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Nikolai Köhle

Radio FM4 | Zita Bereuter

Nikolai Köhle gewinnt mit „Abinseln“ den 2. Platz bei Wortlaut

Eine Person nimmt einen schwerkranken Mann mit auf eine Insel. Ob Reise, Entführung oder Flucht ist allerdings nicht so klar. Mit „Abinseln“ gewinnt Nikolai Köhle Platz 2 bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Zita Bereuter

„Eins lässt sich einen Extrapflätscher vom extrascharfen Senf auftun. So habe ich ihn kennengelernt. Beim Scharfen René. Er tunkt tief und beißt fast die halbe Wurst ab, kaut kaum, bevor er einen Gutteil Bierdose hinterherkippt. Dieses Bild habe ich oft und gern vor Augen. Das hat mich schwer beeindruckt. Aber weniger die Wurst oder der Senf oder Durst, vielmehr der Eins als solcher, wie der da steht und kaut. Und später spricht.“

Nikolai Köhle
*1992 in Vorarlberg, zum Studium nach Wien. Verfolgt phasenweise gern Projekte unterschiedlichster Art. Lernt ansonsten mit kleineren und größeren Kindern in der Schule, dabei selbst am meisten. Aktuell: Schreiben und Reisen in wechselhafter Intensität.

Beim „Scharfen René“ lernen sich die Protagonist:innen kennen. Die Erzählperson und „Eins“. Würstel essen ist zwar nicht so sein Ding, aber zum Biertrinken, wenn es draußen warm ist, steht Nikolai Köhle gern mal bei einem Würstelstand. „Man kann da viel beobachten“, meint er und er mag „das ganze Drumherum“.
Ein Glück, gibt es in seiner Wahlheimat Wien viele Würstelstände. Nach Wien kam Nikolai Köhle für sein Studium: Lehramt für Deutsch und Philosophie, Psychologie, später noch Ethik. Der gebürtige Vorarlberger hat sich schnell in die Stadt verliebt und ist geblieben.

Sein Unterrichtspraktikum hat er am Theresianum absolviert - an der Schule, in der die Geschichte des aktuellen Deutschen Buchpreisträgers spielt - „Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger. „Die Strukturen dieser Geschichte konnte ich am eigenen Leib auch erfahren. Allerdings hinter dem Pult statt vor dem Pult.“ Später - nach „einer gewissen freien Phase, wo ich Verschiedenes ausprobiert habe“, wechselt Nikolai Köhle in einen vollkommen anderen Schultyp: Eine freie Schule, in der es sehr locker zugeht. Nach zwei Jahren, in denen er dort gern tätig war, hat er Bildungskarenz gemacht und ist verreist.

„scharf“ war 2023 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Das ist die heurige Longlist, und das die Shortlist.

Und das sind die besten drei:
Platz 1 - Janett Lederer
Platz 2 – Nikolai Köhle
Platz 3 - Elisa Past

Alle Infos zu Wortlaut

Abinseln

Wortneuschöpfungen versucht Nikolai Köhle immer wieder in seinem Freundeskreis zu streuen. Etwa „abinseln“ - damit meinte er ursprünglich „das Rumhängen an der Donauinsel“. So im Sinne von „Ich bin am abinseln und wer mag, kommt vorbei.“ Im Zusammenhang mit seiner Geschichte bekommt „abinseln“ allerdings eine andere Konnotation. Denn dort ist nicht klar, ob die Erzählperson mit einem todkranken „Eins“ auf einer Insel abhängt, oder ob sie ihn dorthin mehr oder weniger entführt hat.

„Eins und ich sind auf die Insel geflogen, ziemlich schnell, nachdem er die Nachricht bekommen hat, der ganze Freundeskreis noch in einer Schockstarre, aus der er sich nur langsam und träge gelöst hat, um dann in ein umso heftigeres Toben zu verfallen. Aber da war es schon zu spät, um den Eins und mich noch zu erwischen, die wir einfach den nächsten Rausch genutzt haben, um nicht nur kurz im Club, sondern gleich nach viel weiter weg abzuheben.“

Auf einer Insel geschrieben

Die Kurzgeschichte „Abinseln“ hat Nikolai Köhle jedenfalls auf den Philippinen geschrieben. Schreiben und Surfen waren damals seine Beschäftigungen. Wobei er im Schreiben wohl erfolgreicher war als im Surfen, meint er und definiert Surfen als eine „sehr intensive Konfrontation mit der eigenen Frustrationstoleranz oder eben nicht vorhandenen Frustrationstoleranz.“

Nikolai Köhle

Radio FM4 | Zita Bereuter

Eins, Zwei, Drei

Die Protagonist:innen heißen - neben dem scharfen René, „Eins“, „Zwei“ und „Drei“, wobei „Drei“ die erzählende Person ist. Von ihr und von „zwei“ ist das Geschlecht nicht klar - absichtlich hat Nikolai Köhle das offen gelassen. Das findet er spannender.

