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Vergebene Chance

Der Actionthriller „Verschwörung“, im Original „The Girl in the Spider’s Web“, sorgt für ein Wiedersehen mit der ikonischen Antiheldin Lisbeth Salander.

Von Christian Fuchs

In den späteren Nullerjahren hörte man im Bekanntenkreis plötzlich vermehrt Erzählungen über unglaublich intensive Leseerlebnisse. Von durchwachten Nächten war da die Rede, kribbeliger Spannung und süchtigmachender Lektüre. Gemeint waren stets die stockdunklen Bücher des schwedischen Autors Stieg Larsson, die als Millenium-Trilogie die Bestseller-Charts stürmten. In allen drei Romanen stehen die junge Hackerin Lisbeth Salander und der mittelalte Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist im Mittelpunkt, die gemeinsam gegen Mörder, Mädchenhändler und rechtsradikale Machenschaften kämpfen.

Zur Verfilmung seiner Werke konnte sich Stieg Larsson nicht mehr äußern, verstarb der auch als politischer Aktivist umtriebige Schriftsteller doch 2004 an einem Herzanfall. Den schwedischen Adaptionen der Millenium-Reihe, die eigentlich als Fernsehserie geplant waren, sieht man diesen Ursprung mittlerweile noch stärker an. Allerdings fasziniert abseits der biederen Kameraführung die Hauptdarstellerin Noomi Rapace nachhaltig in der Rolle der rebellischen, schonungslosen Lisbeth. Der (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Michael Nyquist hinterlässt als Reporter Blomkvist zumindest einen soliden Eindruck.

Atmosphärisch um Klassen beeindruckender wirkt da schon David Finchers Annäherung an das Larsson-Universum. Mit Rooney Mara und Daniel Craig in den Hauptrollen bringt der visionäre US-Regisseur nochmals den ersten Teil der Trilogie auf die Leinwand. „The Girl with the Dragon Tattoo“ („Verblendung“) ist zwar definitiv kein Meisterwerk, aber immerhin ein eisiger Thriller, der Lisbeth Salander, die soziopathisch angehauchte Hackerin im Goth-Look, endgültig zu einer rabenschwarzen Pop-Ikone macht. Aus einer weiteren Zusammenarbeit von Fincher und Rooney, auf den Spuren von Larsson, wird allerdings leider nichts.

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Perfektes Timing, berechenbare Story

Während ein weiterer Kinoauftritt von Lisbeth Salander einige Jahre auf sich warten lässt, rollt die Frau mit dem Drachentattoo inzwischen wieder den Buchmarkt auf. Der schwedische Autor David Lagercrantz bekommt vom Verlag den Auftrag, die Krimisaga von Stieg Larsson fortzuführen. Auch wenn die literarische Karaoke-Version für die meisten Kritiker nicht der Rede wert ist, die Fans gieren nach Nachschub – und den bekommen sie jetzt auch in filmischer Form. Auf „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ folgt nun die „Verschwörung“, ein weiterer Hollywoodfilm made in Sweden, frei nach dem gleichnamigen Lagercrantz-Buch.

Dabei könnte das Timing nicht perfekter sein. Als Lisbeth Salander erstmals auf der Leinwand unerbittlich Vergewaltiger bestrafte, war das noch vor dem #metoo Movement. Jetzt schreien die gesellschaftspolitischen Umbrüche in der (Film-)Welt fast schon nach Stieg Larssons heldenhafter Antiheldin. Aber „The Girl in the Spider’s Web“, wie der Thriller von Fede Alvarez im Original heißt, ist wohl nicht die Rückkehr, die sich viele Salander-VerehrerInnen erhofft haben.

Immerhin fängt alles noch recht eindringlich an. Die neue Lisbeth Salander, durchaus souverän gespielt von der derzeit omnipräsenten Britin Claire Foy („The Crown“, „First Man“), stellt sich mit einem atemlosen Auftritt vor. Plötzlich taucht sie in der Wohnung eines reichen Unternehmers auf, der Prostituierte und die eigene Frau gleichermaßen verprügelt, und lässt den brutalen Mann in die Hölle blicken. Die perfekt inszenierte Szene ist aber nur ein Teaser, dann geht die eigentliche Geschichte los. Und diese Story, die mit nuklearer Bedrohung beginnt und letztlich globale Gefahren auf ein abgeschmacktes Familiendrama herunterbricht, nervt bald in ihrer Berechenbarkeit.

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Aus Lisbeth wird Lara

Es ist vor allem traurig, wie der Film aus der traumatisierten Rächerin eine Comicfigur macht. Machmal wirkt Lisbeth Salander, ihrer zerstörerischen Ecken und Kanten etwas beraubt, wie aus einem Lara-Croft-Videogame entsprungen, dann agiert sie in den überzogenen Verfolgungsjagden wie ein weiblicher James Bond. Realismus interessiert die Produzenten, die deutlich auf eine Franchise-Reihe schielen, höchstens noch am Rande.

Dass der emotionale Aspekt in der Nonstop-Action nicht gänzlich verloren geht, verdankt sich einzig dem obsessiven Schauspiel von Claire Foy, die würdig an ihre Salander-Vorgängerinnen anschließt. Unterstützung vom Rest der Besetzung gesteht ihr der Film allerdings nicht zu. Lisbeths Journalistenfreund Mikael Blomkvist mutiert mit dem schwedischen Darsteller Sverrir Gudnason zu einem aalglatten hübschen Hipster, der kaum mehr an die ursprüngliche Figur des Investigativ-Journalisten erinnert. Dessen Freundin Erika Berger verjüngt der Film noch drastischer und verschenkt die tolle Vicky Krieps („Phantom Thread“) in belanglosen Nebenauftritten.

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Dabei waren die Erwartungen durchaus hoch. Der südamerikanische Regisseur Fede Alvarez machte sich mit einem mehr als okayen Remake des Horrorklassikers „Evil Dead“ einen Namen. Und bewies dann in dem spannungsgeladenen Home-Invasion-Schocker „Don’t Breathe“ noch mehr inszenatorisches Gespür. Mit „The Girl in the Spider’s Web“ ist sein Ruf aber erst einmal verkorkst. Da helfen auch die düster durchgestylten Bilder nur wenig, die sich deutlich an David Finchers Ästhetik orientieren. Einen Film, der halb Fernseh-„Tatort“, halb Möchtegern-Bond-Abenteuer geworden ist, hat sich die furiose Lisbeth Salander nicht verdient. Mastermind Stieg Larrson rotiert wahrscheinlich im Grab.

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