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Country, Identität und Beyoncé

SMI/Columbia

Ein wilder Genre-Ritt durch die Sounds des US-amerikanischen Südens

So wie sie es angekündigt hatte, ist es auch gekommen: „This ain’t a Country Album. This is a Beyoncé Album.“ „Act ii: Cowboy Carter“ ist eine Mischung aus Country, Pop, Folk, R’n’B, klassischem Rock’n’Roll, Gospel, Psychedelic Rock und viel mehr geworden.

Von Dalia Ahmed

Vor dem Album-Release hatte Beyoncé in einem Instagram Posting zum Album geschrieben, dass ein Erlebnis, bei dem sie sich ausgeschlossen fühlte, der Stein des Anstoßes für dieses Album war. „It was born out of an experience that I had years ago where I did not feel welcomed… and it was very clear that I wasn’t.“

Viele gehen davon aus, dass sie sich auf ihren Auftritt 2016 bei den Country Music Association Awards bezieht. Dort performte sie gemeinsam mit The Chicks (vormals: The Dixie Chicks) ihren Countrysong „Daddy Lessons“. Im Saal und online wurde von vielen weißen Country Fans mit Ablehnung reagiert. Natalie Maines von The Chicks erzählt in einem Interview, dass Beyoncé bei der Award Show hinter der Bühne nicht viel besser behandelt wurde. „They treated us very weird backstage (...) For them to disrespect her that way was disgusting.“

Beyoncé soll sich nach diesem Erlebnis intensiv mit der Geschichte der Country Musik auseinandergesetzt haben. Diese Recherche und Beyoncés persönliches Interesse für Americana und Western Culture, inmitten der sie als Texanerin aufwuchs, ist eine Säule von „Cowboy Carter“.

Überhaupt beinhaltet das Album ganz viele unterschiedliche Sounds, die sie beim Aufwachsen in Houston, Texas als Tochter eines Vaters aus Alabama und einer Mutter aus Louisiana mitbekommen hat.

Cowboy Culture

Auf dem Cover inszeniert Beyoncé sich als Cowboy oder vielleicht sogar als „Rodeo Queen“, eine der Schönheitsköniginnen der Rodeo Shows, die Beyoncé schon als Kind in Houston besucht hat, und wo sie selbst mit ihrer Gruppe Destiny’s Child und später als Solo-Künstlerin performt hat. Mit den Insignien einer Rodeo Queen: Cowboy Hut, Schärpe, US-Flagge und Pferd. Damit reclaimet Beyoncé auch die Cowboy Culture. Eine Kultur, die Schwarze, mexikanische, Native American und spanische Wurzeln hat. Ein Zeichen Beyoncés gegen das Whitewashing des Cowboys. Etwas, das vor allem von Hollywood, aber auch von der Countrymusik-Industrie in Nashville betrieben wurde. Laut Studien war im 19. Jahrhundert einer von vier Cowboys Schwarz. Bass Reeves, auf dem die Figur des Lone Rangers basiert, war ein Schwarzer Sheriff, der in den Western Filmen von weißen Schauspielern mit einer schwarzen Maske dargestellt wurde. Oder auch Britt Johnson, der John Waynes Figur in „The Searchers“ inspirierte, war Schwarz. Aber auch kontemporäre Cowboy Culture wird von Afro-Amerikaner:innen gelebt. In Texas oder auch in Compton, Los Angeles oder in Philadelphia gibt es heute noch „Black Riding Groups“ und Rodeos.

Die Ankündigung der Album-Tracklist kam außerdem im Stil der „Chitlin’ Circuit“ Plakate und bezieht sich auch namentlich auf diesen Zusammenschluss von Konzertvenues, Bars und Kinos, in denen Schwarze Musiker:innen, Comedians und andere Performer:innen in der Zeit der Segregation (1930-60er) auftreten konnten.

