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Filmstill aus "The Truffle Hunters", Viennale 2020

Viennale

11 Tage Viennale: 3 Dinge, die ich gelernt habe

Der italienisch-amerikanisch-griechische Dokumentationsfilm „The Truffle Hunters“ beendet heute die 58. Ausgabe von Österreichs größtem Filmfestival, der Viennale. Nach mehreren Tagen voller filmischer Ausflüge ein (sentimentaler) Blick zurück und Plädoyer für die Zukunft.

Von Philipp Emberger

Die Viennale 2020 auf FM4

Heute geht nach 11 Tagen die Viennale mit einer Dokumentation über das Trüffelsuchen zu Ende. In „The Truffle Hunters“ begleiten Michael Dweck und Gregory Kershaw Trüffeljäger in Norditalien und werfen einen umfangreichen Blick in die Welt des weißen Goldes. Auf der einen Seite ziehen die Regisseure in der Nacht mit den Männern los, die ihre Trüffelplätze vor neugierigen Menschen geheim halten wollen, andererseits sind die beiden Regisseure dabei, wenn auf den Märkten und in Auktionen um die weißen Trüffel gefeilscht wird. Es ist ein ganzheitlicher Blick auf ein bedrohtes Ökosystem.

Ein teilweise ebenso bedrohtes Ökosystem ist in diesen Tagen wohl die Filmwelt selbst. Am Dienstag müssen Kulturinstitutionen, darunter auch Kinos, wieder für zumindest einen Monat lang schließen. Das zum Anlass nehmend, folgt hier ein Rückblick auf 10 Tage Viennale in einer schwierigen Zeit und drei Dinge, die mir wieder bewusst geworden sind, und die ich auch in den nächsten Wochen nicht vergessen will.

1. Fixe Sitzplätze rocks

Eine Tradition, die dieses Jahr dabei gezwungenermaßen weichen musste, war die freie Sitzplatzwahl in den Kinos. In Zeiten von genügend Abstand zu haushaltsfremden Personen, Contact Tracing und Co. war das nicht mehr möglich, und das war auch gut so.

Viennale 2020

Viennale/Alexander Tuma

Filmfestival in Coronazeiten: Fixe Sitzplätze, Maske und Abstand zwischen den Sitzen

Zwar verlagerte sich so der „Stress“ in den digitalen Raum, aber entspannte dadurch die Situation vor Ort in den Kinos. Mit einem fix zugeteilten Sitzplatz ist die Lage wesentlich überschaubarer und angenehmer. Als Zuseher*in kann man sich so wirklich auf das Erlebnis konzentrieren und nicht auf das Gedränge im Gartenbaukino-Foyer.

Außerdem hat die Viennale erstmals zusätzlich zu den fünf Viennale-Kinos noch fünf sogenannte Circuit-Kinos bespielt. Ein schöner Nebeneffekt der zusätzlichen Kinos: Wie der Eröffnungsfilm Miss Marx wird auch der diesjährige Abschlussfilm gleichzeitig in allen Festivalkinos übertragen und schafft damit ein Festival, das eine Stadt über den gesamten Raum einnimmt und Menschen zusammenbringt.

2. Kino als physischer Ort

Ich bin selbst ein Kind der Generation Streaming. Aber wenn mir die Viennale eine Sache wieder deutlich vor Augen geführt hat, dann dass Kinos als physische Orte kaum zu ersetzen sind.

Es gibt Filme, die unbedingt die große Leinwand brauchen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Es gibt Filme, die ich lieber nicht alleine zu Hause auf der Couch sehen möchte. Diese Filme benötigen das Commitment des Kinos, dass in den nächsten in Dunkelheit gehüllten Minuten gespannt auf die Leinwand gestarrt wird, ohne Ablenkung, ohne Smartphone. Ebenso gibt es Filme, die die anschließende Diskussion mit Filmemacher*innen brauchen, um das Werk in der Gesamtheit verstehen zu können. Das kann nur das Kino als physischer Ort leisten. Ich wünsche mir, dass wir das in den nächsten Wochen und Monaten nicht vergessen.

Diskussion mit Sandra Wollner, The Trouble With Being Born, Viennale 2020

Viennale/Roland Ferrigato

Diskussion mit Regisseurin Sandra Wollner („The Trouble With Being Born“) auf der diesjährigen Viennale

Mein optimistischer Eindruck ist auch, dass es vielen Menschen damit gleich geht. Selbst in dieser krisengebeutelten Zeit habe ich kaum eine Vorstellung auf der diesjährigen Viennale erlebt, die nicht komplett ausgebucht war. Ein schönes Zeichen. An dieser Stelle auch Lob an das gesamte Viennale-Team, das sich bemüht hat, ein physisches Filmfestival auf die Beine zu stellen und den Menschen ein Stück Normalität zu bieten.

3. Film erweitert den Horizont

Für 120 Minuten sich Fallenlassen in eine fremde Welt, in einen Teil der Welt, mit dem man zuvor kaum Berührungspunkte hatte. Dabei Menschen und Orte kennenlernen, über die man zuvor noch nichts wusste. Dabei sitzen neben dir im Kino Menschen, die in diesem Moment das selbe sehen, den selben Einblick bekommen. Das bringt – auch in Krisenzeiten – Menschen näher zusammen und das hat die Viennale auch mit der Filmauswahl dieses Jahr geschafft.

Große Empfehlung an dieser Stelle auch für „Nomadland“ der sino-amerikanischen Regisseurin Chloé Zhao. Gemeinsam mit Hauptdarstellerin Frances McDormand zeigt sie ein Amerika, das auf dem kapitalistischem Weg Menschen verloren hat, die ausgestiegen sind. Im Film sehen wir die 60-Jährige Fern, die sich mit ihrem weißen Van ohne Ziel aufmacht, um ein Leben als moderne Nomadin zu leben. „Nomadland“ nimmt uns mit zu Menschen, die einen Gegenentwurf zum heute vorwiegenden Gesellschaftsmodell präsentieren.

Filmstill Nomadland

Viennale

Frances McDormand streift in „Nomadland“ als Nomadin Fern durch das Land

Das sind Einblicke und Welten wie sie uns Filme – und auch Filmfestivals wie die Viennale anbieten können. Die letzten Tage hat die Viennale uns neue Welten gezeigt und uns zum Lachen, Weinen und Staunen gebracht. Für all das braucht es Filmfestivals. Für all das braucht es Filme. Mehr denn je.

In diesem Sinne: Es war ein schöner und lehrreicher filmischer Ausflug ins Frankreich der 80er, ins England des 19. Jahrhunderts, zu Verbrechen in Bosnien und Herzegowina in den 90ern, ins dörfliche Südtirol, in die Sowjetunion der 60er, in aktuell gebeutelte Grenzgebiete im Nahen Osten, in strauchelnde Familien weltweit, in die Wiener Unterwelt der 60er, zu modernen Nomad*innen. Wir haben mit argentinischen Schauspieler*innen Shakespeare-Stücke geübt und haben über das Zusammenleben von Mensch und Roboter diskutiert.

See you down the road!

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