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„Mein Körper passt nicht zu dem, wie ich fühle!“

Der Fall von einem Transgender-Kind in Niederösterreich, das von seiner Schule abgelehnt wurde, wirft Fragen auf. Transgender ist immer noch ein großes Tabuthema, vor allem im Kindesalter.

Von Niklas Lercher

Titelbild: CC BY-SA 2.0 by Tim1965 via Wikicommons

US-Präsident Donald Trump will Transgender-Personen vom Militärdienst ausschließen. In Niederösterreich verweigert eine Montessori-Schule einem Transmädchen die Aufnahme. Transgender ist immer noch ein großes Tabuthema, vor allem im Kindesalter. Psychotherapeut Hans-Peter Bangerl im FM4-Interview über Kinder, die mit ihrem angeborenen Geschlecht nichts anfangen können.

Niklas Lercher: Sehr häufig wird transgender bei Kindern medial so beschrieben, dass beispielsweise ein Bub lieber Mädchensachen anzieht oder ein Mädchen am Schulhof mit Jungs rauft. Kann man das wirklich allein darauf reduzieren?

Hans-Peter Bangerl: Ich denke, wir erleben immer wieder sehr mädchenhafte Burschen, die sehr zart sind, sich lieber mit Mädchen unterhalten als mit Burschen, die nicht Fußball spielen gehen wollen. Und wir sehen Mädchen, die schlagen einfach zu und lassen sich nichts gefallen. Das hat gar nichts mit transgender zu tun. Transgender sein, das ist ein ganz tiefsitzendes, inneres Gefühl: mein Körper passt einfach nicht zu dem, wie ich fühle.

Wie äußert sich dieses Gefühl bei Kindern, die Sie psychotherapeutisch begleiten?

Einige Kinder erzählen, zu Hause in ihrem Zimmer haben sie den Spiegel zugehängt. Bevor sie sich duschen gehen, klappen sie dann auch den Badezimmerspiegel weg, damit sie sich nicht nackt sehen müssen. Das Duschen erfolgt dann mit halb geschlossenen Augen, damit sie nicht sehen, dass da ein Busen oder Penis ist.

Transgender heißt, dass für Menschen die empfundene Gender-Identität von der abweicht, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Oder dass Menschen sich einer eindeutigen Gender-Einordnung entziehen.

Möchte jemand von einem Gender in ein anderes wechseln, gibt es drei Ebenen: Der Soziale Geschlechtswechsel, hier wird Aussehen, Anrede und Vornamen ans empfundene Gender angepasst. Beim körperlichen Geschlechtswechsel wird der Körper mit medizinischen Eingriffen angepasst.

Schließlich kann beim juristischen Geschlechtswechsel der Personenstand (und damit das Geschlecht in offiziellen Dokumenten) und der Vorname geändert werden. Chirurgischen Eingriffe sind in Österreich seit 2010 nicht mehr Vorraussetzung für einen juristischen Geschlechtswechsel. Mehr Infos und Links hier

TransX ist ein Verein für transgender Personen

Haben alle Transgender-Kinder so einen derartigen Leidensdruck?

Hans-Peter Bangerl

Niklas Lercher/FM4

Hans-Peter Bangerl

Nein bei weitem nicht. Es gibt sehr viele Transgender-Kinder, die sagen: ich bin jetzt ein Bub oder ein Mädchen, denen geht es wunderbar. Die brauchen zwar Unterstützung, vor allem im Umgang mit ihrem sozialen Umfeld, aber keine wirkliche psychotherapeutische Begleitung. Psychotherapie ist dann sinnvoll, wenn das Selbst-Erleben der eigenen Genderidentität zu Problemen führt. Wichtig ist auch zu erwähnen: Es gibt natürlich auch Kinder, die sie sagen, ich will weder das eine noch das andere sein.

Mit welchen Situationen sind Transkinder denn in ihrem sozialen Umfeld konfrontiert?

