FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ana Marwan: Verpuppt

Otto Müller Verlag

buch

„Verpuppt“ von Ana Marwan

Ob in einem Ministerium oder in der Psychiatrie ist nicht ganz klar - aber der Weg von einer Raupe zum Schmetterling ist einsam und lang. Den erzählt Bachmannpreisträgerin Ana Marwan mit viel Ironie in ihrem Coming-Of-Age-Roman „Verpuppt“.

Von Zita Bereuter

„Manche Leute sind Schmetterlinge und manche sind Füchse“, erklärt Ana Marwan im Interview. Ein Fuchs kommt bereits als Füchslein auf die Welt. „Er ist zuerst klein und dann wird er groß und da gibt es nicht so große Unterschiede dazwischen.“ Bei einem Insekt hingegen findet eine Entwicklung statt. „Ein Schmetterling oder eine Fliege schauen im Larvenstadium oder in einem Puppenstadium, im Kokonstadium ganz anders aus als dann, wenn sie erwachsene Tiere sind.“

Dieser Prozess der Metamorphose interessiert Ana Marwan, den überträgt sie auf Menschen. „Bei manchen Menschen merkt man, dass sie in der Entwicklung nicht nahtlos von einem Kind zu einem Erwachsenen übergehen, sondern sie zuerst eine Made sind, ein Mädchen und dann werden sie zu einer Puppe. Und man ist gespannt, was aus ihnen wird. Und es schaut von außen betrachtet aus wie ein Ruhezustand. Aber im Inneren passiert viel.“

Ana Marwan beim Bachmannbewerb im Garten bei ihrer Lesung.

Johannes Puch

Ana Marwan ist in Murska Sobota/SLO geboren, lebt nun in Wien und ist im besten Sinn zweisprachig. Sie schreibt in ihrer Muttersprache Slowenisch ebenso wie auf Deutsch. Mit ihrem deutschsprachigen Text „Wechselkröte“ gewann sie 2022 den Ingeborg Bachmann-Preis.

"Verpuppt" von Ana Marwan

Otto Müller Verlag

Ana Marwan: Verpuppt. Der Roman wurde von Klaus Detlef Olof aus dem Slowenischen ins Deutsche übersetzt und erscheint am 30. Jänner im Otto Müller Verlag

Bei der Erzählerin Rita dauert die Verpuppung jedenfalls lange. „Ich frage mich, wann ich herangereift sein werde. Es gibt alle Arten von Fliegen, aus solche aus der Gattung Ephemeroptera zum Beispiel, die zwanzig Jahre im Schlamm im Larvenstadium verbringen und dann für einen Tag Flügel bekommen – Eintagsfliegen.“

Rita ist ein zurückgezogener Teenager, nicht besonders hübsch, dafür äußerst intelligent, tut sich mit der Gesellschaft schwer und widmet sich in ihrer Einsamkeit lieber Büchern. „Allgemein gesprochen kenne ich nicht viele Menschen. Aber ich habe mindestens fünfhundert Bücher gelesen. (…) Aber wenn ich Schriftsteller kenne, heißt das noch lange nicht, dass ich die Männer kenne. Denn gesunde Männer, die sich in der Welt zu Hause fühlen, schreiben nicht.“ Aus dem Gelesenen konstruiert sie ihre eigene Welt mit eigenen Geschichten. Die Einzelgängerin hat nur eine Freundin: Anja, die schönste von allen, die sich für nichts groß anstrengen muss. Rita hingegen wird nichts geschenkt. Irgendwann ist ihr alles zu viel und sie wird in eine psychiatrische Klinik gebracht - „Institutionalisiert“.

