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Michel Houellebecq

APA/AFP/Miguel MEDINA

Buch

Houellebecq schafft sich ab

Michel Houllebecqs neuer Roman „Serotonin“ zielt nicht auf Politprovokationen gegen Gott und die Welt, sondern auf ein schwarzes Nichts.

Von Thomas Edlinger

Er hat viel Feind und viel Ehr. Die halbe Welt ist verrückt nach seinen Bestsellern. Ich kenne lesbische Fans und kulturlinke Musiker, die vor ihm auf dem Bauch liegen. Andere erzählen von Houellebecq-Verehrung in identitären Kreisen.

Heute erscheint die deutschsprachige Version seines Romans „Serotonin“. Es ist exakt der 4. Jahrestag der Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. In der damaligen Ausgabe feierte ein Freund den am gleichen Tag erschienenen letzten Roman „Unterwerfung“, der ein zukünftiges Frankreich unter dem ersten muslimischen Präsidenten beschreibt. Der Rezensent wurde noch am selben Tag bei dem Terrorakt ermordet.

Ist Houellebecq wirklich ein Zukunftsprophet?

In Frankreich erschien „Serotonin“ nicht an diesem sensiblen Datum, sondern schon letzten Freitag. Und wieder redeten viele in ersten Rezensionen von unheimlichen prophetischen Fähigkeiten von Houellebecq. Man hörte davon, dass der Roman den Volkszorn der Gelbwesten vorausgesehen habe. Die Visionsunterstellung geht nicht nur deshalb völlig an der Sache vorbei, weil die in „Serotonin“ vorkommenden Straßenblockaden aufgebrachter Milchbauern in Frankreich schon lange vor dem Protest der Gelbwesten stattfanden; auch in der Gesamtkomposition des Romans nimmt der Bezug auf Verelendung und Wut der französischen Landwirte nur eine kleine und keineswegs dominante Rolle ein.

Michel Houellebeqs Roman "Serotonin"

Dumont Verlag

Michel Houellebecqs „Serotonin“ ist in der Übersetzung von Stephan Kleiner bei Dumont erschienen.

Worum geht es also dann? Formulieren wir zur Abwechslung mit Thomas Bernhard die seit Jahren bei Houellebecq bekannte und kaum variierte Ausgangslage: „Es ist, wie es ist, und es ist fürchterlich.“ Der Ich-Erzähler blickt - zunächst noch durchaus komisch - auf ein verpfuschtes Leben zurück, das in den letzten Jahren den Beistand eines Antidepressivums benötigt, das das sogenannte Glückshormon Serotonin beinhaltet. Doch auch damit geht es natürlich und erst recht bergab: „Die bei Captorix beobachteten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Libidoverlust, Impotenz. Unter Übelkeit habe ich nie gelitten.“

Florent-Claude Labrouste ist eine prototypische, schon oft durchgespielte Houellebecq-Figur: 46 Jahre alt, kinderlos, einsam, zynisch, zerrüttet. Der Job als Agrarökonom ist eine Farce; Freunde hat man nicht und braucht man nicht. Auch die ganze (männliche) Literaturgeschichte ist nur ein Vorwand für die anthropologische Konstante der Geilheit. Thomas Mann oder Marcel Proust würden nur von Poesie schwafeln und träumen doch nur von „Muschis, die feucht zu werden beginnen“ . Das „Rindvieh“ Goethe ist sowieso „einer der grauenvollsten Schwafler der Weltliteratur“.

