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Bilder aus dem Film "Maudie"

Duncan Deyoung | Mongrel Media

„The whole of life, already framed“

Sally Hawkins und Ethan Hawke matchen sich brillant in dem so entzückenden wie harten Drama „Maudie“.

Von Maria Motter

Ethan Hawke kam eines Abends nach Hause, als seiner Frau Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie hatte gerade das Drehbuch zu „Maudie“ zu Ende gelesen. „Sie hat zu Ethan gesagt, du musst zusagen. Noch bevor du das Drehbuch liest, musst du zusagen“, erzählt die irische Regisseurin Aisling Walsh.

Dasselbe ist über die Verfilmung des Drehbuchs, das Sherry White geschrieben hat, zu sagen. „Maudie“ kommt jetzt in die österreichischen Kinos und man sollte sich diesen entzückenden, harten Film anschauen. „Hat uns Ethan Hakwe schon jemals enttäuscht? Eben“, schrieb Pia Reiser anlässlich des Filmstarts des Chet-Baker-Biopics „Born to be blue“. In „Maudie“ allerdings spielt ihn Sally Hawkins glatt noch an die Wand. Die Gelegenheit, mit der britischen Schauspielkollegin arbeiten zu können, führt der Oscar-Preisträger Hawke in Interviews als seine Grundmotivation für seine Zusage an.

Bilder aus dem Film "Maudie"

Duncan Deyoung | Mongrel Media

Weit wird einem das Herz in Neufundland: "Maudie“ von Aisling Walsh porträtiert die kanadische Malerin Maud Lewis (1903-1970), an deren naiver Malerei auch der US-Präsident Richard Nixon Gefallen fand. Bilder mit Katzen, Kühen, Fischer mit ihrem Fang.

Brillant verkörpert Sally Hawkins diese Maud, die mit krummen Beinen und krummem Rücken von ihrer Familie nicht für voll genommen wird, weil sie unter juveniler Arthritis leidet. Wüsste man es nicht besser, würde man Hawkins für eine Betroffene dieser chronischen Gelenkserkrankung halten. Bereits in „Happy-Go-Lucky“ hat die britische Schauspielerin bewiesen, wie sehr sie die Rolle einer lebensfrohen, auf den ersten Blick ein wenig befremdlich, weil wunderlich wirkenden Frau einnehmen kann.

Bilder aus dem Film "Maudie"

Duncan Deyoung | Mongrel Media

In Mauds feinem Humor zeigt sich, wie sie die Welt wahrnimmt und wie sehr sie sich zur Wehr setzt gegen Herabwürdigungen. Trotz ihrer körperlichen Behinderungen ist die zarte Frau vielen haushoch überlegen. Die Sympathie ist sofort auf ihrer Seite. Dem Regime ihrer Tante, die Maud ihre Malutensilien abnimmt, trotzt die Dreißigjährige; sie schleicht sich aus dem Haus, um Tanzabende zu besuchen und geht tagsüber in der Kleinstadt spazieren. Der Ausbruchsversuch, der sich andeutet, wird kleiner, doch wesentlich radikaler sein, als man denkt.

Maud bewirbt sich bei dem Fischhändler Everett als Haushälterin. Zwei Welten prallen aufeinander und das Drama steigert sich zum intimen Kammerspiel. Der sture Außenseiter Everett ist das, was euphemistisch ein komplexer Charakter genannt wird. Sein Haus ist eher eine Hütte, rundum nur Land und davon gehört nur ein kleines Stück ihm. Hunde und Hühner leben hier, zu den nächsten Menschen führt ein langer Fußweg. Doch Maud sucht sich diesen kargen Ort als ihr neues Zuhause aus. Anders als Everett kann sie lesen und schreiben.

Das Herzstück des Films ist die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Persönlichkeiten unter Extrembedingungen: Es gibt kein fließendes Wasser und keine Heizung in dem Häuschen, dabei kommen die kanadischen Winter mit Temperaturen bis zu minus 30 Grad. Das ist nicht alles: Kritiker, die mit der Biografie der Maud Lewis vertraut sind, machen dem Film den Vorwurf, dass er die Gewalt, der sie ausgesetzt gewesen ist, zu wenig darstelle.

Bilder aus dem Film "Maudie"

Art Gallery of Nova Scotia

Aber Aisling Walsh spart die Tatsache, dass Everett eine brutale Seite hatte, nicht aus. Mauds Hände krampfen, Everett ist emotional verkrüppelt. Als er Maud schlägt, bleibt sie. Aber es ist keine Unterwerfung. Sie zieht sich in eine Ecke der Hütte zurück und bemalt, zum ersten Mal, die Wand. Das Haus ist heute ein Museum, beinahe jeden Zentimeter ziert ihre Malerei, die ihr spät in ihrem Leben kleine Verdienste einbrachte, die Everetts Einkommen überstiegen.

Die wechselseitigen Abhängigkeiten bringen das Paar zusammen und wie schmerzhaft dieser Prozess ist, macht der Film nachvollziehbar. Der Soundtrack enthält vor allem Dur-Melodien, - dass „Maudie“ auf Kitsch und Pathos verzichtet, ist ein Kunststück. Alles, was ein Frauenleben im 20. Jahrhundert einschränkte, wird an Maud vorexerziert. Wie sie die Kraft findet, sich nach ihrem totgeboren geglaubten Kind zu erkundigen, rührt zu Tränen. So fragil sie scheint, Maud kämpft, für sich. Körperlicher Krampf um Krampf, Pinselstrich um Pinselstrich.

„Maudie“ erzählt eine große Liebesgeschichte. Der Film ist ein entzückendes Plädoyer für Selbstermächtigung und all die Menschen, die an den Rand der Gesellschaft geschoben werden. Mitleidig? Fehlalarm! „The whole of life, already framed“, wird Sally Hawkins als Malerin Maud Lewis an einer Stelle über ihren Platz am Fenster sagen. Eine schöne Parallele zum Kino.

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Duncan Deyoung | Mongrel Media

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