Der Chitlin’ Circuit gilt auch als die Geburtsstätte des Rock’n’Roll und ermöglichte die Karrieren von Künstler:innen wie BB King, Billie Holliday, Aretha Franklin bis hin zu Tina Turner und James Brown.

Radio spielt große Rolle

Schon vor dem „Cowboy Carter“ Release war klar, dass das Radio auch eine große Rolle auf dem Album spielen würde. Das Radio als erstes Massenmedium, das die Verbreitung unterschiedlichster Musikgenres ermöglichte, aber auch gleichzeitig als Gatekeeper fungierte, der bestimmte, was gespielt wird und was nicht und vor allem wer gespielt wird und wer nicht.

In der Entstehungsgeschichte des Countries spielt dabei das sogenannte „Border Radio“ eine wichtige Rolle. Unlizenzierte Radiosender siedelten sich zwischen den 1930ern bis 80ern im Norden Mexikos, direkt an der Grenze, an und schickten ein starkes Radiosignal Richtung Süden der USA. Diese Radiosender, die tun konnten was sie wollten, spielten die Musik Schwarzer Künstler:innen, mexikanischer Künstler:innen (vor allem Tejano Musik) und auch Country. Das zu einer Zeit als die meist von New York aus gesteuerten, US-amerikanischen Radiosender den, als „Hillbilly Musik“ betitelten, Sound aus den ländlichen Gegenden des Südens der USA nicht spielen wollten. Diese Border Radios inspirierten zig Musiker:innnen, wie z.B. Johnny Cash oder auch ZZ Top, die dem Border Radio einen ganzen Song widmen.

Das Mainstream Radio der USA diente auch lange Zeit dem Ausschluss und dem White Washing unterschiedlicher afro-amerikanischer Musikgenres. Der „King of Soul“, James Brown, umging das rassistische System, indem er Radiosender aufkaufte, um dann seine und die Musik anderer Schwarzer Musiker:innen darauf zu spielen.

Diese Selbstermächtigung via Radiowellen, aber auch der Verweis auf das Border Radio rahmt „Cowboy Carter“. Im ersten Trailer zum Album gab es ein Video in dem Beyoncé in der Wüste Texas’ mit einem Taxi herumfährt und Radiosender durchskippt. Dabei hören wir Schnipsel von Blue Yodeling, den Blues Sänger und Gitarristen Son House mit „Don’t You Mind People Grinnin in Your Face“ – eventuell auch ein Verweis auf Beyoncés Erfahrung bei den Country Awards - die Rock’n’Roll Pionierin Sister Rosetta Tharpe mit „Down by the Riverside“, Chuck Berrys „Maybelline“ und Roy Hamilton mit „Don’t Let Go“. Dieser Zusammenschnitt, der Blues und Rock Geschichte verdichtet, findet sich auch auf dem Album als „Smoke Hour ii“. „Smoke Hour“ ist auf „Cowboy Carter“ eine fiktive Radio Show, die vom Country Star Willie Nelson moderiert wird und an zwei Stellen von „Cowboy Carter“ als Skit aufpoppt.

Afro-amerikanische Kultur und Musik als treibende Kraft US-amerikanischer Mainstream Kultur, von Country, über Rock bis hin zum Cowboy Mythos, die Macht des Massenmediums (Radio), der Chitlin’ Circuit, also der Kampf Schwarzer Künstler:innen um Arbeitsmöglichkeiten und Respekt im Süden der USA, bilden die Eckpfeiler des Albums.

Aber wie klingt es?

Auf dem Eröffnungstrack „Ameriican Requiem“ geht es direkt los mit den musikalischen Referenzen, Inspirationen und Elementen, die Beyoncé auf jedem der „Cowboy Carter“ Songs kombiniert. Eine Mischung aus Folk, Psychedelic- und Blues Rock, mit Beyoncés Stimme, die die ärgsten Sachen macht, von Schreien bis aufeinandergeschichtet werden, um den wohligsten Sound zu erzeugen. Mit einem vintage 60s & 70s Sound, der kurz nach Buffalo Springfield „For What It’s Worth“, dann nach Tina Turner „Proud Mary“, dann wieder nach einem Gospel Chor mit ganz viel herzergreifendem Pathos klingt und vor allem der Versuch einer Anklage gegen den Status Quo in den USA und deren Geschichtsschreibung funktionieren soll.

