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Mavi Phoenix am Popfest 2018

Christian Stipkovits

It smells like rain today

Nass begonnen, strahlend geendet: der Eröffnungsabend am Wiener Popfest.

Von Lisa Schneider

Der Weltuntergang, so sieht er aus. Schwarzer Himmel, Windböen, die das Wasser in kleinen, schwappenden Wellen über den Beton tragen. Schirme, die davonfliegen, Menschen in Sandalen, die sich und die Sandalen verfluchen. Kurz vor der Eröffnung des heurigen Popfests durch die Band Dives geht erstmal ein richtiger Wolkenbruch nieder. Gleich vorweg: Die Stimmung hat’s nicht getrübt, dann beginnen wir eben eine halbe Stunde später, kürzen ihr Set zwar, aber es ist der Gedanke des gemeinsamen Spiels, und man will eben keine Band komplett streichen.

Popfest 2018

26. - 29. Juli am Karlsplatz in Wien.

FM4 sendet live vom Popfest am Samstag, den 28. Juli, von 19 – 22 Uhr

Der schiefe Ton, der sitzt

Ihrem Namen gerecht tauchen Dives also in Regenponchos gewickelt auf, auf diese große Seebühne - sie sind damit wohl eine der wenigen Bands, die nicht erstmal eine kleinere, sondern gleich bei ihrem ersten Popfest-Auftritt die größte Bühne bespielen.

Genregerecht dem Punkgedanken huldigend quietscht die Gitarre erstmal unangenehm in die Höhe; in sehr hohen Tonlagen angelegte, einstimmende Soli werden auch noch andere Songs eröffnen, das ist spannend, weil nicht wie auf Platte. Mit ihrer ersten Single „Shrimp“ haben Dives ihren melodiös stärksten Song geschrieben, andere, wie etwa „Roof“ weigern sich gegen die schöne Pop-Klassifizierung, drosseln die Stimme zur Monotonie, bei der nur der Grummelbass mithalten darf.

Besagte Stimme, die darf auch mal schief sitzen, die englische Aussprache muss genauso wenig immer tight sein wie der Einsatz des Schlagzeugs. Es ist kein Nicht-Können, es ist ein Nicht-Wollen, und auch damit prägen Dives die Punk-Tradition im Kleinen: Das Eckige, das Kantige, der rebellische Gedanke, der nicht nur in der Zeile sitzt, sondern vielmehr noch in der Musik.

Die Sonne ist jetzt auch wieder da.

Hedonismus, liebevoller Zorn, Popmusik

Glitzer, Hedonismus, noch mehr Glitzer: Anger eröffnen an einer anderen Ecke des Karlsplatzes die Red Bull Stage. Die hat ihren ganz eigenen Charme, und bietet jedes Jahr aufs Neue die Möglichkeit, dabeizusein, wenn Großes seinen Anfang nimmt. Man denke an Mavi Phoenix, die vor zwei Jahren auf dieser abgespeckten Version der Seebühne gestanden ist, mit einer Single namens „Quiet“ draußen, nur der oberösterreichische Slang war da schon genauso elaboriert wie er heute ist. Heuer spielt sie den Headline-Slot auf der größten Bühne. Später mehr, zurück zu Anger.

Zuerst wären da die fabelhaften Outfits des Südtiroler Duos - live unterstützt von Drummer Jakob Herber, der sonst für Flut trommelt. Ein Hemd, das so viel versteckt wie ein durchsichtiger Vorhang, glitzernde Einteiler, schwarze Leggins, Glitzer-Tube-Top, Lacklederüberwürfe, und flammend rotes Haar. Das in Kombination mit dem irgendwie frankophil angehauchten, aber trotzdem in englischer Sprache gesäuselten Dreampop transportiert die ZuseherInnen schon beim Hinsehen hinein in eine Welt, in die man sich gesehnt hat, ohne davon zu wissen. Alles ist weich hier, und schön, es gibt keine Hierarchie, keinen Unterschied Mann/Frau. Das auch gerade deshalb, weil sie keinen Hehl daraus machen, ein Künstler-Pärchen zu sein; aber kann das funktionieren, muss man sich als Band nicht eigentlich hassen, um richtig groß zu werden?

Anger nicht. Ihre erste EP nennen sie nicht umsonst „Liebe und Wut“, es ist nicht alles Zucker, wo Liebe draufsteht, und nicht alles die Hölle, wo „Wut“. Nora Pider und Julian Angerer erklären die Bühne zum Theater - Nora Pider ist auch Performancekünstlerin - das geht am schönsten im Song „Without You“ auf, küssen sie sich jetzt, oder nicht?

Die Instrumente aus der Hand gelegt schleichen sie über die Bühne, und singen sich an, aber auch wieder fürs Publikum. Es kribbelt irgendwie, es ist manchmal so als sähe man hier etwas, was man nicht sehen dürfte, ohne die schmuddelige, aber mit verführerischer Note. Voyeurismus ist etwas Schönes.

