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Mario Wurmitzer

Johannes Stadlbacher

Im Surrealismus ist alles erlaubt

One to watch: Mario Wurmitzer ist ein neues, österreichisches Literaturtalent, was er mit seinem Debütroman „Im Inneren des Klaviers“ beweist.

Von Lisa Schneider

Was Kunst ist und was sie soll, ist oft besprochen worden. Für Mario Wurmitzer, Autor aus Mistelbach/Niederösterreich, hat sie vor allem eine Aufgabe: „Literatur soll eine Art Fluchtraum schaffen. Und vor allem soll sie, für mich zumindest, ein Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachten, es nicht unbedingt direkt anpacken.“ Was genau der 25-jährige Schriftsteller damit meint, veranschaulicht am besten sein Debütroman „Im Inneren des Klaviers“.

Flucht und Liebe

Seine Fluchtidee hebt er, verwoben in zwei Erzählstränge, auf eine Metaebene: im Roman flüchten die beiden Protagonisten einerseits vor einem repressiven Königshaus, und andererseits hinein in ihre oft verquere Liebesbeziehung. Auch die Zwischenmenschlichkeiten, die kleinen Momente, die man teilt, bieten ihnen einen Ort der Ruhe, der im totalitären Überwachungsstaat nicht oft zu finden ist.

In der Geschichte von Mario Wurmitzer handelt es sich aber nicht um ein totalitäres Regime wie etwa im Klassiker 1984 von George Orwell; es ist kein heraufbeschworenes, zukünftiges Horrorszenario.

Seine beiden Figuren, die entlaufene Königstochter und ein junger Mann, den sie am Weg hinaus aus diesem Wahnsinn mehr oder weniger am Pfad aufliest, suchen nach der Freiheit. Die Beschreibung von Gilden, eigentümlich alten Sitten, von Handwerkern, von einer vorindustriellen Gesellschaft lässt annehmen, gleich springt der beschellte Narr um die Ecke und zieht einen hinein ins Mittelalter; dem ist nicht so. Auf einmal wird dann nämlich ein Computer erwähnt, Rosamunde Pilcher, Lucky Luke oder Kafka. Es ist eine parallele Welt zur Gegenwart, die Mario Wurmitzer zum Spaß für sich, vielmehr aber noch für seine Figuren erschaffen hat.

Mario Wurmitzer

Johannes Stadlbacher

Mario Wurmitzer
Mario Wurmitzer wurde 1992 in Mistelbach geboren und lebt in Wien.

Er schreibt Prosa- und Theatertexte, 2010 erschien sein Jugendbuch „Sechzehn“, sein letztes Stück, erschienen 2017, heißt „Werbung, Liebe, Zuckerwatte“.

2013 und 2016 hat Mario Wurmitzer am FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut teilgenommen und es jeweils unter die Top Ten der ausgesuchten Texte geschafft. Sein Text aus dem Jahr 2016 stellt gleichzeitig den Anfang seines Debutromans dar.

Vom manchmal auch politischen Wahnsinn

Im besten Fall sind gute Autoren auch gute Leser. Mario Wurmitzer hat seine Vorbilder studiert, von Melville bis Horváth, von Handke bis Mayröcker. Auch privat sind ihm die Geschichten am liebsten, die ins Surreale fallen, in eine zweite Welt, in der Unaussprechliches möglich wird, wie bei Alfred Kubin oder der Schweizer Autorin Dorothee Elmiger. Dass sein Debütroman stark politische Züge hat, war zwar anfangs nicht so intendiert, aber trotzdem unausweichlich: „Man landet halt letztlich immer bei diesen Themen, man kann sich dem nicht ganz entziehen, wenn man Mensch ist, der in einer Gesellschaft lebt. Mein Ansatz ist nie der, dass ich jetzt einen unbedingt politischen Text verfassen will, ich gehe immer von den Figuren aus, ich überlege, wofür die brennen, wofür sie stehen.“

Seine Figuren straucheln und scheitern auf ihrer gemeinsamen Flucht, sie haben aber auch sehr viel Spaß „Im Inneren des Klaviers“. Der Roman heißt übrigens so, weil es ein prominentes, später blau bemaltes Klavier geben soll, das als Versteck einer Prophetin dient. Noch so eine schräge Figur, wie sie den ganzen Roman bevölkern.

