf euch auf, Fame und Viralität sind nicht echt, ebenso wenig wie Geld und Materielles - worauf es ankommt, ist Gesundheit, echte Liebe, Empathie und ein gutes Herz? Eben. Protect Kali Uchis at all costs.

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