„Anja kam zu Besuch. Sie sagte, wir gehen ins Theater, wenn ich rauskomme. Ich zeigte keine Freude. Sie ging mir auf die Nerven, immer so vorsichtig. So bevormundend, als wäre eine zerbrochene chinesische Vase aus der Ming-Dynastie weniger wert als eine fabrikmäßig bemalte Vase Made in China, die ganz ist.“

Rita erzählt aus ihrem Leben, es ist allerdings nicht klar, ob sie in der geschlossenen Psychiatrie oder in einem Ministerium sitzt. Beides ist möglich, „aber ich finde den Sprung nicht so groß, eigentlich.“ Meint Ana Marwan und erklärt, „Ich wollte, dass die Unsicherheit des Lesers in Bezug auf den Ort die Orientierungslosigkeit der Protagonistin widerspiegelt, die auch ihren Platz auf der Welt sucht und nie ganz sicher ist, wie die Orte oder Menschen zu definieren wären. Und diese Grenzen zwischen kontrastierenden Meinungen verschwimmen immer wieder.“

Ana Marwan, Zabubljena

Beletrina

Ana Marwan: Zabubljena. Das Original ist 2021 bei Beletrina erschienen und wurde von Kritikern mit dem Kritiško sito 2022 für das beste Buch des Jahres 2021 in Slowenien ausgezeichnet.

Wie man mit anderen Menschen in Kontakt tritt, weiß Rita nicht, dafür fehlt ihr das Werkzeug, meint Ana Marwan. „Wenn ich draußen wäre, würde ich wahrscheinlich auch keinen Kontakt zu Menschen haben. Ich müsste mir wahrscheinlich einen Job suchen, wenn ich Kolleginnen haben möchte, mit denen man auf einen Kaffee gehen könnte.“

Umso mehr sucht sie die Nähe zu dem viel älteren Ivo Jež, der im Ministerium arbeitet – oder vielleicht auch in der Anstalt sitzt. Von außen wird die Beziehung als skandalös angesehen. Allein – das Aufregende spielt sich nur in den Köpfen der Lesenden ab. Denn Ana Marwan hantiert gekonnt mit Vorurteilen. Wenn irgendwo eine Frau auf einen Mann trifft, erwartet man eine Liebesbeziehung, erklärt sie. „Und ich möchte diese Vorurteile irgendwie auch auf der Ebene der Geschichte unterminieren.“ Ana Marwan hängt Tschechows Pistole quasi wieder an die Wand. Eine Beziehung mit einem großen Altersunterschied ist eines der wenigen Tabus. Außerhalb einer Familienzelle ist eine „sinnlose“ Beziehung zwischen Generationen selten. Also eine Beziehung, ohne einem bestimmten Zweck, abseits von Arbeits- oder Ausbildungsumfeld. Auch hier spielt sie mit den Vorurteilen – nicht nur der Gesellschaft, sondern vielmehr der Lesenden.

Mit „Verpuppt“ hat Ana Marwan einen Roman geschrieben, der bewusst nicht zeitgemäß ist. Ein Roman voller Ironie, der viel Wert auf Sprache legt – mit gekonntem Sprachwitz. Das dürfte in der Übersetzung auch schwierig gewesen sein. Allein der Originaltitel „Zabubljena“ beinhaltet auch gleich ein Wortspiel und heißt nicht nur „Verpuppt“ sondern wird im Slowenischen witzigerweise von Google und von Word automatisch auf verliebt korrigiert „zaljubljen“, lacht Ana Marwan. Aber „verpuppt mag ich eigentlich auch, weil es an die Puppe erinnert.“

Bachmann

Schon nach wenigen Seiten wird Ingeborg Bachmann erwähnt. Sie habe zuvor „Der Fall Franza“ und „Requiem für Fanny Goldmann“ gelesen. Den Roman hat Ana Marwan bereits 2019 fertig geschrieben. Nie hat sie damals daran gedacht, auch beim Wettlesen um den Ingeborg Bachmann-Preis in Klagenfurt dabei zu sein. Die Entscheidung mitzumachen, fiel sehr kurzfristig. Sie hatte nicht damit gerechnet, ausgewählt zu werden, damit den Bewerb zu gewinnen schon gar nicht. Seither sei ihr Leben voll mit Ereignissen. Die fünf Jahre zuvor hat sie „entlegen und sehr einsam gewohnt.“ In der Zeit „Sind mir einfach nicht viele Dinge passiert. Und ich musste danach suchen. Und ich musste das im Kleinen finden. Jetzt passieren halt große Dinge von selbst.“ Ob das ein Fluch oder ein Segen ist, weiß sie selbst nicht. Sie ist seit kurzem Chefredakteurin von der Zeitschrift „Literatur und Kritik". „Und nachdem das eine große Herausforderung ist, investiere ich die meiste Zeit jetzt darin.“

mehr Buch:

Aktuell: