Booka Shade gehen mit Craig Walker in Richtung Popsong
Es gibt Tracks, bei denen man weiß, wo man sie das erste Mal gehört hat. Auf welcher Tanzfläche oder unter welchem Himmel, in wessen Begleitung, in was für einer Lebensphase, und vermutlich ist man ihnen danach noch oft begegnet und konnte das Gefühl dieser Zeit umgehend nachspüren. Arno Kammermeier und Walter Merzinger haben ein paar solcher Stücke produziert. Sie heißen „Body Language“, „Mandarine Girl“ oder „Darko“, sie setzen auf GastsängerInnen („Crossing Borders“), eigene Stimme („Numbers“), Samples („Love Inc“) oder gar keine Vocals.
Booka Shade/Blaufield Music
Als die beiden zu Beginn des Jahrtausends mit ihrem Projekt Booka Shade auf den Plan der deutschen Clubmusik-Szene treten, treffen sie mit ihrem Sound einen Nerv der Zeit. Melodischer Techhouse mit melancholisch gefärbter Grundstimmung wie sie ihn machen, nicht zu überladen, zugänglich, beinahe nachsingbar, schwappt aus Berlin in die Clubs der ganzen Welt. Menschen, die Booka Shade mögen, kauften auch: Trentemøller, M.A.N.D.Y., Steve Bug, Märtini Brös.
Als es mit dem Erfolg von Booka Shade praktisch von Beginn an losgeht, sind die zwei Freunde bereits seit zehn Jahren ein musikalisches Duo. Nur, dass sie sich früher noch Planet Claire nannten und auf chartsaffinen Synthie-Pop setzten, mit gar nicht so geringem Erfolg. „Memento“ dann, das Booka Shade-Debütalbum aus dem Jahr 2004, schlägt mit Tracks wie „Vertigo“ oder „On & On“ Wellen und wird zwei Jahre später übertroffen von „Movements“, dem bis heute erfolgreichsten Longplayer der beiden. Zum zehnten Geburtstag dieser Platte haben Booka Shade im vergangenen Sommer die Londoner Royal Festival Hall ausverkauft.
Booka Shade/Blaufield Music
„Galvany Street“ von Booka Shade ist bei Blaufield Music erschienen.
In den Jahren dazwischen haben sie vier weitere Alben produziert, haben Moby, The Knife und Depeche Mode geremixt und mit ihren mitreißenden Liveshows die Welt betourt. Kammermeier und Merzinger auf der Bühne, das bedeutet Live-Schlagzeug und Synths, Effektgeräte, Gesang, Vocoder, Arme hochreißen, Lichtshow. Es funktionierte bis zum Ende einwandfrei, und dennoch war irgendwann genug damit.
Wenn Booka Shade anlässlich ihres jüngsten Albums namens „Galvany Street“ eine Abkehr von der Clubmusik verkünden, so ist das natürlich übertrieben. Die Grundstimmung ihrer früheren Produktionen, in denen Glück immer auch ein bisschen Traurigsein bedeutet, zieht sich ebenso durch die neuen Nummern wie das Wissen um Beats, Breaks, Drops, Hooklines. Die Geschwindigkeit ist ein bisschen heraußen, soviel ja, und mit einer Ausnahme fallen die Stücke neuerdings eindeutiger in die Kategorie Popsong als zuvor.
Neu ist außerdem, dass Walter Merzinger und Arno Kammermeier praktisch ein drittes Bandmitglied in ihre Reihen aufgenommen haben, zumindest vorerst. Der neueste Booka Shade-Zugang heißt Craig Walker und war etwa zu jener Zeit, als die beiden Produzenten ihre Clubkarriere starteten, vorübergehender Frontmann der wandelbaren britischen TripHop-Rocker Archive. Walkers Stimme ist auf sieben der zehn neuen Stücke auf „Galvany Street“ zu hören; auch wird er mit Booka Shade auf Tour gehen. Wie es danach weitergeht, ob das Duo ein Trio und Synthie- bzw. Techno-Pop ihr neues Review bleiben? Merzinger und Kammermeier zucken die Schultern. Bis jetzt hat sich immer alles noch gut ergeben.
Booka Shade/Blaufield Music
Die Songs der aktuellen Platte wissen um den schwelgerischen Synthpop der Depeche Mode-Balladen, um den TripHop der Neunziger, vielleicht sogar um zeitgenössischen Charts-R’n’B. Dazwischen bahnen sich Booka Shade einen Weg, der sie in allerlei verschiedene Konzert-Venues führen wird, in einige zum ersten Mal, doch auch in einige altbekannte Clubs. Ihre Entwicklung ist auch für Außenstehende gut nachzuvollziehen.
„Galvany Street“ wird sicher nicht als das beste Booka Shade-Werk in die Geschichte eingehen. Das macht aber nichts. Es ist ein Album, das zwei Freunde zeigt, die noch lange nicht müde sind, die miteinander und in Zusammenarbeit mit anderen neue Ideen finden, Dinge ausprobieren und in liebevoller Feinarbeit aus all den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung Songs herausmeißeln, die ihnen selbst am Herzen liegen. Viele glückliche Menschen vor vielen internationalen Bühnen werden es ihnen danken.
Publiziert am 17.04.2017