Eine Welt ohne Menschlichkeit
Von Sophie Liebhart
Der Roman „Die Hochhausspringerin“ von Julia von Lucadou entführt uns in eine Stadt der Zukunft. Geradlinig und sauber ist diese Stadt. Das oberste Ziel für ihre Bewohner und Bewohnerinnen: sich anpassen und der Gesellschaft dienen. Es gibt klare Abläufe und starre Strukturen.
Hallo mein Schatz, sagt der Bot. Ich habe die Mutteroption gewählt. Es wundert mich immer noch, wie schnell man während des Gesprächs vergisst, dass man mit einer Maschine spricht.
Hanser Verlag
Man tut alles, um möglichst funktionsfähig zu sein und sich in höhere Einkommenslevel hoch zu arbeiten. Gefühle sind fehl am Platz. Als Ersatz für zwischenmenschlichen Kontakt gibt es Bots.
Ausbruch
Mitten in dieser Stadt lebt Riva. Sie ist jung, schön, hat Millionen Fans und funktioniert perfekt. Als Hochhausspringerin riskiert sie bei waghalsigen Sprüngen ihr Leben, dafür bekommt sie jede Menge Geld und Anerkennung. Investoren reißen sich um Riva, sie lebt in einer der teuersten Wohnkategorien, hat einen ausgezeichneten Vitaliy Score.
Doch eines Tages weigert sich Riva weiter zu trainieren. Sie zieht sich zurück, verlässt ihre Wohnung nicht mehr. Hitomi, eine andere junge Frau, soll Riva wieder gefügig machen. Sie überwacht Riva Tag und Nacht und versucht herauszufinden, was der Grund für ihren plötzlichen Sinneswandel ist.
Konsequenzen
Ihre Fortschritte bei dieser Untersuchung werden überwacht. Das setzt Hitomi sehr unter Druck: „Der Projektfortschritt wird als ungenügend angezeigt. Bis zum nächsten Investoren-Meeting muss ich dem Sollzustand deutlich näher kommen. Wegen meiner schlechten Bewertung wurde mir kein Erfolgshonorar ausbezahlt und ich habe Angst, dass die Credits für meine Miete im nächsten Monat nicht ausreichen.“
Christian Werner
Julia von Lucadou wurde 1982 in Heidelberg geboren und ist promovierte Filmwissenschafterin. Sie arbeitete bereits als Regieassistentin, Redakteurin beim Fernsehen und als Simulationspatientin. Sie lebt in Biel, New York und Köln. „Die Hochhauspringerin“ ist ihr erster Roman.
Wenn Hitomi ihren Auftrag nicht erfüllt, droht ihr die Ausweisung in die Peripherie. Das ist die Gegend außerhalb der Stadt. Dort leben die Menschen in Schmutz und Unordnung, ohne Möglichkeit, der Gesellschaft zu dienen.
Wie in der dystopischen britischen Serie „Black Mirror“ geht es um die Auswirkungen von Technik und Medien auf die Gesellschaft. Und es wird einem relativ schnell klar, dass diese Auswirkungen auf lange Sicht nicht positiv sind. Zum einen erscheint diese Welt mit Fitnessverpflichtungen und vorgeschriebenen Beruhigungsritualen erschreckend plausibel und zum anderen so richtig unheimlich.
Man stellt sich die Frage, was den Menschen noch menschlich macht, wenn er perfekt funktioniert? Es sind die Momente, in denen etwas eben nicht nach Plan oder - wie am Ende des Buches - völlig aus dem Ruder läuft. Momente, in denen sich Hitomi nach menschlicher Nähe sehnt:
Ohne zu wissen warum, beginne ich zu weinen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal auf diese Weise geweint habe. Schluchzend und laut. Unangemessen.
Publiziert am 24.07.2018