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The House The Jack Built

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Lars hat sich ein Haus gebaut

Lars von Trier meldet sich mit einem neuen Film zurück. „The House That Jack Built“ zeigt einen manischen Mörder, der sich selbst als radikalen Künstler sieht. Und knüpft damit an das Serienkiller-Kino der 90er Jahre an.

Von Christian Fuchs

Günter Brus, einer der zentralen Miterfinder des Wiener Aktionismus, hat seine aufwühlenden Performances schon ewig hinter sich gelassen. Rockende Tabubrecher wie Iggy Pop sind auf ihre eigene Weise altersmilde geworden. David Lynch meditiert und predigt heute den Weltfrieden. Lars von Trier dagegen, das ewige Enfant Terrible des dänischen Kinos, gibt sich mit 62 Jahren so aggressiv wie kaum zuvor.

In einer Karriere, die ohnehin reich an Kontroversen ist, folgt nun auf unzensurierten Sex die nackte Gewalt. Nach einem ausgedehnten Ausflug in die Grenzbereiche der Arthouse-Pornografie mit dem Zweiteiler „Nymphomaniac“ präsentiert der Regisseur blutige Episoden aus dem Alltag eines Serienkillers.

The House That Jack Built“ zeigt Matt Dillon als Architekten, der ein furchtbares Doppelleben führt: Während er in einer einsamen Landschaft scheinbar ewig sein Traumhaus baut, vollführt der Mann nebenbei grausame Streifzüge im Amerika der 70er Jahre. Wortgewandte Anhalterinnen, alleinlebende Hausfrauen, ängstliche Freundinnen und auch eine ganze Familie, deren Vertrauen Jack zuvor gewonnen hat, sterben brutale Tode. Die gewohnte Handkamera des Regisseurs ist nah am grausamen Geschehen dran.

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Das blutige Erbe der 90er Jahre

Wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, schon (zu-)viele Filme zu der grimmigen Thematik gesehen hat, erinnert einen „The House That Jack Built“ unweigerlich an die 90er Jahre. Aus heutiger Sicht wirkt die Dekade zwar beinahe wie eine Idylle. Die westliche Wirtschaft florierte, US-Präsident Clinton propagierte demokratische Ideale, kommunistische Diktaturen lösten sich endgültig auf und Kruder & Dorfmeister sorgten für den gemütlichen Groove dazu. Aber all die Beschaulichkeit produzierte damals auch Monster.

Serienkiller grinsen in den 90ies als Dauergäste von der Leinwand herab, beleben Bücher, Videos und sämtliche Boulevard-Medien als schaurige Popstars der Dekade. Der multiple Mörder verkörpert einerseits den perfekten Bösewicht in der gewinnorientierten Leistungsgesellschaft. Was den Autor Bret Easton Ellis in seinem Buch „American Psycho“ zur Figur des inhumanen Investment-Bankers Patrick Bateman inspiriert.

Die 90er Jahre stilisieren den Serienkiller andererseits aber auch zum ultimativen Rebell, zum Outlaw, der die Allmachtsfantasien braver Bürger konsequent auslebt. Filme wie „Man Bites Dog“, „Seven“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ glorifizieren beinahe ihre Antihelden, die in einer Welt ethischer Grauzonen, korrumpierter Ideologien und zerrütteter Werte triumphieren. Gleichzeitig kritisiert das Serialkiller-Kino der 90er, überdeutlich etwa in der morbiden Medien-Persiflage „Natural Born Killers“, diese Verherrlichung des Bösen.

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Der Mord als schöne Kunst betrachtet

Spätestens mit 9/11 und dem Anbruch des neuen Jahrhunderts ist die ambivalente Annäherung an allmächtige Serienkiller aber erstmal Geschichte. Inmitten all der realen Politbösewichte, Terroristen und amoklaufenden Waffennarren ist kaum mehr Platz für absurde Kino-Kreationen wie Hannibal Lecter. Zwar bekommt der neunmalkluge Kannibale seine eigene Fernsehserie. Aber „Hannibal“, getragen vom charismatischen Mads Mikkelsen und mit visionären Bildern faszinierend, wirkt wie ein Schlusskommentar zum Serienkiller-Diskurs.

Die Psychopathologie der übermenschlich agierenden Serienkiller wirkt filmisch auserzählt. Einzig David Fincher kann dem Thema noch was Neues abgewinnen. Die von ihm produzierte beklemmende Serie „Mindhunter“ baut ganz auf die Macht des Wortes - und spart spekulative Splattersequenzen bewusst aus. In strengen Dialog-Arrangements entlarvt Fincher die ausschließlich männlichen Mörder als erbärmliche Opfer ihrer kaputten Verhältnisse.

Und jetzt das: Lars von Trier bringt wieder einen Serienkiller ins Spiel, der sich wie Dr. Lecter für ein Genie jenseits jeglicher Moral hält. Seine Gewaltexzesse betrachtet Jack, frei nach einem Buchtitel des Autors Thomas De Quincey, als schöne Kunst. Nur einer widerspricht der diabolischen Eitelkeit: Verge heißt der unbekannte Gesprächskontrahent, dem Bruno Ganz seine Stimme leiht. Ob es sich dabei um eine Stimme im Kopf handelt oder ob es diesen Mann wirklich gibt, das erfahren wir erst am Ende der zweieinhalbstündigen Höllenfahrt.

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Leere Provokationspose

Bis Lars von Trier im Finale dann zumindest ästhetisch an frühere Großtaten anschließt, mit einigen wahnwitzigen Tableaus des Schreckens, müssen wir den tatsächlich härtesten Film seiner Karriere ertragen.

Konnte man sich etwa beim Arthouse-Horror-Schocker „Antichrist“ durch die exaltierte Überzogenheit in Distanz flüchten, geht es diesmal extrem realistisch zur Sache. Etliche Frauen, darunter Uma Thurman und Riley Keough, werden von Jack hingerichtet, Kinder erschossen, Tiere gefoltert. Stets kündigt der Film die Gewaltakte vorher auf perfide Weise an und lässt dann die schlimmsten Befürchtungen eintreffen. So als wollte Lars von Trier sagen: Ich bin genau der filmische Sadist, für den mich meine Gegner immer gehalten haben.

Diese Haltung lässt einen - vor allem auch als Fanboy, der den Regisseur stets verteidigte - tiefer in den Kinosessel rutschen. Von all den irrlichternden Exkursionen ins Reich von Religion, des Rassismus und der Triebabfuhr ist bei Lars von Trier, der unter schweren Depressionen leidet, nur eine leere Provokationspose übriggeblieben. Dass Jack den Feminismus verhöhnt und die Nazis verehrt, fügt sich da nahtlos ein.

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Gegen Ende, wenn eine Montage der heftigsten Momente aus seinem Schaffen über die Leinwand flimmert, legt der Regisseur die Karten ganz offen. „The House That Jack Built“ soll ein Meta-Film sein, eine bewusste Auseinandersetzung Lars von Triers mit dem eigenen radikalen Image, vielleicht sogar eine Selbstdemontage. Nur hilft uns das ebenso wenig weiter wie der zynische Humor. Und nochmal bitteschön: Der Serienkiller als Künstler und Philosoph, das wurde doch schon in den 90ern durchdekliniert.

Wenn jetzt der „American Psycho“ Matt Dillon von Glenn Gould, gothischen Kathedralen und Skulpturen aus Leichen schwärmt, lässt das Hannibal Lecter nur mit den Schultern zucken.

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