„Niemand weiß doch, was passiert, mit der Diagnose. Oder eigentlich weiß man das ziemlich genau, darum ist es so wichtig, dass wir beide jetzt auf dieser wunderschönen Insel sind, ganz weit weg von allen anderen. Die regen ihn nur auf. Das kann er jetzt nicht gebrauchen, muss sich ja auch erst einmal einfinden in die neue Situation. Ist zwar nicht für lange. Also nicht nur die Situation oder der Urlaub oder irgendwas, sondern alles so insgesamt für ihn. Nicht mehr lange.
Deshalb trinken wir und machen uns eine gute Zeit. Wenn Zwei anruft, drücke ich weg, oder, wenn ich allein bin, weil es Eins schlecht geht, hebe kurz ab, um zu hören, wie dringend Zwei bei Eins sein will, damit ich umso tiefer spüren kann, wie gern ich selber bei Eins bin.“

Älter werden

Eigentlich scheint Nikolai Köhle sehr entspannt. Am Schreiben schätzt er den gemütlichen Aspekt. „So dieses Setting, das man dann beim Schreiben hat. Man kann gemütlich irgendwo rumsitzen und tut aber nicht nichts.“ Ob an der Sonne („Ich bin ein Sonnenanbeter“) oder am Kachelofen - das genießt er überall. Die Geschichte kommt dann während dem Schreiben. Ein strukturiertes Vorgehen hat er da nicht.

Was ihn aber tatsächlich stresst, ist der Faktor Zeit. „Also das Älterwerden, der Prozess an sich, der Verfall. Das beschäftigt mich sehr. Eines meiner großen Themen eigentlich.“

Offensichtlich kommt das auch gut bei der Jury an. „Es ist eine schöne Konfrontation zwischen dem Verfall und der Schönheit.“ heißt es da aus der Jury. Und „Wer zwischenmenschliche Beziehungen im Angesicht des Todes bevorzugt, der ist bei ‚Abinseln‘ vollkommen richtig.“ „Und der verbindet auf wirklich sehr minimalistische Weise Liebe und Tod, ganz riesige Themen und kommt ohne viel übermäßige Erklärungen aus.“ „Eine Geschichte, die für mich so viele Facetten von menschlichen Interaktionen und Abgründen beschreibt.“ und „Das fand ich sehr spannend, da mitzugehen und auch überrascht zu werden.“

Habe ich Eins gesagt, dass wir nächste Woche zurückfliegen? Oder schon diese? Ich muss ihn immer wieder aufs Neue vertrösten, Ausreden erfinden, langsam wird’s eng. Ich versuche es wieder und sage ihm, dass ein Tropensturm bevorsteht und unser Flug leider schon wieder verschoben worden ist, jetzt müssen wir halt noch ein bisschen länger bleiben im Inselparadies, das ist doch nicht schlimm, oder?

Musik

Der Soundtrack zum Text:

  • Kummer und Max Raabe: Der Rest meines Lebens
  • RAHEL: Hochsommer
  • Hildegard Knef/Dendemann: Insel meiner Angst

Nikolai Köhle mag es, wenn ihm Musik Geschichten erzählt. Deswegen hört er viel deutschsprachige Musik. Zum Schreiben aber bevorzugt er Ruhe. „Ich habe wahrscheinlich schon 100 Notizbücher angefangen, die dann immer irgendwo in der Ecke gelandet sind.“ Jetzt tippt er kleine Beobachtungen ins Handy. Die Art von Beobachtungen, die ihm beim Schreiben sonst nicht einfallen und die doch eine ganz neue erzählerische Dimension eröffnen.

„Abinseln“ mit Nikolai Köhle

„Abinseln“ kann man mit Nikolai Köhle bei der Buchpräsentation, am Freitag 24. November, ab 19 Uhr im Literaturhaus Wien (Zieglergasse 26a, 1070 Wien). Dort liest er seine Kurzgeschichte.
Der Eintritt ist frei.

Die Buchpräsentation gibt es auch als Livestream vom Literaturhaus. Die drei besten Texte werden von den Autor:innen vorgelesen. Die weiteren sieben Autor:innen werden ihre Preise erhalten. Danach kann darauf angestoßen werden...

DerStandard

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Die beste Kurzgeschichte wird in DER STANDARD veröffentlicht.

Nikolai Köhle gewinnt

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