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Ein selbstbestimmtes Leben trotz kranker Mutter

Die britische Schriftstellerin Deborah Levy interessiert sich für Exil, Vertreibung, Rückkehr. Dennoch ist ihr soeben auf Deutsch erschienener Roman „Heiße Milch“ kein Migrationsdrama, sondern die packende Geschichte einer 25-Jährigen, die sich aus den Krankheitsklauen ihrer Mutter befreit.

von Anna Katharina Laggner

Meine Liebe zu meiner Mutter ist wie eine Axt. Sie schlägt sehr tief.

Buchcover

Kiepenheuer & Witsch

Heiße Milch von „Deborah Levy“ ist von Barbara Schaden übersetzt worden und bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Diese Aussage taucht in „Heiße Milch“ drei Mal im gleichen Wortlaut auf. Sonst steht sie zwischen den Zeilen. Noch viel öfter wird die 25-jährige Sophia von Meeresquallen gestreift, attackiert möchte man sagen, wenn Quallen nicht so willenlos dahinwabernde Primitivlinge wären. Deren Berührung mit der menschlichen Haut verursacht freilich auch sehr tiefe Schmerzen. Nach dem ersten Quallenbiss begibt sich Sofia in die Erste Hilfe Station, wo ein spanischer Student sie versorgt. Ihm erzählt Sofia von ihrem „armseligen Miniaturleben“: „Ich habe eigentlich keinen Beruf, sondern eine Berufung, und das ist Rose, meine Mutter“.

Seitdem Sofia fünf Jahre alt ist, ist ihr Leben vom Leiden der Mutter geprägt. Rose ist beinmarod, sie kann nicht, beziehungsweise nur sehr selten, gehen, dürstet ständig nach Wasser, aber nie ist es das richtige Wasser, das Sofia ihr bringt.

Rose ist Bilderbuch-Britin: in die Wunderheiler-Klinik nach Südspanien hat sie englische Schwarztee-Sackerln mitgebracht, dem Wunderheiler selbst begegnet sie mit schwarzem Humor. Der glaubt aber tatsächlich, dass sie ihre Beine zur Gänze los werden will. Derweil beginnt Sofia eine Affäre mit dem Erste-Hilfe-Studenten und mit einer deutschen Aussteigerin.

„Seit meiner kühnen Liebesnacht unter den echten Nachtsternen bin ich in verwegener Stimmung. Ich möchte mit einem Geliebten hier sitzen. Stattdessen bin ich mit meiner Mutter hier, die so etwas wie eine Berufsinvalidin ist. Ich bin jung und könnte sogar Objekt neu ersonnener erotischer Träume sein. Und ich könnte von Ingrid geliebt sein, die mich martert.“

Autorin

Kiepenheuer & Witsch

Deborah Levy wurde in Südafrika geboren. Ihr Vater war Historiker und Mitglied des ANC. Nachdem er vier Jahre als politischer Gefangener inhaftiert war, ist die Familie 1968 nach Großbritannien ausgewandert. Heute schreibt Deborah Levy Romane, Theaterstücke und Essays, etwa diesen hier, in dem sie erzählt, weshalb sie ihren Schreibschuppen liebt.

„Heiße Milch“ handelt davon, dass eine Tochter sich von der Mutter abnabelt und beginnt, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Von solchen Sachen handeln viele Bücher, aber selten gelingt ihnen das, was der Schriftstellerin Deborah Levy gelingt: bei ihr mündet jegliche Schwere in einen guten Witz und auch ihre Metaphern machen Sinn. Etwa wenn sich Sofia mit einer Kellnerin vergleicht, die die Krankheitssymptome der Mutter auf einem Tablett vor sich herträgt.

Gleichzeitig ist der Roman im Jetzt verankert, was am Deutlichsten zu Tage tritt, als Sofia nach Athen reist, um nach elf Jahren ihren Vater wieder zu sehen und ihn dort mit einer jungen, perfekt ausgebildeten Ökonomin findet, die keinen Job mehr hat. „Heiße Milch“ verliert zwar ganz am Ende seine Kühnheit, ist aber bis dahin eine mit allen Krisen gewaschene Trotzreaktion auf eine Welt, die einer jungen Frau das Leben versagt hat.

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