Paul McCartney, 16 Carriages u.v.m.

Auf „Blackbiird“ geht es direkt weiter mit dem Folk und einem Beatles Cover. Beyoncé hält sich da recht genau an die Vorlage. Ein Song, den Paul McCartney über die Schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA geschrieben hat. Er soll beim Songschreiben konkret an die „Little Rock Nine“ gedacht haben, Schwarze Schülerinnen, die als erste an de-segregierte Schulen gegangen sind. Am Ende des Songs gibt es auch das erste Feature von „Act ii“: die Schwarze Country Musikerin, Tanner Adell, die in den letzten Wochen mit ihrem Song „Buckle Bunny“ auf TikTok viral ging. Seit der Ankündigung des Albums hatte sich schon abgezeichnet, dass nur die Ankündigung eines Beyoncé Country Albums reicht, um die Streaming Zahlen von kontemporären Schwarzen Country Musiker:innen wie Reyna Roberts, Rissi Palmer, Linda Martell oder eben Tanner Addell zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen.

Auf der Vorabsingle „16 Carriages“ singt Beyoncé den Blues mit einem Instrumental, das an die Rhythmen der „Work Songs“ erinnert, die Musik, die versklavte Menschen bei der Arbeit auf den Plantagen und später Gefangene in „Chain Gangs“ machten. Außerdem bezieht Beyoncé sich mit dem Bild der „16 Carriages“ - also die 16 LKW-langen Kolonnen, mit denen ihre Welt-Tour Produktionen unterwegs sind, auch auf eine beliebte Metapher und Zahl im Country. Elvis Presley sang schon auf „Mystery Train“ vom Zug, der 16 Wagen lang ist und sowohl Johnny Cash, als auch Tennessee Ernie Ford schleppten auf dem viel gecoverten „Sixteen Tons“ 16 Tonnen Kohle aus der Mine raus.

Auf „Protector“ geht es weiter mit einer Country-Ballade, konkret einem Wiegenlied, in dem Beyoncé für ihre Tochter Rumi singt. Ein Lied über das Muttersein, nur mit ihrer Stimme und einer Gitarre als Begleitung.

Auch Walzer gibt es auf „Cowboy Carter“ - beim Song „My Rose“. Aber nicht wie wir ihn von Johann Strauss kennen, sondern ein 3/4 Takt zu dem eher im Süden der USA „folk dancing“ betrieben wird. Auch die Mundharmonika, die von einem chinesischen Instrument inspiriert und vermutlich in den 1820ern in der Form, wie wir sie heute kennen in Wien erfunden wurde, kommt auf „Act ii“ vor.

Nächster massentauglicher Hit?

In „Bodyguard“ macht Beyoncé Mainstream-Radio tauglichen Pop-Rock mit Surf-Rock, und Yacht-Rock Beigeschmack. Eventuell der nächste „Single Ladies“-mäßige Beyoncé Überdrüber-Hit, der ein möglichst breites Publikum begeistern könnte.

Das „Jolene“ Cover wird von Dolly Parton selbst eingeleitet. Beyoncé adaptiert den Country-Klassiker und droht Jolene, statt sie anzuflehen, „ihren Mann“ nicht zu „nehmen“.

