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Ali Junejo und Alina Khan im Spielfilm "Joyland": Sie sitzen nebeneinander und lächeln verliebt.

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Filmisches Wetterleuchten gegen das Patriarchat

In Pakistan konnte „Joyland“ nur kurz und in größeren Städten im Kino laufen. Im Westen wird das Spielfilm-Debüt von Saim Sadiq gefeiert. Hinreißend und elegant, zärtlich und realistisch erzählt er eine queere Liebesgeschichte im Patriarchat.

Von Maria Motter

Jede Nacht liegt ein Kleinkind im Bett bei Mumtaz mit ihren schönen Locken und bei Haider, der keiner Ziege etwas zuleide tun kann. Sein großer Bruder ist da weniger zimperlich. Ein dünner Vorhang trennt das Bett von anderen Räumen, drei Generationen leben unter einem Dach und das Licht fällt in jeder Szene wunderbar auf das Leben der Charaktere. „Joyland“ ist ein intimes Porträt von Liebe und ihrem gesellschaftlich akzeptierten Idealbild im heutigen Pakistan. Regisseur Saim Sadiq nennt seinen ersten Spielfilm „a heartbroken love letter to my homeland“.

„Joyland“ spielt in Lahore, der mit geschätzten 14 Millionen Einwohner:innen zweitgrößten Stadt in Pakistan.

Sex würde das Kind wecken, behauptet Haider, also tauscht sich das Ehepaar im Flüsterton über den kleinen Gast hinweg über den Alltag aus. Dass er in seinem neuen Job jemandem begegnet ist, der ihn ziemlich fasziniert, sagt Haider noch nicht. Doch am Moped transportiert er schon den überlebensgroßen Aufsteller seiner Chefin durch die Stadt.

Es ist nicht ihr Kind, das da tief und fest schläft. Haiders Schwägerin hat gerade ihr viertes Kind bekommen, seine Nichten drängen sich in einer der ersten Szenen um ihn. Die Verwirrung, wer hier wie mit wem in welcher Beziehung steht, ist bald gelöst. Witzig, lieb und zugleich im Kern bitter realistisch und furchtbar traurig sind viele Szenen in „Joyland“.

Szene aus dem Spielfilm "Joyland": Ein Mann transportiert eine überlebensgroße Aufstellfigur einer Tänzerin am Moped.

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„Joyland“ läuft jetzt in Kinos in Österreich.

„Joyland“ ist großartig gespielt

Während die konservative, streng patriarchalisch dominierte Familie besser nicht allzu viel über Haiders Job erfährt, ist das Publikum bei ihm, als er in einem Etablissement anheuert, einer Art erotischem Tanztheater. Zehn Theater dieser Art gebe es in Lahore, genau so viele Kinos gebe es in der Stadt, sagte Regisseur Saim Sadiq in Cannes. Frauen tanzen, Männer hängen auf Holzstühlen, begutachten die Darbietungen und klatschen. Oder sie buhen Biba aus: Der Trans-Tänzerin werden nur Auftritte in den Pausen zwischen Darbietungen anderer gewährt. Aber Haider ist jetzt im Team Biba, er will und muss sich als Backgroundtänzer beweisen. Biba ist von dem Neuzugang teils amüsiert, teils angetan und trainiert mit ihm die Choreografien.

Die zärtliche Annäherung zwischen der selbstbewussten Biba (gespielt von der transgender Schauspielerin Alina Khan) und dem fürsorglichen, umsichtigen Haider (Ali Junejo) feierte seine Premiere als erster pakistanischer Film im Wettbewerb in der Geschichte der Festspiele in Cannes mit Standing Ovations. Saim Sadiq gewann den Preis der Jury der Sektion „Un certain regard“ und die Queere Palme.

Zwei Ehefrauen beim Wäscheaufhängen auf einem Dach in einer Stadt in Pakistan. Szene aus dem Spielfilm "Joyland".

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„Joyland“

Aus dem Bild gedrängt

„Joyland“ ist der erste pakistanische Spielfilm mit einer Trans-Person in der Hauptrolle, sagt Alina Khan im FM4-Interview, und gebildete Menschen würden sie auch in ihrer Heimat auf den Film ansprechen und die Problematik verstehen. Sie hat keine Schauspielschule besucht. Die genaue Figurenzeichnung im Drehbuch hat ihr bei ihrer Interpretation der Biba sehr geholfen und sie wollte sie möglichst realistisch darstellen.

Das Drama spielt sich in „Joyland“ nicht im Tanztheater, sondern zuhause ab. Während Haider sich Tanzschritt für Tanzschritt von seiner Familie entfernt, wird die Welt seiner Ehefrau Mumtaz (absolut glaubwürdig: Rasti Farooq) immer kleiner. Ihrer Arbeit als Kosmetikerin darf sie nicht mehr nachgehen, das verbietet ihr Haiders Familie. Ihr sind nur vertrauliche Gespräche beim Wäscheaufhängen und ein Ablenkungsversuch im nahen Vergnügungspark - daher der Titel „Joyland“! - gegönnt. Wie Mumtaz in dieser Geschichte übersehen wird, ja regelrecht aus dem Bild gedrängt scheint, realisiert auch das Publikum zu spät.

Saim Sadiqs „Joyland“ ist am Ende ein beinhart realistisches, erschütterndes Drama mit großartigem Cast. Für alle, die im Film voreilige Schlüsse ziehen und in die Falle tappen, die Saim Sadiq hier gebaut hat, zurrt er die Handlung in den letzten Szenen fest zusammen und zieht jeder Schuldzuweisung an einzelne Personen den Boden unter den Füßen weg.

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