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Die neue Musikplattform Even will Artists fair bezahlen

Streamingdienste wie Spotify & Co. sind - vor allem für kleine Artists - nicht nachhaltig und fair. Das weiß auch der New Yorker Enrique „Mag“ Rodriguez – und hat deshalb die Plattform Even ins Leben gerufen.

Von Melissa Erhardt

0.0033 Euro bekommen Artists im Durchschnitt für einen Stream auf Spotify (also etwa einen Euro für 300 Streams). Dass das nicht nachhaltig ist, ist Jahr für Jahr erneut Thema, spätestens dann, wenn der Streaming-Riese Spotify gegen Ende des Jahres mit „Wrapped“ sein größtes Marketinginstrument ausrollt und die Frage nach Fairness wieder ins Zentrum rückt.

Kleine Artists haben in diesem Streaming-System kaum eine Chance, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Das bringt Musiker und Parodist Weird Al Yankovic Ende 2023, wenn auch etwas überspitzt, auf den Punkt. Aber auch Artists, die vielleicht das Glück haben, von irgendeinem Internet-Kid „entdeckt“ zu werden und in der Folge einen viralen Hit mit Millionen an Streams landen, werden oft schnell enttäuscht.

„Artists wissen genau, was sich hinter der Fassade verbirgt. Beim ersten Mal ist es vielleicht noch aufregend, wenn sie eine Million Streams erreichen. Wenn es dann tatsächlich zur Auszahlung kommt, merken sie: Hunderttausende Menschen haben meinen Song gehört, aber ich verdiene damit nur ein paar tausend Dollar“, sagt Mag Rodriguez im FM4 Interview.

Der 29-Jährige arbeitet seit über zehn Jahren in der Musikindustrie, seit zwei Jahren werkelt er an Even, einer Musikplattform, mit der er Fairness in die Industrie zurückbringen möchte. Das Modell ist einfach: Bevor Artists ihre Alben, EPs oder Singles auf Spotify & Co. veröffentlichen, stellen sie sie zum Verkauf auf Even.

Fans können dort also vorab ein Album streamen und haben dann – je nach Artist und Release - exklusiven Zugang zu Merch, Tickets, Musikvideos und anderen Goodies.

Der kalifornische Rapper LaRussell zum Beispiel bietet sein Album „Rent Due“ mittels pay what you want an, sucht aus allen kaufenden Fans aber ein paar aus, die er dann an den Streaming-Tantiemen des Albums beteiligt. IAMDDB gibt Fans, die mehr als 50 Pfund für ihr neues Album zahlen, die Chance, ein Meet & Greet und eine Vinylplatte zu erhalten, und Amindi verlost unter allen kaufenden Fans eine „VIP Experience“ in L.A. und eine Einladung zu einer virtuellen Release Party.

„Stell dir Even vor wie die Kinopremiere, und das Streamen ist dann Netflix“, sagt Rodriguez: „Nicht jeder will bezahlen, um einen Film im Kino zu sehen, manche warten einfach, bis der Film auf Netflix ist. Aber genauso gibt es Fans, die sagen: Ich kann es kaum erwarten, dieses Album anzuhören. Gleichzeitig fühlen sie sich gut, weil sie wissen, dass sie mit dem Kauf ihre Lieblingskünstler:innen direkt unterstützen.“

Even setzt also dort an, wo Bandcamp vielleicht bald eine Lücke hinterlassen könnte: Auch Bandcamp ist durch den Direct-to-consumer-Ansatz groß geworden: 10 bis 15 Prozent der Umsätze behält Bandcamp, der Rest geht an den Artist. Seit die Plattform aber von einem US-amerikanischen Techkonzern aufgekauft wurde, ist ihre Zukunft ungewiss.

Even behält 20 Prozent der Umsätze, die Artists sollen täglich ausgezahlt werden. Den (Mindest-)Preis für ihre Releases können die Artists selbst festlegen, im Durchschnitt verdienen sie laut Mag Rodriguez 1,25 Dollar pro Stream.

Noch befindet sich die Plattform in der Beta-Version, der offizielle Launch inklusive App erfolgt im März. Bisher hat Mag Rodriguez und sein Team erst 5.000 Artists für die Plattform zugelassen, darunter größere Namen wie French Montana, IAMDDB oder das ehemalige Fifth-Harmony-Mitglied Lauren Jauregui.

Im Interview Anfang Februar sagt Rodriguez, auf der Warteliste stünden bereits 28.000 Artists, die Zahl erweitere sich täglich um 100 bis 150 Namen. „Wir führen gerade Gespräche mit den größten Künstler:innen auf unserem Planeten, aus den verschiedensten Genres. Sei also nicht überrascht, wenn du dieses Jahr das Album deines Lieblingsartists zuerst auf Even siehst.“

Foto Mag Rodriguez

Mag Rodriguez, EVEN

Mag Rodriguez: „Stell dir Even vor wie die Kinopremiere, und das Streamen ist dann Netflix.“

Mag Rodriguez im Interview

Radio FM4: Du hast vor zwei Jahren mit Even begonnen, im März folgt der offizielle Launch. Was war die Idee dahinter?

