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Pitztaler Gletscher

flickr/Christian Payer (CC BY 2.0)

Lift me up!

Ein ewiger Streit tobt in Tirol: Die Tourismusbranche will Schigebiete verbinden und erweitern - Naturschützer sehen darin den nachhaltigen Verlust sensibler Ökosysteme. Im aktuellen Landtagswahlkampf spielt das Thema kaum eine Rolle.

von Lukas Lottersberger

Lederhosen, Almabtrieb, viele seltsame Dialekte und vor allem: Berge, soweit das Auge reicht. Die majestätische Gebirgslandschaft ist das Markenzeichen des Bundeslandes. Gemessen an seiner Fläche ist das bebau- und bewohnbare Gebiet relativ klein. Die unwohnlichen Berge sind dennoch großes Kapital für das „heilige Land“. Der Tourismus ist eine der größten Einnahmequellen Tirols.

Konflikte zwischen Naturschützern auf der einen und der Tourismusbranche auf der anderen Seite gibt es daher oft. Wenn neue Schilifte gebaut werden sollen, ist Streit vorprogrammiert. Auch die Bevölkerung steht dem Zusammenschluss von Gebieten oft kritisch gegenüber (laut einer Umfrage der Landesregierung von 2016). Das Medienecho darüber überschreitet die hohen Gipfel der Tiroler Alpen aber selten.

Umfrageergebnisse einer Telefonumfrage zum Thema Naturschutz in Tirol

Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Umweltschutz

Diese Wintersaison jubelt der Wintertourismus jedenfalls: Die kalte Jahreszeit zeigt sich von ihrer besten Seite. Keine weißen Kunstschnee-Streifen inmitten von braun-grüner Landschaft, wie es in vergangenen Jahren oft der Fall war.

Um diesem Problem vorzubeugen, gibt es von LiftbetreiberInnen und Tourismusverbänden immer ambitioniertere Pläne, Schigebiete in höheren Lagen zu erweitern oder zusammenzulegen. Die Einnahmen und Arbeitsplätze des Schitourismus sollen auch in schneearmen Wintern gesichert werden und man will international wettbewerbsfähig bleiben.

Beispiel Kalkkögel

Eines der umstrittensten Zusammenlegungs-Projekte der letzten Jahre war der geplante Brückenschlag in den Kalkkögeln: Ein Ruhegebiet, in dem nicht gebaut werden darf. Es gab Pläne, die Schigebiete Schlick 2000 im Stubaital und Axamer Lizum miteinander zu verbinden. Von 2009 bis 2015 wurde über den Brückenschlag gestritten.

GegnerInnen des Projekts (zB der Alpenverein, die Naturfreunde und eine Bürgerinitiative) ging es darum, Lärmentwicklung im Ruhegebiet zu verhindern und das naturbelassene Erscheinungsbild der Kalkkögel zu bewahren. BefürworterInnen des Zusammenschlusses betonten die „umweltfreundliche Lösung,“ die im Plan vorgesehen war. Es wären nur kleine Flächen innerhalb des Schutzgebiets für zwei Liftstützen bebaut worden.

Die Kalkkögel

Wikipedia/Mh26 (CC BY-SA 2.5)

Die Kalkkögel (CC BY-SA 2.5)

„Mehrere unabhängig ausgearbeitete Gutachten haben gezeigt, dass ein Brückenschlag nicht möglich ist, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen“, erklärt die Abteilungsleiterin für Raumplanung und Naturschutz Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein (OeAV). „Ein Zusammenschluss der Schigebiete hätte auch einen Bruch mit der Alpenkonvention bedeutet.“ Die Alpenkonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den alle Alpen-Anrainerstaaten – auch Österreich – unterzeichnet haben, und sich damit zum nachhaltigen Schutz der Alpen verpflichtet haben.

