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Ditz Fejer

10 Dinge, die du beim steirischen herbst machen solltest

„Where are we now?“, fragt der steirische herbst in den kommenden drei Wochen. Zur Orientierung: 10 Dinge, die du bei diesem Festival für neue Kunst machen solltest!

Von Maria Motter

„Dass Kunst diesen Impetus hat, dass sie skandalisieren möchte - das ist nicht das Anliegen der heutigen Generation von Künstlerinnen und Künstlern. Kunst skandalisiert dort, wo sie auf starke Restriktionen trifft, und bei uns ist das Perfideste wahrscheinlich die Ignoranz“, sagt die Festival-Intendantin Veronica-Kaup-Hasler. Gegen die Ignoranz macht der herbst als Mehrspartenfestival seit fünfzig Jahren Programm in Graz und in den letzten Jahren darüber hinaus am steirischen Land. „Where are we now?“, ist das Motto der Jubiläumsausgabe. Kaup-Hasler zitiert den Theatermacher Tim Etchells: „The most important exchange is with the unknown.“ Auf in den herbst!

steirischer herbst
22.9. bis 15.10.2017
Das Festivalzentrum ist diesmal im Palais Attems in der Sackstraße in Graz.

Tianzhuo Chen richtig aussprechen

Mette Ingvartsen! Florentina Holzinger! Tianzhuo Chen! Drei Persönlichkeiten mit ihrem besonderen Zugang zu Tanz sind beim herbst mit Uraufführungen vertreten. Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen hat mit nackerten Performerinnen in ihrem Stück „7 Pleasures“ im herbst vor zwei Jahren einen Hit gelandet. Diesmal hüllt sie die Tänzer in Ganzkörperanzüge, thematisch bleibt sie der Beschäftigung mit der kapitalistischen Inszenierung sexueller Körper und der Frage nach Privatheit treu: „to come (extended)“ eröffnet den diesjährigen herbst. Die Wienerin Florentina Holzinger wird auch schon mal als „Extrem-Performerin“ bezeichnet. Erstmals im deutschsprachigen Raum ist ihr ganz persönlicher „Apollon Musagète“ zu sehen. Und Tianzhuo Chen? Der hat am Central Saint Martins College studiert, ist bildender Künstler und gefeierter Kritikerliebling. Bei ihm prallen alle Welten aufeinander. „An Atypical Brain Damage“ ist sein Auftragswerk für den herbst.

Der Favorisierung des Auges trotzen: Schnuppern!

Samstag ist Ausstellungsmarathon: Ab 11 Uhr eröffnen die Ausstellungen im Stundentakt. Hallo Reizüberflutung! Ein Sinn findet kaum Beachtung: der Geruchssinn. Nicht so bei Isabel Lewis: Die Künstlerin bietet einen sinnlichen Salon bei freiem Eintritt. Eine Kostprobe liegt dem herbst-Magazin bei: Noch ehe man zu der Seite geblättert hat, riecht man etwas. Nur was?! Es erinnert an Rote Beete.

Die Untoten besuchen

Durch die Nebelwand kommt die Kuhherde auf sie zu: Kelly Copper und Pavol Liska sind das Nature Theater of Oklahoma und sie drehen jetzt einen Stummfilm auf Super 8 in Neuberg an der Mürz und Umgebung. „Die Kinder der Toten – Der große Dreh“ heißt das Projekt. Obwohl 300 Personen einem Casting-Aufruf im Frühjahr folgten, 80 dabeiblieben und die Hauptrollen besetzt sind: Du kannst mitwirken! Ab 30. September findet an jedem herbst-Wochenende ein großer Dreh statt. Der Drehplan steht und Ulrich Seidl will den Film 2018 in die Kinos bringen.

„Uns wurde gesagt, dass das Buch unübersetzbar ist!“, sagt Kelly Copper vom Nature Theater of Oklahoma. Daher macht sie sich mit ihrem Partner Pavol Liska an die Verfilmung nach Motiven des Romans „Die Kinder der Toten“ von Elfriede Jelinek. Tatsächlich gibt es noch keine vollständige Übersetzung des „Gespensterromans“, wie ihn Elfriede Jelinek bezeichnet. Das Werk hat 666 Seiten – die Zahl sei ein reiner Zufall, soll Jelinek, darauf angesprochen, antworten. Im Roman verunglückt eine Gruppe Touristen in einem Verkehrsunfall, einige sind jedoch bereits zuvor Untote. Untote sind Tote, die nicht wissen, dass sie tot sind, fyi. Und solche geistern auch bei Nachtdrehs durch Neuberg, zum Beispiel von 14. auf 16. Oktober.

Schon diesen Sonntag gibt es eine Matinee zum Roman „Die Kinder der Toten“ im Festivalzentrum des herbst in Graz. Und im VAZ Mürzer Oberland findet die 144-stündige, öffentliche Lesung des Romans statt. VorleserInnen sind noch gesucht, jede und jeder liest eine Viertelstunde.

Elfriede Jelinek den Satz sagen hören: „Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten“

Gleich nochmal Jelinek. Es ist einfach so toll, ihr zuzuhören. Dazu hatte man seit ihr im Jahr 2004 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, kaum Gelegenheit: Interviews hat sie keine mehr gegeben. „Das ist ja auch keins“, sagt sie zur herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler. Es ist ein eineinhalbstündiges, aktuelles Gespräch, das gefilmt wurde und jetzt beim herbst zu sehen ist. Titel: „Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten“. Die Literaturnobelpreisträgerin verrät darin auch, dass sie niemals eine kompositorische Skizze anfertigt: „Der Text muss mich sozusagen wie ein Hund an der Leine hinter sich herziehen. Und ich kann dann nur schreiend nachrennen“.