Früher Karrierestart

Mario Wurmitzer hat 2010 ein Jugendbuch geschrieben, es heißt „Sechzehn“. Nach diesem hat er Texte für Sammelbände und Literaturzeitschriften geschrieben, einige Preise entgegen genommen. Auch beim FM4 Literaturbewerb Wortlaut hat er 2013 und 2016 teilgenommen - und hat es mit seinen Texten jeweils in die Top Ten geschafft. Die 2016 eingereichte Geschichte ist es auch, die den Grundstein für seinen Debütroman gelegt hat.

In letzter Zeit war Mario Wurmitzer aber vor allem am Theater tätig. Sein aktuelles Stück „Werbung, Liebe, Zuckerwatte“ wurde im Juli im Salon5 in Reichenau an der Rax am Thalhof, unter der Regie von Anna Maria Krassnigg uraufgeführt. Auch dieses Stück erzählt eine surreale Geschichte rund um einen fingierten Terroranschlag aufs Wiener Riesenrad und ist einer von vielen Theatertexten, die Mario Wurmitzer mittlerweile schon in der Nachttischschublade liegen hat. Gerade arbeitet er aber auch schon an seinem zweiten Roman. Wenn es nur nicht so lange dauern würde... „Einen Roman zu schreiben fühlt sich eben schon an wie ein Marathon.“

Cover "Im Inneren des Klaviers" von Mario Wurmitzer

luftschacht Verlag

Mario Wurmitzers Debütroman „Im Inneren des Klaviers“ erscheint im luftschacht Verlag.

Das Genre-Switching zwischen Prosa und Drama jedenfalls lässt ihm die Wahl, wie und wo er seine Geschichte erzählen will, und die verschiedenartigen Zugänge befruchten sich gegenseitig. So kann man sich „Im Inneren des Klaviers“ und seine herrlich närrische Kulisse zwischen kommunistischem Gemeinschaftssinn und Tyrannei, zwischen Kasperltheater und lebensbejahenden, grundlegenden Wahrheiten über menschliche Beziehungen wunderbar auf einer Bühne vorstellen. „Der Text lässt viel zu, man könnte ihn in alle möglichen Richtungen ändern und dehnen, weshalb er sich eben wohl auch gut für eine Theaterbühne eignen würde. Was das über den Text selbst aussagt, bin ich mir nicht ganz sicher“, schmunzelt Mario Wurmitzer. Das ist nicht nur sehr sympathisch, sondern auch wahr: er schafft es mit einer angenehmen Leichtigkeit, das Tragische und das Komische zusammenzubringen, die Realität nach der Phantasie fließen zu lassen, die Grenzen von Wachzustand und Traum zu verwischen. Und zwischendurch gibt es noch so wunderbare Formulierungen wie „Sie sehen aus, als schwirrten fettleibige Glühwürmchen unter ihrer Haut“.

Der deutsche Schriftsteller Jakob Nolte würde sich gut mit Mario Wurmitzer verstehen, ihm nach der Lektüre von „Im Inneren des Klaviers“ vielleicht auch einen ähnlich schönen Auszug aus seinem aktuellen Roman, „Schreckliche Gewalten“ zitieren: „2 Arten zu sterben: Peng Peng Peng / Bla Bla Bla“.

Was das heißen soll? Der Surrealismus ist niemandem eine Erklärung schuldig, das Märchen, der Traum auch nicht. Die Freude auf Mario Wurmitzers zweiten Roman ist jetzt schon groß: Der Marathon hat sich ausgezahlt.

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