Mag Rodriguez: Ich habe zwölf Jahre in der Musikbranche gearbeitet und einen großen Teil meiner Zeit damit verbracht, Künstler:innen als Mentor zu helfen, ihnen Tools anzubieten und sie mit Leuten zu connecten. Ich hab mit Hunderten von Künstler:innen gearbeitet und ihnen immer dieselbe Geschichte erzählt: Der einzige Weg zu einer erfolgreichen Karriere besteht darin, deine Musik auf Streaming-Plattformen hochzuladen. Dabei hätte ich ihnen eigentlich sagen sollen: Gründe eine Community um dich herum, kreier eine Fanbase und belohne diese Fanbase. Mit der Zeit werden so aus hundert Hörer:innen tausend werden, aus tausend zehntausend und so weiter und so fort. Aber Streaming und das Internet haben uns dazu gebracht, viele dieser Schritte zu umgehen. Dorther kam die ursprüngliche Idee von Even. Wie können Artists ihre Musik direkt an ihre Fans verkaufen, bevor sie sie auf Streaming-Plattformen hochladen? Wie können wir daraus ein echtes Tool machen? Nach vielen Überlegungen und Gesprächen mit Leuten wurde daraus Even.

Radio FM4: Even ist also keine Streaming-Plattform, sondern ergänzt Streaming-Plattformen?

Mag Rodriguez: Richtig. Es ist nicht Even oder Streaming, es ist Even und Streaming. Also stell dir Even vor wie die Kinopremiere und das Streamen ist dann Netflix. Man spricht also zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen an: Nicht jeder Fan will bezahlen, um einen Film im Kino zu sehen, manche warten einfach, bis der Film auf Netflix ist. Aber genauso gibt es Fans, die sagen, ich kann es kaum erwarten, mir dieses Album anzuhören. Gleichzeitig fühlen sie sich gut, weil sie das Album kaufen und wissen, dass sie damit ihre Lieblingskünstler:innen direkt unterstützen. Dann gibt es noch die zusätzliche Ebene der Verbundenheit, weil der Fan die Chance hat, direkt mit den Artists interagieren zu können.

Radio FM4: Du hast vorhin erzählt, dass du Künstler:innen oft geraten hast: Der einzige Weg zu einer erfolgreichen Musikkarriere geht über Streaming-Plattformen. Und tatsächlich sind in unserer aktuellen Kultur die Anzahl von Streams zu einem wichtigen Maßstab für den Erfolg von Künstler:innen geworden. Wenn jetzt zum Beispiel eine IAMDDB ihr Album zuerst auf Even verkauft und erst später auf Streaming-Plattformen stellt, führt das womöglich dazu, dass sie am Ende weniger Streams auf den gängigen Plattformen hat. Könnte das auch zu einem Nachteil werden?

Mag Rodriguez: Das können wir auf zwei verschiedene Arten betrachten. Verwenden wir IAMDDB als Beispiel. Ihre Kampagne war etwas aggressiver als das, was wir vielleicht empfehlen würden. Aber wir haben uns natürlich gefreut, sie bei ihrer „Mission“ zu unterstützen. Sie hat gesagt: Ich möchte all meine Singles und mein Album direkt für meine Fans veröffentlichen. Streaming kommt an zweiter Stelle, wann immer ich bereit dazu bin. Das hat dazu geführt, dass sie ihr Album auf Even veröffentlicht hat, Monate, bevor es auf Streaming-Plattformen erhältlich ist (Anm: IAMDDBS Album „Love Vol. 6“ ist Ende Dezember auf Even erschienen, auf Streaming-Plattformen erscheint es am 29. Februar).

IAMDDB weiß aber, was hinter der Fassade steckt. Viele Artists wissen, was hinter der Fassade steckt. Beim ersten Mal ist es vielleicht noch aufregend, wenn sie eine Million Streams erreichen. Wenn es dann tatsächlich zur Auszahlung kommt, merken sie: Hunderttausende Menschen haben meinen Song gehört, aber ich verdiene damit nur ein paar tausend Dollar. The math doesn’t really add up for artists. IAMDDB konnte mit ihrer Kampagne mehr Geld verdienen, profitiert aber auch von der direkten Verbindung zu ihren Fans. Sie weiß, wer ihr Kernpublikum ist. Das sind die Leute, die Merch kaufen, die Tourtickets kaufen. Sie weiß genau, wo sie sind und wie sie sie erreichen kann. Und für eine Künstlerin wie IAMDDB, die seit fünf, sechs Jahren Musik veröffentlicht und quasi alle Seiten der Branche gesehen hat, entspricht das mehr ihrem künstlerischen Ansatz, ihrem Spirit - in der Lage zu sein, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die sie tatsächlich unterstützen wollen.

