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Putin im Interview mit Tucker Carlson

APA/AFP/POOL/Gavriil GRIGOROV

Memes statt Medien

Das Interview, das der rechtspopulistische Journalist Tucker Carlson mit Wladimir Putin geführt hat, wird nicht über das Schicksal des Ukraine-Kriegs entscheiden. Doch das politisch irrelevante Interview sagt viel über die gegenwärtige Medienwelt aus.

Von Ali Cem Deniz

Das erste, was das Putin-Interview gebracht hat, ist eine Menge neuer Memes. Dabei wollte Tucker Carlson mit dem Interview offensichtlich der ganzen Welt beweisen, dass er ein Top-Journalist ist, der dem russischen Präsidenten nicht bloß eine Bühne bietet. Seine erste Frage ist kritischer, als man von ihm erwartet hätte. Er will von Putin wissen, warum er glaube, dass die USA Russland angreifen könnte. Das klinge für Amerikaner paranoid, so Carlson.

Das ist auch die letzte kritische Frage, die der Ex-Fox-News-Moderator stellen kann. Putin verspricht, die Frage zu beantworten, bittet aber um einen historischen Exkurs, der 30 Sekunden, maximal eine Minute dauern würde. „Please,“ sagt Carlson lachend und übergibt für die restlichen zwei Stunden, die das „Interview“ noch dauern wird, das Ruder an Putin.

Wikinger, Mongolen, Hitler und die Sowjetunion

Putin fängt mit der Geschichte des Ukraine-Kriegs nicht im Februar 2022 an, als Russland die Ukraine überfallen hat, und auch nicht im Jahr 2014, als die Maidan-Revolution stattgefunden und Russland die Krim besetzt hat. Sondern im Jahr 862. Es folgt eine Geschichte, die nicht wie versprochen, 30 Sekunden, sondern 30 Minuten dauert.

Und darin kommt so ziemlich alles vor: frühe russische Reiche, Mongolen, Wikinger, Hitler, die Sowjetunion, das orthodoxe Christentum. Tucker Carlson schaut dabei zu, als würde er sich um 2 Uhr nachts eine trashige „History“-Doku über Aliens und Pyramiden anschauen. Wenn er mal unterbrechen möchte, wird klar, dass die Rollen vertauscht sind.

Nicht Carlson, sondern Putin bestimmt den Verlauf des Gesprächs. „Sind wir in einer Talkshow oder führen wir ein seriöses Gespräch?“ fragt der russische Präsident, Tucker Carlson reagiert nur mit einem nervösen Lacher. Putin verwirrt ihn nicht nur mit seinen historischen Exkursen, sondern verspottet ihn sogar stellenweise.

Kein großer Coup

Berichte darüber, dass Tucker Carlson sich in Moskau aufhält, hatten im Vorfeld für große Aufregung gesorgt. Trump-Fans, Anti-Woke, aber auch Putin-Anhänger:innen hofften auf ein Interview, in dem der russische Präsident geheime Verschwörungen aufdecken und eine neue Perspektive auf den Ukraine-Krieg geben würde. Das ist nicht passiert.

Aber auch die Ängste der US-Demokraten, die im Wahljahr eine Propaganda-Show befürchteten, haben sich nicht bestätigt. Putin hat das Interview nicht genutzt, um mit expliziten Aussagen den amerikanischen Wahlkampf zu beeinflussen, obwohl Donald Trump bei einem Wahlsieg bekanntlich die Militärhilfen für die Ukraine streichen will. Der große politische Coup ist Tucker Carlson nicht gelungen. Dennoch ist das Interview nicht unbedeutend.

Memes statt Medien

Denn es zeigt, wie stark sich die Medienwelt verändert hat. Der Rauswurf von Fox News hat Tucker Carlsons Karriere nicht beendet, sondern erst recht zum Take-Off geführt. Auf X haben seine 12 Millionen Follower das Interview gesehen, nach nicht mal 24 Stunden hat das Video dort über 100 Millionen Aufrufe, auf YouTube sind es 6 Millionen Aufrufe. Das Interview produziert viele Memes, die wiederum selbst hunderttausende Likes generieren. In seiner Viralität und Reichweite ist das Interview ein Erfolg, mit dem klassische Medien kaum noch mithalten können.

Tucker Carlson gilt als Trump-nahe und hat in der Vergangenheit immer wieder Putin in Schutz genommen und die Militärhilfen für die Ukraine kritisiert. Vielleicht war aber nicht nur seine ideologische Haltung, sondern dieser direkte Zugang zu Social Media der Grund, wieso Putin, der westlichen Journalist:innen in den letzten Jahren keine Interviews gegeben hat, das Gespräch überhaupt akzeptiert hat.

Gut möglich, dass auch in Zukunft die viralen Interviews nicht in den New York Times dieser Welt veröffentlicht werden, sondern auf den Social Media Accounts von Tucker Carlson & Co.

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