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Autorin, Psychologin und Auschwitzüberlebende Dr. Edith Eva Eger im Portrait

©Jordan Engle

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Wir haben immer eine Wahl

Sie ist durch die Hölle von Auschwitz, Mauthausen und Gunskirchen gegangen. Und genau diese Erfahrungen hat Dr. Edith Eva Eger zu einer der besten Traumatherapeutinnen gemacht. Ihr bewegendes Leben hat sie in einem spannenden und hoffnungsvollen Buch niedergeschrieben.

Von Andreas Gstettner-Brugger

„Wenn ich mein ganzes Leben zu einem Moment destillieren könnte, zu einem einzigen Standbild, dann wäre es dieses: drei Frauen in dunklen Wollmänteln warten Arm in Arm in einem tristen Hof. Sie sind erschöpft. Ihre Schuhe sind staubbedeckt. Sie stehen in einer langen Kolonne. Diese drei Frauen sind meine Mutter, meine Schwester Magda und ich. Dies ist unser letzter gemeinsamer Augenblick.“

Mit sechzehn Jahren wird die ungarische Jüdin Edith Eva Eger mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Auschwitz gebracht. Mit nur einem Fingerzeig schickt der Konzentrationslagerarzt Mengele Ediths Mutter vor ihren Augen in den Tod. Dieses Bild begleitet die heute 91-jährige, klinische Psychologin ihr Leben lang.

Buchcover "Ich bin hier, und alles ist jetzt. Warum wir uns jederzeit für die Freiheit entscheiden können." von Dr. Edith Eva Eger

btb/Random House Verlag

„Ich in hier, und alles ist jetzt“ von Dr. Edith Eva Eger ist in deutscher Übersetzung von Liselotte Prugger bei btb/Random House erschienen.

Wie sie es geschafft hat, es nicht nur zu überleben, sondern ihr Trauma zu überwinden und aus ihren schrecklichen Erfahrungen in Amerika eine lebensbejahende Therapie zu entwickeln, um anderen Menschen zu helfen, davon erzählt Dr. Edith Eva Egers Buch „Ich bin hier, und alles ist jetzt. Warum wir uns jederzeit für die Freiheit entscheiden können“.

Mit der inneren Stimme zur Freiheit

Ein amerikanischer Militärhauptmann sitzt in der psychotherapeutischen Praxis von Dr. Eger. Unter seinem Hemd hat er eine geladene Waffe. Sie sitzen sich gegenüber, beide traumatisiert, mit einem tief versteckten Geheimnis. Durch ihre eigenen Gewalterfahrungen schafft sie es, den verstörten Hauptmann aus seiner Trance zu führen und verwebt schon hier in dieser ersten Szene des Buchs ihre schmerzliche Lebensgeschichte mit den daraus gewonnenen Bewältigungsstrategien.

Erst nach und nach erfahren wir von Edith Eva Egers Kindheit in Ungarn, ihrer großen Leidenschaft, dem Balletttanzen und dem bescheidenen Familienalltag. Als sie und ihre Familie 1944 ins Konzentrationslager nach Auschwitz verschleppt werden, beginnt die unglaublich beklemmend und intensiv geschilderte Überlebensgeschichte der jüdischen Teenagerin. Selbst als alle Wärter und Insassen ihr versichern, dass sie das Todeslager niemals lebend verlassen wird, erarbeitet sich die junge Tänzerin eine innere Stimme, die ihr eine alternative Geschichte erzählt.

Das ist nur vorübergehend, sagte ich mir immer wieder. Wenn ich den heutigen Tag überlebe, bin ich morgen frei.

Dieser Satz wird zu ihrem Mantra im Kopf, selbst als sie vor dem Lagerarzt Mengele zu dessen Unterhaltung tanzen muss. Ihre Neugier, was wohl am nächsten Tag passieren wird und ihr Beschützerinstinkt für ihre Schwester helfen ihr, den Todesmarsch nach Mauthausen zu überleben. Und selbst, als sie 1945 zwischen den Leichen im oberösterreichischen Außenlager Gunskirchen liegt, schafft sie es mit unglaublicher Willenskraft, einen amerikanischen Soldaten auf sich aufmerksam zu machen und wird gerettet.

Die Therapie der Wahlfreiheit

Es ist ein langer und schmerzlicher Prozess, durch den Edith Eva Eger von ihrer Befreiung bis hin zur anerkannten Therapeutin in Amerika gehen muss. Immer wieder werden sie und ihre Familie von der Vergangenheit eingeholt und erst über die Bekanntschaft und Freundschaft zum österreichischen Psychiater und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl gelingt ihr der Weg von der Verdrängung zur Verarbeitung.

„Ich bin hier, und alles ist jetzt“ ist somit viel mehr als ein dramatischer Bericht einer Zeitzeugin. Es ist die spannende Geschichte einer Hoffnung gebenden Trauma-Aufarbeitung, die uns deutlich macht, wie viel Kraft unsere Gedanken haben und welche Wege uns aus der Opferrolle führen können. Die berührenden Fallbeispiele aus ihrer psychotherapeutischen Praxis zeigen uns, wie wir Stein für Stein das eigene Gefängnis im Kopf abtragen können, um wieder Alternativen wahrnehmen zu können. Und die beschriebenen Entwicklungen ihrer Patienten machen uns Mut, wie man trotz Schwierigkeiten und Rückschlägen ein authentisches und erfülltes Leben führen kann.

„Müsste ich meiner Therapie einen Namen geben, würde ich sie vermutlich Therapie der Wahlfreiheit nennen, da es bei der Freiheit um die Freiheit der Wahl geht - darum, Mitgefühl, Humor, Optimismus, Intuition, Neugierde und Selbstentfaltung zu wählen. Und frei zu sein, im Hier und Jetzt zu leben.“

„Ich bin hier, und alles ist jetzt“ ist wirklich ein Geschenk. Es ist ein Buch, das einen nicht nur tief bewegt und dessen Bilder lange im Kopf bleiben, sondern das einen auch positiv verändert zurücklässt. Es hilft uns, selbst in schwierigsten Situationen einen alternativen Blickwinkel einzunehmen und bestärkt einen, immer wieder die Wahl zu treffen, im Geist frei zu sein.

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