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Cover von "Die Rassistin" von Jana Scheerer

Schöffling & Co

Let’s get some popcorn: „Die Rassistin“ bringt Netzdebatten auf den Punkt

Nix Genaues weiß man nicht, aber das hält niemanden davon ab, eine Meinung zu haben: in ihrem satirischen Roman „Die Rassistin“ spielt Jana Scheerer auf unterhaltsame und scharfsichtige Weise eine erhitzte öffentliche Debatte durch.

Von Jenny Blochberger

Nora Rischer ist Sprachwissenschaftlerin und eine von den Guten: sie hilft ihren Studierenden weiter, wenn die Unsinn daherreden, sie ist gegen Diskriminierung jeglicher Art und - ein identitätspolitischer Bonuspunkt - mit einer Frau verheiratet. Früher wurde sie sogar selbst diskriminiert, als Jugendliche wurde sie nämlich wegen ihres Gewichts verspottet! Nochmal ein Bonuspunkt für fatgeshamed-werden. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, auf welcher Seite Nora Rischer steht: auf der richtigen.

Der Vorfall

Und dann macht ein Gerücht die Runde, irgendwo an ihrer Uni wäre es zu einem rassistischen Vorfall gekommen, und plötzlich wird alles an Rischer hinterfragt, von ihren Unterrichtsmethoden bis zu einzelnen Sätzen, die sie als Teenager gesagt hat. Der eigentliche Vorfall in ihrem Seminar wird eher beiläufig behandelt; die potentiellen Betroffenen, eine Gruppe chinesischer Studierender, kommen selbst überhaupt nicht zu Wort. Die ganze Empörung dreht sich ums Hörensagen und um die subjektiven Schilderungen mancher Anwesenden und vor allem von Menschen, die gar nicht dabei waren, aber auf jeden Fall eine Meinung dazu haben.

Ja, sagt Rischer, absolut. Diversität ist natürlich wichtig, aber wenn das Sprachniveau zu divers ist -
Zu divers, Frau Rischer?
Zu heterogen, meine ich, wenn das Sprachniveau zu heterogen ist, wird es schwierig - sehr viele der internationalen Studierenden sprächen allerdings auf sehr hohem Niveau Deutsch, betont Rischer, das müsse gesagt werden, Rischer atmet tief ein, die aller- aller- allermeisten sogar sprechen auf sehr hohem Niveau Deutsch, also im Prinzip fast alle sprechen auf sehr hohem Niveau Deutsch, fast alleallealleallealleallealleallealle -
Rischer hat sich festgefahren wie eine kaputte Schallplatte!, bemerken die Vinylliebhaber*innen unter uns.

Portrait Jana Scheerer

Maximilian Merz

Jana Scheerer, geboren 1978 in Bochum, lebt in Berlin und hat Germanistik, Amerikanistik und Medienwissenschaft studiert. Sie schreibt neben Romanen für Erwachsene auch Kinder- und Jugendbücher. Ihr aktuelles Buch „Die Rassistin“ (224 Seiten) ist im Verlag Schöffling & Co erschienen.

Her mit dem Popcorn!

Jeder und jede mischt sich ein: Rischers Kolleg:innen und Studierende, ihre Ehefrau, aber auch das Figurenpersonal der Metaebene: denn, so leitet Autorin Jana Scheerer das Buch ein, sie hätte den Roman gar nicht selbst geschrieben, sondern habe mit dem eigentlichen Autor vereinbart, ihren Namen auf den Buchdeckel zu setzen, da Bücher von Autorinnen im Moment besser gingen. Also kommen auch der fiktive Autor sowie dessen Ehemann, sein Proktologe und das woke Nachbarsmädchen zu Wort. Es ist, als dürfe man eine Angelegenheit nicht als erledigt betrachten, bevor nicht absolut jede:r einzelne eine Meinung dazu abgesetzt hat, wie unqualifiziert auch immer.

Weint Rischer?, fragen einige von uns interessiert.
Rischer erschrickt. Hat sie nicht vor Kurzem noch gelesen, dass es eine typische Strategie weißer Cis-Frauen ist, angesichts eines Diskriminierungsvorwurfs in Tränen auszubrechen?
Rischers Kopf läuft dunkelrot an, berichten diejenigen von uns, die gerade einen besonders guten Blick auf Rischer haben.
Schämt Rischer sich endlich anständig? Das wäre ja nicht schlecht, finden viele. Nee, wofür sollte Rischer sich denn schämen?, fragen andere. Ihr solltet euch schämen, Rischer so vorzuverurteilen!

Die Stimmen, die sich in Rischers Kopf zu Wort melden, spielen die sich endlos verzweigenden medialen Diskussionen meisterhaft durch. Rischer hinterfragt jeden einzelnen Gedanken auf mögliche Problematiken - und rudert auch bei harmlosen Äußerungen zurück, damit man ihr ja nichts vorwerfen kann, verzweifelt aber darüber, dass sie schlussendlich dann tatsächlich gar nichts mehr sagen kann als die banalsten, auf-gar-keinen-Fall-irgendwo-aneckenden Plattitüden - und auch da ist man besser immer am letzten Stand, was die aktuell korrekten Formulierungen betrifft. Dass man „gar nichts mehr sagen kann“ ist selbstverständlich in den Augen der Öffentlichkeit einfach nur lächerlich, immerhin hat man grad was gesagt. Und auf gar keinen Fall darf man versuchen, sich mit einer Nonpology aus der Affäre zu ziehen.

Diskursive Massenschlägerei

Die immer wiederkehrenden Debattenmuster, die ständigen Ablenkungen, die Leute, die in jeder Diskussion nur ihre eigene Agenda anbringen wollen, die, die mit Popcorn dabei sitzen und zum Spaß manchmal einfach nur ein bisschen Öl ins Feuer gießen und diejenigen, die mittendrin die Spielregeln ändern: an keinem Punkt geht es um die möglicherweise Gekränkten, sondern nur ums Mitmischen in einer diskursiven Massenschlägerei, die nur vordergründig auf gesittete Umgangsformen pocht, in Wirklichkeit aber rein auf Selbstdarstellung abzielt. Scheerer legt mit Witz und fliegend wechselnder Perspektive die Strukturen dahinter frei und zeigt auch, wie schnell man der Selbstzensur erliegt, wenn man sich als Angeklagte wähnt. Wobei, ehrlich: so schwer kann das doch nicht sein, einfach mal Betroffenen zuzuhören/die richtigen Worte zu verwenden/sich ehrlich zu entschuldigen! Richtig?

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