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Trauer, Ohnmacht und Wut in Fatih Akins „Aus dem Nichts“

Alle würden sich immer nur für die Täter interessieren, Fatih Akin wollte einen Film über die Angehörigen von Terroropfern machen. In „Aus dem Nichts“ brilliert Diane Kruger als Frau, die bei einem rechten Terrorakt ihren Mann und ihr Kind verliert.

Von Pia Reiser

„Du musst das blonde Lagerfeld-Model losschicken, um Nazis zu killen. Du musst sagen: Ja, es geht um dich, motherfucker! Du könntest auch das Opfer sein, motherfucker!“ So erklärt Regisseur Fatih Akin in einem Interview mit der taz seine Entscheidung in seinem neuen Film „Aus dem Nichts“ die blonde und blauäugige Diane Kruger als Frau zu inszenieren, die bei einem rechten Terroranschlag ihren türkischen Ehemann und ihren 5-jährigen Sohn verliert.

Ein weißer Hollywood-Star als Andockpunkt für ein breites Publikum, das sich vielleicht ansonsten gar nicht für seinen Film interessiert hätte. Immerhin hat sich ja auch die ARD schon letztes Jahr mit einer Trilogie an der NSU abgearbeitet. Mit der weißen, deutschen Frau, die - wie Akin es leicht inglrouiousbastardisiert beschreibt - Nazis killen will wollte er auch verhindert, „das Motiv der Rache eben nicht in eine kulturelle Ecke zu schieben. Wenn ich die Hauptrolle nicht mit Diane Krüger, sondern mit dir (Akin meint hier taz-Redakteurin Fatma Aydemir) besetzt hätte, dann wäre die Reaktion des Publikums: Ja klar, die Kanaken sind eben so, die haben das im Blut“, so Akin im taz-Interview.

Kein Film über die NSU-Morde

Anders als man es verknappt öfter zu lesen bekommt, ist „Aus dem Nichts“ nicht der Film über die NSU-Morde, auch nicht über den NSU-Prozess. Akin, der auch das Drehbuch geschrieben hat, hat den Prozess gegen die fünf Angeklagten in München mehrmals besucht und beschlossen, einen Film zu machen, der die Gefühlswelt der Angehörigen der Opfer eines solchen Terroranschlags auf die Leinwand bringt. Der Begriff NSU fällt kein einziges Mal in „Aus dem Nichts“, doch der Anschlag im Film - eine auf einem Fahrrad deponierte Nagelbombe - erinnert natürlich an den Anschlag in Köln 2004.

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Damals werden 22 Menschen verletzt, in „Aus dem Nichts“ sterben Vater und Sohn und das Drama widmet sich ausschließlich der Frau, die hier ihre Familie verloren hat. Und so trägt Diane Kruger den Film alleine, in ihrer ersten Rolle in einer deutschen Produktion. Kruger, die seit Jahren zwischen großen Hollywood-Produktionen wie „Inglourious Basterds“ und französischen Arthaus-Filmen pendelt, ist für viele bisher eben - wie Akin es selbst formuliert - das Lagerfeld-Model gewesen. Mit „Aus dem Nichts“ und dem Preis als beste Darstellerin bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes wird sie nun als Schauspielerin wahrgenommen, die auch im ernsteren Fach glänzen kann.

Ihr Gesicht - komplett glamourbefreit - wird zum Spiegel von Trauer, Ohnmacht und Wut. Dauerrauchend muss ihre Figur zusehen, wie die Polizei im Umfeld ihres Mannes Nuri auf Motivsuche geht? Ob ihr Mann Muslim gewesen sei, ist eine der ersten Fragen, die die Polizei ihr stellt. Er war Kurde, also sicher religiös, vielleicht hatte er auch Kontakte zur türkischen Mafia, so die Schlussfolgerungen der Polizei.

Tatsächlich ermittelt die deutsche Polizei jahrelang im Umfeld der Opfer der NSU-Morde, schenkt den Hinweisen der Angehörigen, dass dies rechtsextreme Taten waren, zu wenig Beachtung und beginnt erst spät in diese Richtung zu ermitteln. Bei Fatih Akin muss das alles natürlich schneller gehen, sein Film sei wie ein Faustschlag von Bruce Lee, erklärt er in Interviews, der würde immer den kürzesten Weg gehen. Und so sind in „Aus dem Nichts“ schnell zwei Attentäter - das Ehepaar Möller - gefasst und vor Gericht. Katja selbst hat Edda Möller gesehen, wie sie das Fahrrad vor dem Büro von Nuri abgestellt hat.

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Vom Justizdrama zum Vergeltungsthriller

Akin teilt seinen Film in drei Abschnitte ein und nach dem ersten - „Familie“ - beginnt „Gerechtigkeit“. Die emotionale Last von Katja, diesen nicht in Worte fassbaren Verlust, kontrastiert Akin mit der Sachlichkeit der Gerichtsverhandlung und führt dabei nicht nur Katja an die Schmerzgrenze, wenn eine Sachverständige erklärt, was genau die Detonation einer Nagelbombe mit einem Kinderkörper anstellt. Kruger ist grandios, sowohl beim Weinen im Bett ihres Sohnes, als auch mit Wut und Abscheu im Gesicht, gegenüber den rechten Attentätetn, die nur ein paar Meter von ihr entfernt im Gerichtssaal sitzen.

Für das Ehepaar Möller interessiert sich der Film nicht, hier gibt es keine Erklärungsversuche für Radikalisierung, keine Milieustudien. Akin will dem rechten Gedankengut nicht mehr Platz einräumen, als es für seine Geschichte nötig ist. In „Aus dem Nichts“ fallen viele Sätze, die denen, die sie aussprechen, schwer fallen. „Mein Sohn verehrt Adolf Hitler“, sagt Andre Möllers Vater in seiner Zeugenaussage und Ulrich Tukur beweist mit einem kurzem Auftritt, dass er nicht mehr als ein paar Zeilen braucht, um eine ganze Figur auf die Leinwand zu bringen. Ein Vater, der gar nicht mehr versucht zu verstehen, wie aus seinem Sohn einer wurde, der in der Garage Bomben baut.

„Aus dem Nichts“ startet am 24. November 2017 in den österreichischen Kinos.

Und was bleibt dann einer Angehörigen, wenn sich die Auffassung der Gerechtigkeit des Staates nicht mit ihrer deckt? „Aus dem Nichts“ wechselt im dritten Abschnitt - „Meer“ - die Tonalität - und den Ort. Wird zu einem leisen Vergeltungsthriller am griechischen Meer.

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Katja, die Frau mit der Samurai-Tätowierung schält sich aus der Opfer-Rolle. Im Grunde durchlebt hier Diane Kruger dann das Dilemma, das wohl auch Drehbuchautor Akin gehabt hat: Wie kann man so eine Geschichte enden lassen, ist ein Weiterleben für Katja überhaupt möglich? Sollen die Täter sterben? Sie spielt die Möglichkeiten gedanklich durch.

Akin muss nichts ausformulieren, man kann an Diane Krügers Mimik alles ablesen. Im letzten Teil verliert „Aus dem Nichts“ einiges von seiner Wucht und Beklemmung, doch bleibt wegen Krugers Spiel trotzalledem fesselnd.

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