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Eine schwarze Frau protestierend mit Megaphon, Filmstill aus "Whose Streets"

Crosroads Filmfestival

Diese Dokus machen dich weiser

Das Crossroads Festival zeigt in den kommenden zwölf Tagen aktuelle internationale Dokumentarfilme zu den großen Themen unserer Gegenwart.

Von Maria Motter

„Jede Generation muss in einer relativen Undurchsichtigkeit ihre Mission entdecken und sie entweder erfüllen oder verraten“, wird der Psychiater, Philosoph und Vordenker Frantz Fanon in einem Insert in dem großartigen Dokumentarfilm „Whose Streets?“ zitiert. Dieses Zitat trifft den Eindruck hervorragend, den man als BesucherIn des Crossroads Festivals in Graz hat. Denn auf diesem Festival für Dokumentarfilm und Diskurs geht es um die großen Themen des Lebens und unserer Gegenwart auf diesem Planeten. Im Fokus stehen Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und wie wir unser Zusammenleben überhaupt organisieren wollen. Es geht um Menschenrechte, Tierrechte und den Schutz der Umwelt.

"Crossroads Festival für Dokumentarfilm und Diskurs, 22.11.-3.12.2017, Forum Stadtpark, Graz.

Beim Crossroads Festival gibt es keine fixen Eintrittspreisen, sondern nur Orientierungshilfen für die freiwilligen Unkostenbeiträge.

Das Crossroads Festival zeigt bis 3. Dezember in Graz 28 aktuelle internationale Dokumentarfilme, etliche davon hatten auf großen Festivals Premiere oder sind mehrfach ausgezeichnet. Gezeigt werden sie meist in englischsprachiger Originalfassung. In den kommenden zwölf Festivaltagen gibt es neben den Screenings auch Workshops, Live-Schaltungen mit FilmemacherInnen und eine Konferenz zu Thema „Graz für alle!“. Hier kommen meine Empfehlungen!

„Whose Streets?“

Die weihnachtliche Straßenbeleuchtung wünscht „Seasons Greetings“, die Polizei feuert Tränengas. Was in den internationalen Nachrichten als „Unruhen in der Stadt Ferguson“ Schlagzeilen machte, unterzieht die Filmemacherin Sabaah Folayan einer genauen Untersuchung. In der Stadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri, erschießt der Polizist Darren Wilson am 9. August 2014 den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown mit mehreren Schüssen. Es ist eine regelrechte Hinrichtung. In den Stunden danach kommt es während Mahnwachen zu Plünderungen. Geschäfte brennen.

Eine schwarze Frau und "Black-Lives-Matter-Protestierende, Filmstill aus "Whose Streets"

Crossroads Filmfestival

„Für mich ist das nicht Gewalt, für mich ist das gerechte non-violent direct action“, sagt eine Aktivistin, die mit dieser Ansicht zu einer Minderheit gehört. „Sie sagen, ein brennendes Gebäude ist schlimmer als eine erschossene schwarze Person, weil das Gebäude hat den Weißen gedient und der Schwarze nicht. Ein Gebäude kann man wieder errichten, einen Menschen kann man nicht wiederbeleben, wenn er fünf Stunden am Boden gelegen hat und acht Kugeln in seinem Körper stecken.“

Die Polizei fährt mit Panzerwagen vor, die Nationalgarde wird gerufen - was nicht nur jenen Mann sprachlos macht, der Marinesoldat ist und die Nationalgarde als „little brothers“ betrachtet hatte. Nur der Polizist Darren Wilson wird für die Tat nicht strafrechtlich belangt. Aus Trauer entsteht in wenigen Stunden eine Protestbewegung. Und Menschen legen ihren Heimweg mit erhobenen Händen zurück.

„Whose Streets?“ macht die strukturelle Benachteiligung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung in den USA so deutlich, dass einem Tränen in die Augen schießen ob all dieses Unrechts. Bereits in der ersten Szene kommt zur Sprache, was inzwischen als „School-to-prison-pipeline“ erforscht und belegt ist: Schwarze werden bereits im Kindergarten für Dinge bestraft, die bei weißen Kindern nicht einmal bekrittelt werden. Die Diskriminierung setzt sich im Laufe des Lebens fort. Falschparken kann zu Jobverlust und Obdachlosigkeit führen. Polizeigewalt scheint allgegenwärtig.