Mit ihrer Identität umzugehen ist vor allem in der Schule oft schwierig. Da muss man die Kinder selbst, aber auch das gesamte schulische Umfeld unterstützen – von den MitschülerInnen bis zur Direktorin, zum Direktor. Ich erinnere mich an einen zehnjährigen Burschen im Waldviertel, der gesagt hat: Ich bin ein Mädchen und ich möchte als Mädchen leben. Für den war es ganz fürchterlich, dass ihm der Direktor in der Volksschule verboten hat, im Mädchen-T-Shirt, im Rock oder mit lackierten Fingernägeln in die Schule zu gehen. Solche Fälle lösen sich aber in den meisten Fällen dadurch, dass man intensiv darüber spricht.

Wie ist dieses „Darüber-Sprechen“ im Fall dieses Transgender-Mädchens abgelaufen?

In der 4. Klasse ging es beispielsweise darum, dass sich dieses Transmädchen in einen Buben verliebt hat und es dann in der Klasse nicht klar war: ist der nun homosexuell oder heterosexuell? Wie haben dann in der Klasse intensiv über Homo- und Heterosexualität gesprochen und alles, was dazwischen liegen kann. Dieses junge Transmädchen hat dadurch sehr viel an zusätzlichem Wissen in die Klasse gebracht und die Möglichkeit geschaffen, sich über Themen zu unterhalten, die sonst in einer Hauptschule im Waldviertel nicht vorkommen.

Können Kinder in so jungem Alter überhaupt schon eine dauerhafte Aussage über ihre Geschlechtsidentität treffen?

Viele Kinder experimentieren einfach mit Geschlechterrollen, probieren sich in diesem Alter in verschiedenen Identitäten aus. Von diesen Kindern bleiben aber über die Pubertät hinaus rund achtzig Prozent in ihrem angeborenen Geschlecht. Je später das auftritt, umso eher ist das dauerhaft. Bei den übrigen zwanzig Prozent muss man individuell schauen, was die Bedürfnisse sind.

Die Frage der pubertätshemmenden Hormontherapie ist umstritten unter Expert_Innen. Mit Einsetzen der Pubertät verschärfen sich Begleiterscheinungen wie soziale Isolation, Angstzustände, Phobien und Depressionen bei vielen Transkindern. Ihnen könnte durch Pubertätsblocker geholfen werden, argumentiert ein Ansatz. 80 Prozent der Transkinder verbleiben allerdings nach der Pubertät im angeborenen Geschlecht. Eine pubertätshemmende Hormontherapie ohne sexuelle Erfahrungen im biologischen Geschlecht gemacht zu haben, komme daher zu früh, so die Gegenseite.

Es gibt ja zum Beispiel eine pubertätshemmende Hormontherapie, die Entwicklungen wie Stimmbruch bzw. allgemein die weitere Ausbildung der Geschlechtsmerkmale unterdrückt. Wie sinnvoll ist das aus Ihrer Sicht?

Das sehe ich sehr problematisch, weil es eigentlich keinerlei Untersuchungen darüber gibt, was das für Folgen hat. Denn Hormone fördern ja nicht nur das Wachstum der primären und sekundären Geschlechtsorgane, sondern sie sind auch für den Umbau des gesamten Gehirns mitverantwortlich - ein Kind denkt einfach anders als ein Erwachsener und das hat auch was mit der Steuerung durch Hormone zu tun.

Aber es gibt auch Fälle, wo Transmädchen im Stimmbruch aufhören zu reden. Der Leidensdruck, häufig von Depressionen begleitet, verschärft sich in solchen Fällen noch mal in der Pubertät…

Es gibt natürlich Kinder und Jugendliche, wo ich sage: die leiden so sehr darunter, da kommen wir um eine pubertätshemmende Maßnahme nicht herum. Wenn man mit Psychotherapie nicht durchdringt und genügend Stütze geben kann, dann ist das in solchen Fällen natürlich immer noch ein sinnvolle Wahl.

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