So entsteht Barrierefreiheit in Games
Von Ali Cem Deniz
Die bunten Grafiken, die großen Levels und die exakte Steuerung von „Super Mario 64“ stehen noch heute für perfektes Gamedesign. Und auch wenn man das alles nicht sieht, kann man mit Mario Spaß haben. Denn alles, was der Klempner macht, und alles, was um ihn geschieht, hat einen ganz eigenen Sound, Marios akrobatische Sprünge, fiese Gegner und gefährliche Situationen.
Etwas auf die Ohren
Deshalb war „Super Mario 64“ von Anfang an bei Gamern mit Sehbehinderungen beliebt. Die relative Barrierefreiheit war jedoch ein Zufall. Es hat lange gedauert, bis sich große Studios mit Accessibility beschäftigt haben. Ganz anders die Indie-Szene. Kaum ein Spiel hat das Genre der Ego-Shooter so geprägt wie „Doom“. Die Höllen-Ballerei hat unzählige Games inspiriert, so auch „Shades Of Doom“.
Nach einem schief gegangenen Experiment ist ein Top-Secret-Labor infiziert von Dämonen, durchgedrehten Wissenschaftlern und anderen lästigen Zeitgenossen. Und nur du kannst sie auslöschen. Das Spiel klingt wie eine „Doom“-Kopie, sieht aber nicht so aus. Denn in „Shades of Doom“ gibt es so gut wie keine visuellen Elemente. Stattdessen geht man nur mithilfe des Gehörs auf die Dämonen-Jagd.
Triple A und Barrieren
Es muss nicht immer ein Indie sein. Die großen Game-Engines wie „Unreal“ und „Unity“ haben inzwischen eingebaute Filter, mit denen EntwicklerInnen visuelle Barrieren erkennen können. „Battlefield 1“ bietet beispielsweise so einen Modus für farbenblinde Gamer, den sie ganz individuell anpassen können.
Dass es auch bei immer mehr Triple-A-Games um Barrierefreiheit geht, kann man in der jährlichen Games Accessibility Conference sehen. Die Konferenz wird von Studios wie Ubisoft und Epic Games gesponsert und ist die wichtigste Austauschplattform für EntwicklerInnen und SpielerInnen mit Behinderungen.
Keine Standards
Wie wichtig die Expertise von Betroffenen ist, zeigt sich am Beispiel der Untertitel. Mit ihnen könnten SpielerInnen mit Höreinschränkungen den Dialogen in Spielen problemlos folgen. Doch das Problem ist, dass es im Unterschied zu Film und Fernsehen in der Spieleindustrie keine Standards gibt. In vielen Spielen werden ganze Absätze in winziger Schrift auf den Bildschirm geklatscht ohne dass auf die Lesbarkeit geachtet wird. Gerade bei Spielen kann das fatal sein, da man im Unterschied zu einem Film bei einem Spiel selten nur zuschaut und dabei Untertitel lesen kann, sondern auch aktiv dabei ist.
Doch es gibt auch Positivbeispiele. Die Shooter-Legende „Half Life 2“ untertitelt nicht nur jedes Gespräch, sondern auch jede Aktion. Und „Fortnite“ zeigt sogar an, aus welcher Richtung welcher Sound kommt.
Alles unter Kontrolle
Doch das beste Gamedesign hilft wenig, wenn es an den Eingabegeräten scheitert. Die regulären Konsolen-Controller sind für Spielerinnen mit Behinderungen nur bedingt geeignet. Diese Erfahrung haben Mark Barlet und Stephanie Walker gemacht. Als Walker 2006 erfahren hat, dass sie an Multipler Sklerose erkrankt ist, wussten die beiden, dass Videospielen mit herkömmlichen Controllern nicht mehr möglich sein könnte. Daraufhin gründeten sie die AbleGamers Foundation, die bis heute mit modifizierten Controllern und Turnieren Gamer mit Behinderungen unterstützt.
Microsoft
Die AbleGamers haben mit ihrem Projekt auch die Aufmerksamkeit der Industrie-Giganten auf sich gezogen. Gemeinsam mit den AbleGamers hat Microsoft den Adaptive Controller für die Xbox entwickelt und dieses Jahr auf den Markt gebracht. Was ausschaut wie ein Turntable, ist ein höchst anpassungsfähiger Controller, den man ganz individuell einsetzen kann. Das Time-Magazine hat den Xbox Adaptive Controller von Microsoft in ihre Liste der wichtigsten Innovationen von 2018 aufgenommen.
Beatin’ up Barriers
Barrierefreiheit ist also im Gaming-Mainstream angekommen und das war dringend notwendig. So spaßig „Super Mario 64“ auch ist, man will es nicht ewig spielen.
Publiziert am 16.12.2018