Die RegisseurInnen Sabaah Folayan und Damon Davis haben ein Jahr in Ferguson verbracht. In ihrem Film betreten wir über Türmatten mit dem Aufdruck „Come back with a warrant“ die Wohnzimmer von AktivistInnen. Wir begegnen immer wieder einer Handvoll Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Ferguson, die sich gegen die Polizeigewalt stellen. Da ist der „Copwatch“-Filmer David Whitt, dem seine Videokamera Waffe und Schutzschild zugleich ist. Er ermuntert sein Kleinkind spielerisch, zu kämpfen. Aber das Söhnchen umarmt seinen Papa stattdessen. Da sind zwei Frauen, die einander bei den Protesten lieben gelernt haben und die mit Menschenketten Highways blockieren. Und da ist die Krankenschwesternschülerin Brittany Ferrell, die ihre Ausbildung für die Proteste unterbricht.

Allein der Schnitt ist fantastisch. „Whose Streets?“ ist hoch emotionalisierend, weil zutiefst schockierend.

„Ada for Mayor“: Von der Basisdemokratie ins Rathaus

Dokumentarfilme über die erste Zeit eines Politikers im Amt versprechen meist erhellende Szenen. Als zum Beispiel die deutsche Piratenpartei in den Berliner Stadtsenat einzog, dokumentierten Nicola Graef und Torsten Mandalka deren erste 100 Tage für die ARD in einer Doku. Da konnte man sehen, wie die Piraten mit dem Lesen der Bestimmungen zum Kanalbau kämpften und allmählich an ihrem Abstimmungsmodell scheiterten.

Basisdemokratie ist auch Ada Colau vertraut. Der politische Alltag der Katalanin hat sich binnen weniger Monate ebenfalls verändert: Als Aktivistin der Plattform gegen Zwangsräumungen wurde sie gefeiert und ist zur Hoffnungsträgerin für viele armutsgefährdete Menschen in Barcelona geworden. Dann trat sie als Kandidatin des Bündnisses „Barcelona en Comú“ für das Bürgermeisteramt an und gewann im Mai 2015. Die Monate zuvor hat sie Pau Faus - dessen andere Arbeiten einen Klick und Blick wert sind - für die Doku „Ada for mayor“ mit der Kamera begleitet.

Wer sich für politische Forderungen interessiert, wird leider enttäuscht. Das Vorwissen über die einstige Hausbesetzerin muss man mitbringen. Wofür Ada Colau steht, was sie mit der Stadt Barcelona im Detail vorhat, wird mit einem vagen „Barcelona für seine Leute zurückgewinnen und damit eine Alternative gewinnen“ beantwortet. Spannend wäre eine Dokumentation, wie „linksradikal“ ihre Politik im Reality Check tatsächlich ist und wie es ihr und ihrem Wahlbündnis seit dem Wahlsieg ergangen ist - nicht nur bei ihren Kämpfen gegen Uber und Vermittlungsplattformen für TouristInnen-Appartments und gegen neue Hotelbauten. Aufregend werden Colaus nächste Monate auf alle Fälle.

„Deportation Class“: Vom Gefühl Sicherheit

Gemeinsam ist allen Dokumentationen am Crossroads Festival, dass sie Geschichten aufgreifen, wenn die News-Teams großer TV-Stationen längst vom Schauplatz abgezogen sind, oder dorthin schauen, wo man nicht so leicht Zugang bekommt.

DEPORTATION CLASS, offizieller Trailer from PIER 53 Filmproduktion on Vimeo.

Weitere Porträts am Crossroads Festival:

„Unlocking the Cage“ führt die unermüdlichen Bemühungen des Tierrechtsanwalts Steven Wise vor Augen, der u.a. für Persönlichkeitsrechte für Menschenaffen kämpft.

Der deutsche Regisseur Andreas Veiel kommt in seiner Collage „Beuys“ dem Künstler Joseph Beuys heftig nahe.

So dokumentiert „Deportation Class“ von Carsten Rau und Hauke Wendler, wie eine sogenannte Sammelabschiebung in Deutschland vor sich geht. Das Regie-Duo verzichtet dankenswerterweise auf jegliche pathetische Steigerung in ihrer Inszenierung. Da steht ein deutscher Innenminister einem abzuschiebenden Familienvater aus Albanien gegenüber und wird still. Dann wendet er sich an einen Beamten, wie es denn mit der Tochter, der Frau und der Mutter des Mannes weitergeht.

