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Gorillaz

EMI Music

Der Klang von Melancholie im Ohr der Dystopie

Das neue Album der Gorillaz ist ein Meisterwerk des ... Ja, was ist es eigentlich?

von Natalie Brunner

Das Soho House in Berlin ist eine sehr elitäre Jugendherberge. Will mensch in die höheren Etagen vordringen, den Pöbel im Foyer hinter sich lassen, bedarf es einer Mitgliedschaft, Bürgen oder - wie in meinem Fall - des Namens auf der Liste. Schon im Aufzug umhüllt mich die Aura des dunklen Glanzes, hier ist immer Nacht. Ein passender Ort für Popstars und Modernisierungsgewinner. Alles ist so glatt und sauber, alle tragen Schwarz und flüstern. Mit der Präzision eines Uhrwerks werde ich in die Interviewsuite geführt.

Humanz Cover

Parlophone

Das Album „Humanz“ von den Gorillaz ist am 28. April erschienen. Eine App zum Album gibt es für IOS und Android.

Ein leerer Raum (besser Saal), in der Mitte eine abgewetzte Couch, auf der ein müder, zerknitterter Damon Albarn sitzt. Ich möchte ihm schon allein für sein Aussehen und den Zustand seiner Kleidung danken. Ein Mensch, der so aussieht, als würde er arbeiten, und der die heilsame Antithese zu diesem Konzept von Luxus und Erfolg darstellt, das mich belästigt, seit ich das Gebäude betreten habe.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal jemanden gesehen habe, der so müde wirkt wie Damon. Afterhour-Zombies zählen nicht, das ist eine andere Art von Müdigkeit.

Wir wundern uns kurz über das Wetter, Schneestürme wechseln sich mit Sonnenschein ab, dennoch bleibt alles grau in grau. Herr Albarn meint, dass genau solche klimatischen Verhältnisse Ursache der Melancholie sind, die den Menschen von der Insel oft unterstellt wird.

Melancholie ist auch zugegebenerweise das Erste, das mir bei „Humanz“, dem neuen Album der Gorillaz, in den Sinn kommt. Es ist nicht die Art der Melancholie, die von einem gebrochenen Herzen rührt, es ist keine romantische Melancholie. Es ist mehr eine reflektierte Traurigkeit, die zu einer Grundhaltung gewachsen ist.

„Ich mag, was Melancholie mit meiner Körperchemie macht.“

Ein müder Damon Albern grinst und hat ein Wort als Antwort auf meine Serpentine von Frage, die sich um die Begrifflichkeit Melancholie schlängelt:

„Moll, alles, was ich schreibe, ist automatisch in Moll. Das erzeugt das Gefühl, den Grundton, von dem du gesprochen hast. Es ist da, in allem, was ich schreibe, so fühle ich Musik, und das ging schon als Kind bei meinen ersten Klavierstunden so los. Ich mag, was Melancholie mit meiner Körperchemie macht. Ich glaube, jemand, der melancholisch ist, hat viel gesehen und steht über den Dingen. Es ist das, was du siehst, wenn du da aus dem Fenster siehst: ganz viel Grau und ein bisschen Blau. Melancholie gibt es nicht ohne Hoffnung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Donald Trump ein besonders melancholischer Mensch ist.“

Die Erwähnung von Präsident Trump, ist elegant und beiläufig, eine Referenz an das Narrativ, das Albarn für die Gastvocalistinnen auf „Humanz“ geschaffen hat:

„Also Grace, Mavis, Popcaan, Danny, Kelala, Pusha, Beth, Vince, Zebra: Stellt euch eine Welt vor, in der nahen Zukunft, sie ist noch ein bisschen mehr aus den Fugen geraten, und Donald Trump ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, die Zeiger der Doomsday-Uhr sind ein bisschen weiter nach vorne gerückt, was für einen Text würdet ihr in dieser dystopischen Zukunft schreiben?“

Grace Jones ist, wie könnte sie anders sein, radikal. Ihre Stimme hat die Kälte von etwas, das nur mehr zum Teil menschlich wirkt und an ihre Werk „Corporate Cannibal“ erinnert. Sie hat in dem Song „Charger“ das Kostüm von Gevatter Tod übergestreift und singt: „I am the ghost / I am the sword / I am the ghost / The Armageddon“.