Um 20.000 Dollar zu verdienen, braucht ein Artist circa, ich weiß nicht, fünf oder sechs Millionen Streams auf Streaming-Plattformen - je nach Region etc. Auf Even braucht er oder sie weniger als Tausend Fans, die bereit dazu sind, sein/ihr Album zu kaufen. Tausend Leute bringen dir auf Even also das, wofür du auf einer Streaming-Plattform Millionen brauchst. Wenn du einfach nur eine Trophäe an der Wand haben willst, auf der steht „Ich hab eine Million Streams“… naja, es gibt bestimmt Artists, denen das wichtig ist. Es ist in gewisser Hinsicht auch wichtig, aber das muss sich auch in Daten und Einnahmen bemerkbar machen, zumindest, wenn es das Ziel ist, eine nachhaltige Karriere zu haben.

Radio FM4: Auf welche Kollaborationen bist du - neben jener mit IAMDDB - bisher besonders stolz?

Mag Rodriguez: Ehrlich gesagt, für mich beginnt es immer bei den aufstrebenden Künstler:innen. Ich liebe es, mit den Laurens und den IAMDDBs dieser Welt zu arbeiten, wir haben auch globale Artists wie French Montana, Omarion oder LaRussell und diese Liste von riesigen, großartigen Künstler:innen wächst jeden Tag. Es fühlt sich fast surreal an, mit ihnen zu arbeiten, Gespräche mit ihnen zu führen (lacht). Aber der wirkliche Impact, das, was mich stolz auf meine Arbeit macht, ist wenn ein Artist, der noch nie einen Dollar mit seiner Musik verdient hat, auf einmal 1.000 Dollar an einem Tag bekommt.

Ich verwende gerne das Beispiel einer Künstlerin, mit der wir zusammenarbeiten. Sie ist Mutter von drei Kindern, macht seit über 15 Jahren Musik und hat mit dem Streamen 50 Dollar pro Monat verdient. Wir haben ihr geholfen, in einem Monat 32.000 Dollar mit ihrer Musik zu verdienen. Das ist es, wo der eigentliche Impact deutlich wird, worüber ich mich wirklich freue: Wenn wir Artists, die mit dem Streaming-Business kaum über die Runden gekommen sind, helfen können, nachhaltige Karrieren aufzubauen, womit sie ihren Lebensunterhalt sichern können.

Radio FM4: Wo siehst du Even in zwei Jahren?

Mag Rodriguez: Ich will, dass wir in zwei Jahren mit Even Hunderten und Tausenden von Künstler:innen aus der ganzen Welt helfen, von ihrer Musik leben zu können. Wir sehen das deutlicher denn je. Vor zwei Jahren, als wir mit Even angefangen haben, haben die Leute gedacht, wir sind verrückt. Ich hab Leute in der Branche angerufen, die ich seit Jahren kenne, und sie haben gesagt: Mag, was machst du? Du versuchst ernsthaft Musik zu verkaufen? Tu das nicht! Und jetzt, wo Wörter wie Superfans und Direct-to-consumer zu Buzzwords in der Branche geworden sind, rufen mich dieselben Leute an und fragen: Mag, woher hast du gewusst, dass das passiert?

Ich denk mir: Alles, was man dafür machen hat müssen, war die Augen zu öffnen und zu sehen, dass Künstler:innen nicht überleben, dass sie darum kämpfen, über die Runden zu kommen. Für mich soll Even kein afterthought sein, es soll der erste Gedanke sein: Wenn ich meine Release-Kampagne starte, veröffentliche ich zuerst direkt für meine Fans, bevor ich dann auf Streaming-Plattformen hochlade. Wir führen gerade Gespräche mit den größten Künstler:innen auf unserem Planeten, aus den verschiedensten Genres. Sei also nicht überrascht, wenn du dieses Jahr das Album von deinem Lieblingsartist zuerst auf Even siehst, bevor es auf Streaming-Plattformen verfügbar ist.

Ich hoffe, die Leute sehen es nicht nur als Money-Grab. Die meisten Künstler:innen machen das nicht nur, weil sie Geld verdienen wollen. Sie tun es auch, weil sie mit ihren Fans in Kontakt treten wollen, und zwar auf eine Art, die bisher noch nicht möglich war. Also ja, das ist ein Zweijahresziel, aber das kann auch ein Fünf- oder Zehnjahresziel sein. Füg einfach zusätzliche Nullen dazu, wenn es darum geht, wie vielen Künstler:innen wir jedes Jahr helfen wollen (lacht).

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