„Deportation Class“ verhandelt nebenbei auch das Thema „Sicherheit“: „Die Frage der Sicherheit, die Frage Asylwerber hat sich seit den letzten Wahlen vor fünf Jahren erheblich verändert, die Wahrnehmung der Bevölkerung“, sagt der damalige Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier. Noch vor wenigen Jahren hätten sozialer Friede und Arbeitslosigkeit bei Wahlen eine große Rolle gespielt, heute sei es Sicherheit, meint er weiter.

Letztes Nashorn in „The Last Animals“

Nur eine Dokumentation aus dem Themenkomplex Tierrecht zu empfehlen, fällt herzlich schwer. Die industrielle Fleischproduktion und die „Nutz"tierhaltung werden in "The Last Pig“, „The End of Meat“ und in „One Angry Vegan“ verhandelt.

Ranger und Nashörner, Filmstill aus "The Last Animals"

Crossroads Filmfestival

The Last Animals

„Man müsse nur ein ‚Nutz-‘ vor den Elefanten setzen, schon wäre alles legal“, kommentierte ein Amerikaner kürzlich die - inzwischen zurückgenommene - Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die Einfuhr von Elefantenschädeln und anderen Jagdsouvenirs wieder zu erlauben. Die letzten Waldelefanten Afrikas, die letzten Nashörner wollen vom Aussterben bewahrt werden. Das Nördliche Breitmaulnashorn ist 2016 ausgestorben. Als der letzte Bulle starb, sind nur drei Kühe übrig geblieben. Vom Südlichen Breitmaulnashorn leben noch einige Tausend Tiere. Breitmaulnashörner sind die drittgrößten Landsäugetiere der Erde, nur Afrikanische und Asiatische Elefanten sind größer. Die Kriegsfotografin Katie Brooks, die von Konflikten in Afghanistan und im Nahen Osten berichtet hat, richtet in „The Last Animals“ ihre Kamera auf das Abschlachten der großen Wildtiere Afrikas und die Anstrengungen, die Tiere zu schützen.

„One Angry Vegan“: Israel ohne Milch und Honig

„One Angry Vegan“ von Gil Golan ist ein flottes, 50-minütiges Porträt der Tierbefreiungsaktivistin Tal Gilboa. Es kommt nicht nur ohne Horrorszenen von Schlachtungen aus (abgesehen von einigen Sekunden industriellen Schredderns lebender Küken), der Film streift auch ein erstaunliches Phänomen: Seit 2012 ist Israel innerhalb von vier Jahren zum Land mit der höchsten VeganerInnen-Dichte weltweit geworden. Etwa fünf Prozent der Israelis ernähren sich strikt vegan. Das hat unter anderem mit dem US-Amerikaner Gary Yourofsky zu tun. Er ist jüdisch und hat eine einstündige Lecture gehalten in der er Schlachthäuser mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern vergleicht - als „The best speech you’ll ever hear“ wird sie im Film bezeichnet. Das Video der Lecture wurde auf YouTube über 4 Millionen Mal aufgerufen und weiter verbreitet. Auch Tal Gilboas Name wurde viral, die Frankfurter Allgemeine bezeichnet sie als Popstar unter den Tierrechtsaktivisten des Landes.

Das wurde sie aber erst durch eine absurde Interventionen: Tal Gilboa und vegane FreundInnen färbten Brunnenwasser in Tel Aviv blutrot, sie schlitzten ein bereits totes Kalb auf einem öffentlichen Platz auf und blockierten die Einfahrten zu Schlachthäusern mit ihren Körpern. Das brachte immer ein bisschen Aufmerksamkeit und erweiterte das eigene AktivistInnennetzwerk. Die Medien jedoch interessierten sich nicht für die Befreiung zigtausender Puten, stellt ein Aktivist fest. Also zieht Tal Gilboa ins „Big Brother“-Haus ein. Vorab bekommt sie den kollegialen Tipp: Sei höflich! Schon bei einem der ersten Essen im Big-Brother-Haus brüllt Tal Gilboa aber raus, was sie schmerzt. Die Botschaft kommt an. „It’s no longer just a few people, veganism in Israel is spreading rapidly“, hört man die seriöse Stimme eines Nachrichtensprechers sagen. Inzwischen bieten auch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte vegane Menüs und lederfreie Stiefel an. Renommierte Restaurants haben ihre Speisekarten komplett umgestellt.

„Unsere Generation kann die sein, die eine andere Richtung einschlägt", sagt Tal Gilboa in „One Angry Vegan“. „Unsere Generation kann die sein, die aufrechtes Mitgefühl und Gerechtigkeit walten lässt.“

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