„Daughter“ zeigt wie Beyoncé viele unterschiedliche Genres mit der Western und Roots Musik kombiniert. Der bluesige Song mit einer Outlaw Erzählweise, Fado- und Flamencoeinfluss geht plötzlich zu einer italienischen Arie aus dem 18 Jahrhundert über. Der Song direkt danach, „Spaghettii“ ist dann plötzlich ein heavy Hip Hop Track auf dem Beyoncé in ihrem „Southern Drawl“, also ihrem Dialekt eine Parallele zwischen der Erzählweise des Outlaw Country und Gangster Rap aufzeigt. Mit auf dem Song ist auch der Country Hip Hop Artist Shaboozey und das Intro wird von der Schwarzen Country-Sängerin Linda Martell gesprochen. Martell landete in den 70ern ihren einzigen Hit mit dem Song „Color Him Father“ und war die erste Schwarze Frau, die als Solo-Act bei der „Grand Ole Opry“ Show auftrat. Die Grand Ole Opry war die wichtigste und am längsten laufende Country Radio Show.

Auf „Just For Fun“ bezieht sich Beyoncé auf afroamerikanische Spirituals. Gemeinsam mit dem Country-Musiker Willie Jones und einem Gospelchor geht es ums Beten und die Hoffnung.

Miley Cyrus, Post Malone & Nancy Sinatra

Statt dem erwarteten Lady Gaga Feature und „Telephone 2“ gibt es auf „Cowboy Carter“ ein Duett mit Miley Cyrus. „ii Most Wanted“ ist ein intensiver Country Love Song, der ab heute wahrscheinlich auf vielen Hochzeiten und als Duett-Fixstarter beim Karaoke-Singen laufen wird.

Auf „Levii’s Jeans“ geht es direkt weiter mit dem Country Pop, klassischen Western-Bildern und einem berühmten Feature-Gast. Gemeinsam mit Post Malone besingt Beyoncé mit einer Mischung aus R’n’B, Rockabilly und Call & Response Chants die Themen Sex, Liebe und die von einem jüdischen Migranten erfundene Blue Jeans - eventuell ein weiterer Verweis auf die diversen Begründer:innen der Americana und vielem, was man mit dem „Wilden Westen“ in Verbindung bringt.

Auf dem aufregendsten Song am Album, „Ya Ya“, kommt der „Chitlin’ Circut“ namentlich vor und es wird sowohl Tina Turner als auch James Brown oder auch Screamin’ Jay Hawkins gehuldigt. Außerdem wird Nancy Sinatra gesamplet und die „Good Vibrations“ der Beach Boys zitiert. „Ya Ya“ ist ein Song, der Rock’n’Roll, Soul, Psychedelic Rock, Beatmusik und überhaupt 60s und 70s Nostalgie feiert.

Auf „Riiverdance“ erinnert uns Beyoncé das erste Mal auf eindringliche Art an „Act i: Renaissance“. Banjo, Rap und House treffen aufeinander. Bei „ii Hands ii Heaven“ geht es auch direkt weiter mit dem Houseeinfluss, den Beyoncé vom Vorgängeralbum mitnimmt. Aber eben mit einem lo-fi bluesigen Sound kombiniert. Ist Beyoncé damit die Erfinderin des Country-House?

Americana auf neue Weise zu betrachten

Überhaupt klingt alles auf dem Album ab „Ya Ya“ viel mehr nach der up-beat, fordernden und feierwütigen Musik, die wir in den letzten Jahren von Beyoncé gewohnt waren. Als wären die eingängigeren Country Sounds am Anfang des Albums eher was für die, die es ruhiger und melancholischer mögen und die letzten Songs am Album sind erst für die Fans, die noch im silbernen Renaissance World Tour Cowboy Hut dastehen.

Wenn man es dann zum spirituell aufgeladenen „Amen“ - das am Ende des Requiems for America, also der Totenmesse für ein white-washed Bild US-Amerikanischer Geschichte und Kultur - geschafft hat, sind eine Stunde, 18 Minuten „Act ii: Cowboy Carter“ rum. Ein Ausflug in unzählige Musikgenres, Einflüsse und Kultur aus dem Süden der USA und eine Aufzählung der Dinge, die Beyoncé wohl beim Aufwachsen viel gehört hat. Ein Versuch, Americana - also US-amerikanische Kultur - auf eine für viele neue Weise zu betrachten.

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