Am Tag der Amtseinführung von Präsident Trump erschien - als erster Vorbote des Albums - ein Song, der sehr deutlich in Trumps Richtung zeigt. Es geht um Gier, es geht um Kriegstreiber, es geht um das Bauen von Mauern und die Angst und die Abscheu vor einer Politik, die ganz offensichtlich von finanziellen Interessen gesteuert wird. In „Hallelujah Money“ schlüpft der Soul-Sänger Benjamin Clementine in die Haut von Trump und singt - dessen Wahlkampfphrasen verwendend - von dem schönen Baum, den man vor den gefräßigen Krähen aus dem Osten schützen muss, und um den man eine Mauer bauen soll.

„Don’t worry, my friend / If this be the end, then so shall it be / Until we say so, nothing will move.“

In einigen frühen Webeinträgen - auch auf der Wikipedia - wird das Gorillaz-Album noch „We are still Humanz“ genannt. Es klingt nach einem Widerspruch, wenn die erfolgreichste Comicband des Planeten diesen Albumtitel wählt. Überlegt mensch, wer der Adressat ist, macht der Name dann aber Sinn: Ist es eine moralische Aufforderung, zu überlegen, was uns als Menschen ausmacht? Solidarität, Empathie, Mitleid oder das Gesetz des Stärkeren?

2D das Alter Ego von Damon Albarn, das von ihm Besitz ergreift, sobald der Effekt auf der Stimme ist, singt in „Hallelujah Money“: „When the morning comes, are we still humans? How will we know? How will we dream? How will we love?“

Videostill Gorillaz

EMI Music

Kassandra wider Willen

Der Morgen ist gekommen. Trump ist Präsident, und das Album der Gorillaz ist ein Meisterwerk des ... Ja, was ist es eigentlich? Realität, seltsamer als Fiktion? Postmoderne Ironie? Von der Gegenwart überholte Dystopie? Das Konzept eines Partyalbums „for a world gone mad“ (wie der „Guardian“ es für meinen Geschmack zu zynisch nennt)?

„Du musst ein absurdes Szenario für Cartoons entwerfen, sie können nicht in der Realität existieren.“

Wenn die Wahl anders ausgegangen wäre: Hätte das Album anders geklungen? Gab es Sängerinnen, die nachträglich ihre Texte einem Reality Check unterziehen wollten?

„Jetzt ist es keine politische Sience-Fiction mehr, es ist keine Fantasie mehr, es ist eine Variante der Gegenwart. Wenn Hillary gewonnen hätte, wäre die Idee in den Hintergrund getreten. Es wäre nicht so wichtig gewesen, weil es sowieso nur Cartoons sind. Du musst ein absurdes Szenario für Cartoons entwerfen, sie können nicht in der Realität existieren, mit der wir es jetzt zu tun haben.“

Tragedy becomes comedy after time

Ganz verstehe ich die Antwort nicht, was es bedeutet, wie der Schein in diesem Fall zum Sein wurde. Aber mensch kann Humanz auch ganz anders hören und wahrnehmen. Es ist keine schwerphilosophische Weltuntergangsrevue quer durch alle Genres. Es sind vier Comicfiguren, die in einem Spukhaus auf einem Trip gehen, der uns Momente des digitalen Staunens schenkt.

„Humanz“ hat euphorische Momente, in denen der Pharell-Protege Pusha T auf die Soul-Legende Mavis Staples trifft und Hymnen, angeblich mit Noel Gallagher, die uns morgens im Stau oder der überfüllten U-Bahn erinnern: We got the power to love each other no matter what happens.

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