Das umstrittene Projekt in den Kalkkögeln wurde schließlich 2015 eingefroren. Eine BürgerInneninitiative sammelte zudem mehr als 30.000 Unterschriften gegen die Zusammenlegung. Von mancher Seite wird nun befürchtet, der Plan könnte neu aufgerollt werden. Immerhin ließe sich das Landesgesetz, das den Schutz des Gebiets vorsieht, mit einfacher Mehrheit im Landtag ändern. Das Problem mit dem Bruch der Alpenkonvention bliebe freilich bestehen.

Mehrere Pläne für Zusammenlegungen

Noch länger als über die Kalkkögel wurde über ein Projekt am Piz Val Gronda im Schigebiet Ischgl gestritten. Schon 1976 gab es erste Pläne, auf dem Grenzberg zur Schweiz eine Seilbahn zu errichten. Nach zahlreichen Einreichungen, Gutachten und Gegengutachten, Protesten und Umplanungen wurde 2013 eine Seilbahn mit zwei Stützen und Pisten in Betrieb genommen. Naturschützern dient das Beispiel Piz Val Gronda heute als Mahnung, Touristikern als vorbildliche Kompromisslösung.

Pläne für weitere Zusammenlegungen in Tirol gibt es genug. In Osttirol soll etwa das Gebiet Sillian mit Sexten in Südtirol verbunden werden. Im Paznaun- und Stanzertal die Schigebiete Kappl und St. Anton. Am umstrittensten ist momentan wohl der geplante Zusammenschluss von Ötztaler und Pitztaler Gletscher zum größten Gletscherschigebiet Europas. Der Deutsche Alpenverein, der in dem Gebiet eine Schutzhütte und die Wanderwege betreut, sieht darin „die größte Neuerschließung von bisher naturbelassener alpiner Landschaft der letzten Jahrzehnte.“

Das Projekt ist auch ein Zankapfel der schwarz-grünen Regierung. Im Jahr 2013 einigte sich die Landesregierung darauf, das Vorhaben „bei Vorliegen rechtskräftiger Genehmigungen umzusetzen“, unter der Voraussetzung, dass der Gletscher „maximal mit Liften überspannt“ werden darf. Die Liftbetreiber wollten jedoch von Beginn an 64 Hektar Pisten erschließen.

Eine Diskussion im Landtag über die „Gletscher-Ehe“ wurde kürzlich unterbunden: Die Liste Fritz brachte im Dezember 2017 einen Dringlichkeitsantrag im Tiroler Landtag ein, um die geplante Zusammenlegung zu prüfen. Die Liste Fritz glaubt, dass das Projekt rechtlich nicht möglich ist.

Antragsformulierung der Liste Fritz zum Zusammenschluss von Ötztaler und Pitztaler Gletscher

Screenshot

Ausschnitt aus dem Dringlichkeitsantrag der Liste Fritz vom Dezember 2017

Der Antrag wurde jedoch von den übrigen Parteien, sogar von den Grünen, abgelehnt. Möglich, dass die Grünen mit dieser Entscheidung ihre Chancen auf eine neuerliche Regierungsbeteiligung nicht verspielen wollten.

Höher, schneller, weiter

Während man beim Österreichischen Alpenverein den Plafond beim Wintertourismus erreicht sieht, hält die Seilbahnwirtschaft an ihren Erweiterungsplänen fest. „Es geht im Grunde nur um den Zusammenschluss von bereits bestehenden Gebieten“, sagt Josef Ölhafen, Geschäftsführer der Sparte Seilbahnen in der Wirtschaftskammer Tirol. Zusammenschlüsse soll es dort geben, wo Gebiete aneinander grenzen und es „sinnvoll“ ist.

„Der Gast legt heute sehr viel Wert auf viel Pistenfläche“, begründet Josef Ölhafen die Pläne. Man folge dem internationalen Trend, der sich in den USA oder Frankreich beobachten lässt. „Wir stehen im Tourismus im internationalen Wettbewerb“, betont der Seilbahn-Interessensvertreter. Für ihn sei es daher „ganz normal“, dass man ausbaut und sich weiterentwickelt: „Wenn wir diesen Gedanken nicht hätten, würden wir heute noch hinterm Pflug stehen.“

Das Korsett sei laut Ölhafen bei diesen Plänen ohnehin eng: Das Tiroler Seilbahn- und Schigebietsprogramm (das jedoch Ende 2018 ausläuft), legt die Grenzen von Schigebieten und möglichen Zusammenschlüssen klar fest. Zudem sind bei allen Plänen Umweltverträglichkeitsprüfungen notwendig, unter Einbindung der Gemeinden, Anrainern und NGOs. „Die Zeiten des ‚Drüberfahrens‘ sind vorbei“, unterstreicht der Seilbahn-Vertreter Ölhafen.