Ein Wiedergänger Bernhardscher Tiraden

Auch sonst reihen sich Dumpfes, Reaktionäres und Scharfsichtiges aneinander. Florent leidet an der Entzauberung der Welt und bespöttelt ihre Wiederverzauberung in Form von Romantikhotels. Er hasst die Globalisierung und isst gern Hummus. Fast könnte man im Stilmittel der durch Kommata auf halbe Seiten und mehr gedehnten Endlossätze einen Wiedergänger der Bernhardschen Tiraden erkennen. Etwa wenn sich Florent über die Verkommenheit der französischen Bahn ereifert oder die Holländer abwascht: “Das waren wirklich Schlampen, ein Volk polyglotter Kaufmänner und Opportunisten, diese Holländer, man kann es gar nicht oft genug sagen.“

Die EU ist für Florence das Prinzip Holland in groß. Die kalte Moderne, die seelenlose Aufklärung, die dumme Bürokratie und vor allem der barbarische Liberalismus : Alles zusammen ist konkursreif und gehört besser heute als morgen weg. Die Gesellschaft (das hätte man ja ironischerweise schon von den von Houellebecq so verachteten 68-ern lernen können) ist krank. Und sie macht krank. Deshalb braucht man ja Serotonin , fährt einen fetten Diesel-SUV und achtet toprebellisch auf die Nichteinhaltung der Mülltrennung. Man hat das Recht dazu, denn diese Gesellschaft ist „eine Maschine zur Zerstörung der Liebe“.

Das Gemeine an der sexuellen Marktwirtschaft

Das einzige Interesse von Florent liegt daher im unmöglichen Liebesglück, das aber blöderweise fast deckungsgleich mit Sex und Begehrtwerden ist. Mit dem Sex ist es ja sowieso schwer: Wie bei Houellebecq üblich, beklagt der Ritter von trauriger Phallusgestalt die strukturelle Gemeinheit der sexuellen Marktwirtschaft und lässt selbst seine Pornofantasien über knackige junge Ärsche und eine japanische Gangbang-Schlampe heraushängen, die er eine Zeitlang als Freundin missverstanden und nicht rechtzeitig ermordet hat. Es wäre nicht schade um sie gewesen, war sie letztlich doch nur „eine Giftspinne“, die auf sein Erbe spekuliert hatte.

Florent macht sich stattdessen einfach aus dem Staub und beginnt, flankiert durch trostlose Hotelaufenthalte und einen ziemlich unglaubwürdigen Beinahemord an einem vierjährigen Kind, einen langen Abstieg in die absolute Einsamkeit eines Einzimmer-Hochhausappartments in Paris. Dazwischen streut er Rückblicke auf pädophile Nachbarn und Schießübungen mit einem verbitterten Landwirt ein. Zentral sind aber die Erinnerungen an geglückte Lieben, die er selbst zerstört hat. Vor allem diese Teile setzen dem oft wie justament mit Ressentiments aufgeladenen Weltekel einen erbarmungslosen Blick auf sich selbst entgegen, der den Sound zwischen Klage und Tirade erträglich macht: „Leute stellen selbst den Mechanismus ihres eigenen Unglücks her, sie ziehen ihn mit einem Schlüssel bis zum Anschlag auf.“

Zudem verzerrt das Glückshormon Serotonin möglicherweise den Blick. Der Hinweis auf die Medikamentation ist auch ein erzählerischer Trick, der es Houellebecq erlaubt, Ungereimtheiten zwischen Wahn und Wahrheit, zwischen Selbstvergiftung und toxischer Männlichkeit in zumeist nahe an der Lebendigkeit der wörtlichen Rede gehaltenen Betrachtungen zu zelebrieren.

Im letzten Viertel des Romans verliert sich aber die Gehetztheit der Rede. Der Ton wird ruhiger, insitierender, die Sätze werden kürzer. Wirkt das Serotonin nicht mehr? Stattdessen gelingen Houellebecq einige Passagen von erschütternder Kraft, die ganz ohne griesgrämige Hinterfotzigkeit auskommen. Sie sind voller Defätismus. Sie rühren am Eingemachten. Und sind viel näher bei den Suizidbeschwörungen von Emil Cioran als am Gepoltere von SUV-Freund Trump, den die gar schröckliche Giftspritze Houellebecq ja vor kurzem für seinen Wirtschaftsprotektionismus und überhaupt als Mann mit Eiern gelobt hat.

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