Eine erste kleine, große Pop-Sensation an diesem ersten Festivalabend, wahrscheinlich schon eine der besten fürs Wochenende. Mit ihrem schönsten Stück „Sunday Depression“ schließen sie ihr Set, der Song, den wir uns alle Sonntags nicht anhören müssen, gegen die Depression gibt es da dann nämlich Konzerte in der Karlskirche.

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Die melancholische und die Strandgitarre

Die Seebühne hat sich mittlerweile warmspielen lassen, die angenehm kühlen Temperaturen sind da, und passend zum späten Dämmerlicht zelebrieren Naked Lunch standesgemäß eine große Show, mit einem seltenen Gastauftritt von Gustav. Diese Institution von Band, mit militant und trotzdem sanft vertontem Welt- und Herzschmerz, man weiß nicht, was von beiden ihnen mehr weh tut. Gelebte, gespielte Verzweiflung, und dann kommen da so gute Songs heraus, es ist zum In-die-Hände-klatschen, oder vielleicht eher zum schönen Ins-Bier-weinen.

Es geht schon an die letzten Bands, die Open Air heute auftreten, Pressyes spielt auf der Red Bull Music Stage psychedelischen Gitarrenpop und fragt vielleicht einmal zu oft, wer im Publikum aller sein geliebtes „California“ kennt. Die Musik ist nämlich gut, und vor allem sehr gut gespielt, die angestrengt evozierte Verbindung zum Sonnenstaat mit Surfer-Coolness muss gar nicht sein. „I wish I was by the ocean“ singt René Mühlberger, heute muss der Brunnen vor der Karlskirche dienen, er ist an diesem Wochenende das schönste Meer der Welt.

Mavi Phoenix Superstar

Mavi Phoenix betritt schließlich die Hauptbühne, die schon Erwähnte, die vor zwei Jahren ganz am Anfang war, und jetzt vom Primavera Sound Festival, vom Melt! und Roskilde zurückkehrt, ihren Siegeszug zuhause zu beenden. Viel ist gesagt und geschrieben worden über die heimische, großartig anwachsende Popmusikszene in den letzten Jahren; Mavi Phoenix aber ist eine, die sich tatsächlich als eine der größten Pop-Hoffnungen des Landes bezeichnen darf. Sie feiert Erfolge, die weit über die Landesgrenzen hinausgehen.

Es ist auch gestern, trotz musikalischer Unterstützung - unter anderem von Alex The Flipper an den Turntables - eine One-Woman-Show. Ein konzentriertes Set, für sich selbst und für ihr Publikum: Es ist die trockene, knallharte Emotion über dicken Beats, Autotune dabei nicht als Spielerei, sondern als Stilmittel. Genauso wie die Textzeilen, die Mavi ins Publikum hineinpeitscht, auf Englisch oder sogar auf Spanisch („Aventura“). Die Meute, ihre Meute, nimmt alles gierig auf, es ist die Hitlist, die hier jeder auswendig mitsingen kann. Es ist ein Mavi-Phoenix-Chor an diesem Abend vor der Wiener Karlskirche, ab und zu lächelt sie kurz, und kann es selbst gar nicht so richtig glauben. In den vorderen Reihen hält man das Gedränge fast nicht aus, das Geschrei und die Hände, die fliegen. Genauso muss es sein.

Heißer ist es zu etwas späterem Zeitpunkt nur im Prechtlsaal in der TU, der die ehemalige Spielstätte Brut als schönsten Popfest-Schwitzkasten abgelöst hat. Hier spielt die hervorragende Band Crush. Bassistin Verena Bodelski lebt den Rock’n’Roll in guter alter Kurt Cobain- oder in guter neuer Dave Grohl-Manier, sitzend, mit Gipsfuß, der Bass wird trotzdem gezupft. Gipsfuß auf einer Popfest-Bühne, das werden wir an diesem Wochenende noch häufiger erleben. Auch Wolfgang Möstl ist aktuell einbandagiert.

Heiß ist es außerdem, weil man hinauf- und hinuntersausen muss, unten besagte Crush, oben Hearts Hearts, im wunderbaren Kuppelsaal der TU, der sich wie ein Fischbauch über der Band schließt. Unbewusst oder doch sehr clever geplant schlagen die Kuratoren damit einen Bogen zurück an den Anfang der Band, die 2015 einen ihrer ersten Auftritte am Waves Vienna Festival gespielt hat, und da tatsächlich in einem Schiff, nämlich im Lagerraum des Badeschiffs in Wien.

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Ein Erfolg, der erste Abend, das Fest geht weiter, bis Sonntag. Es wird ein gutes Wochenende.

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