Pisten- und Schigebietflächen in Tirol

Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Raumordnung-Statistik

Die blauen Flächen sind Schigebiete bzw. Pisten

Liliana Dagostin vom OeAV ortet in den Zusammenschluss-Plänen einen „Verdrängungswettbewerb unter Gleichen“ und ein "marketingorientiertes Streben nach Superlativen“: „Die einen bieten den höchsten Lift an, die anderen den größten Fun-Park und die Großen wollen mit möglichst vielen Pistenkilometern punkten.“ Den Mehrwert für die Gäste vermisst die OeAV-Sprecherin aber. „Der durchschnittliche Schiurlauber bleibt etwa vier Tage und legt pro Tag zwischen 20 bis maximal 50 Pistenkilometer zurück.“ In den meisten großen Schigebieten sei es gar nicht möglich, alle Pisten im Urlaubszeitraum abzufahren, „und vielen Gästen geht es auch gar nicht darum“, so Dagostin.

Wichtiger wäre es, ein "differenziertes, familienfreundliches und vor allem erschwingliches Angebot zu schaffen“, fordert die OeAV-Vertreterin. 50 Euro oder mehr für eine Tageskarte sind in größeren Schigebieten mittlerweile normal. „Die Preise fürs Schifahren steigen schneller als die Inflation, was auch vom VKI (Verein für Konsumenteninformation, Anm.) bestätigt wird“, kritisiert Dagostin. Sie sieht darin einen fortschreitenden Trend in Richtung Exklusiv- und Luxussport.

Diesen Vorwurf lässt Josef Ölhafen von der Wirtschaftskammer Tirol nicht gelten: „Das Angebot ist so vielfältig, dass sich jeder aussuchen kann, wonach er Lust hat.“ Vergleichbar sei das mit einem Autokauf: „Nicht jeder ist gezwungen eine Premium-Marke zu nehmen“, so Ölhafen, „aber es gibt natürlich Leute die sich das leisten wollen.“

Umwelt- und Naturschutz im Wahlkampf

Neue Schilifte oder Schigebiet-Erweiterungen sind freilich nicht die einzigen heißen Eisen zum Thema Natur- bzw. Umweltschutz, mit denen sich die nächste Tiroler Landesregierung befassen muss. Ein Dauerbrenner ist das Thema Transit, das im aktuellen Wahlkampf intensiv diskutiert wird.

Gestritten wurde in der bisherigen Landesregierung auch über geplante Kraftwerke. Während die Grünen auf den Ausbau alternativer Energie pochen, will die landeseigene TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) die Wasserkraft ausbauen. In beiden Fällen gibt es ökologische und teilweise auch ökonomische Bedenken. Das Ziel ist in beiden Fraktionen dasselbe: Die Energieversorgung langfristig zu sichern.

Die verhärteten Fronten bei all diesen Themen könnten ein Hemmschuh für eine Neuauflage der schwarz-grünen Koalition in Tirol sein. Umfragen sprechen dafür, dass die Tiroler Volkspartei bei der Landtagswahl am Sonntag wieder die meisten Stimmen holen wird. Spannend bleibt, mit wem sie letztlich regieren wird. Wie die Balance zwischen Naturschutz und Wirtschaft im Tourismusland Tirol künftig aussehen wird, hängt von den Mehrheiten im Tiroler Landtag und der künftigen Koalition ab. Landeshauptmann Günther Platter hat bereits mehrmals betont, bei den Koalitionsverhandlungen niemanden ausschließen zu wollen.

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