Nach der Bauanleitung zum Crêpe-Roboter fragen

Der Crêpe-Roboter von einem Hacker namens Zwax ist eine kleine Sensation. Auf Start gießt er flüssigen Teig in eine Pfanne, dreht sie und gießt herrliches Nutella darüber. Am Chaos Communication Camp standen Programmierer wie deren Kinder davor Schlange. Kommenden Sonntagnachmittag ist die Maschine eine von zehn, die bei der „roboexotica“ im Festivalzentrum des steirischen herbst für die BesucherInnen arbeiten! Die DJs Adriana Celentana und Uschi Ultra (Melodien für Millionen) legen auf und Dorit Chrysler gibt einen 20-Minuten-Gig mit ihrem Theremin.

Tanzen!

Zum Beispiel zur The Paradise Bangkok Molam International Band und mit „hop-pop witch“ Karma She aus Tel Aviv. Weiters im Line-up der „Soundtracks“-Konzertreihe: Der Piano-Präparator Hauschka und die klassisch ausgebildete Komponistin Anna Meredith, die mit Band samt Cellistin auftritt, sowie das experimentierfreudige, achtköpfige Kollektiv Cologne Tape und: Rapperin Dope Saint Jude!

7 Minuten Aufmerksamkeit für das, was der Komponist Georg Friedrich Haas zu sagen hat

Das angeblich älteste Avantgarde-Festival Europas ist ein halbes Jahrhundert alt. Die einen sagen: „Früher war der herbst wilder und nackerter“. Die anderen sind froh, dass dem nicht mehr so ist. „Wie bei der Muppet Show gibt es immer die Alten, die aus der Loge ein Geschehen kommentieren, das sie blind geworden gar nicht mehr wirklich wahrnehmen können. Meistens beklagen sie ihre eigene Jugend und Vergangenheit. Von daher müssten in Graz ausschließlich Berserker und Punks gewohnt haben in den 60er und 70er Jahren“, sagt Intendantin Veronica Kaup-Hasler. Wie war die Gesellschaft drauf, als der ÖVP-Politiker Hanns Koren den herbst begründete?

“Es war gerade so viel die Rede davon, wie umstritten der steirische herbst sei. Die Blut-und-Boden-Architektur meines Großvaters ist nicht umstritten. Drei seiner Werke stehen in der Steiermark unter Denkmalschutz.“ So äußerte sich der Komponist Georg Friedrich Haas in seiner vehementen und persönlichen Rede zum Festakt „50. steirischer herbst“. Haas erläutert sein Verständnis von Kunst, warum der österreichische Staat versagt hat gegenüber den NationalsozialistInnen und erinnert an die Tatsache, dass eine Gruppe von Menschen 1976 ein Volksbegehren zur Abschaffung des steirischen herbst initiieren wollte.

Von Reiskochern fasziniert sein

Zwei kochen, der Dritte kann auch Gimmicks: Der Südkoreaner Jaha Koo führt mit „Cuckoo“ eine Performance mit Reiskochern auf. Die Kochgeräte hat er gemeinsam mit einer Hardware-Hackerin präpariert, sie sprechen zu uns. Was lustig klingt, wird zur ernsten Auseinandersetzung mit Tradition und Technologie, Wirtschaftskrise und privatem Fortkommen in Südkorea.

Hoffen als Provokation

„Erschlagt die Armen!“ heißt ein Roman von Shumona Sinha, in dem sie Asylwerbende und Asylbehörde schonungslos beschreibt. Es ist ein schmaler, umso atemraubender Band voll Provokation. Nach der Veröffentlichung 2011 in Frankreich verlor Shumona Sinha ihren Job als Dolmetscherin. Mit ihrem druckfrischen Roman „Staatenlos“ wird die in Kalkutta geborene Autorin einer der Gäste beim Literatursymposium „Freischreiben - Hoffnung als Provokation“ sein. Ich freu mich riesig auf das Gespräch mit ihr!

Und die gute Nachricht: Vor einigen Tagen hat die türkische Autorin und Physikerin Aslı Erdoğan ihren Pass zurückbekommen und kann so wieder reisen. Auch dabei: Autor Alexander Ilitschewski, der für seinen Roman „Die Perser“ in Russland und auch von der europäischen Kritik gefeiert wird. Beim herbst beantworten die AutorInnen die Frage, ob angesichts autoritärer Entwicklungen vielerorts denn überhaupt noch Hoffnung angebracht ist. #Widerstand

Brunchen zum Schluss

12 der 50 Jahre des steirischen herbsts hat Veronica Kaup-Hasler geprägt. Dieser herbst ist der letzte ihrer Intendanz. Ihr folgt die gebürtige Moskauerin Ekaterina Degot, die bislang vor allem durch ihre Arbeit im Bereich der Bildenden Kunst bekannt ist. Der letzte Brunch im Festivalzentrum hat bereits Tradition: Nach der letzten Partynacht kommen KünstlerInnen, Publikum und herbst-Team nochmal zusammen zum gemütlichen Frühstücken (15.10., 12.00).

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