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Filmrausch 2019

Drei Cinephile im Gespräch über Horrorfilme abseits der üblichen Pfade, große und kleine Sci-Fi-Sensationen und kostümierte Kämpfer in Zeiten der Superhelden-Ermüdung. Teil 1 der Filmvorschau für 2019

Von Christian Fuchs

Christian Fuchs: Ein spannendes Kinojahr ist zu Ende gegangen, alle Rückblicke sind geschrieben, auch bei FM4 wurden eifrig Listen kompiliert. 2019 verspricht filmisch aber um nichts weniger faszinierend zu werden.

Christoph Prenner: Stimmt, wobei sich bei Durchsicht all der bereits angekündigten und auch vagen Starttermine für mich ein eindeutiges Horrorjahr herauskristallisiert.

Christoph Prenner schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an, über die er sich dann als Chefredakteur von SKIP buchstäblich freut.

Christian Fuchs: Ich nehme mal an, du meinst jetzt nicht weltpolitische oder lokale Ereignisse, die passieren könnten, bleiben wir diesbezüglich mal vorsichtig optimistisch. Aber stimmt schon, der Schrecken, der jede Tageszeitungs-Lektüre begleitet, all die omnipräsenten kriegerischen, humanitären oder wirtschaftlichen Bedrohungen verfolgen auch die Filmemacher in ihren (Alb-) Träumen. 2019 zeigt sich der Horrorfilm von seiner kreativsten Seite, abseits aller Remakes und Sequels.

Heidnische Sekten und Programmkino-Zombies

Sebastian Selig: Ari Aster hat mit „Hereditary“ letztes Jahr gezeigt, dass sich im Horrorfilm jetzt endlich wieder kunstvolle Inszenierung und kluge Ideen mit ernsthaft verstörendem Schrecken und heftiger Hysterie verbinden. 2019 folgen wir ihm nun in den „Midsommar“ nach Schweden. Dort geraten wir an der Seite von Florence Pugh, aktuell in der Serienadaption von „The Little Drummer Girl“ auch im TV die Sensation, in die Fänge einer heidnischen Sekte.

Sebastian Selig lebt im Kino und schreibt darüber online ausschweifende Erlebnisberichte, u.a. auch für so aufregend bunte Magazine wie Hard Sensations, NEGATIV oder Deadline.

Christoph Prenner: Wenn ich da den tatsächlich herrlichst unangenehm einfahrenden „Hereditary“ als Maßstab nehme, dürfte das nicht nur wegen der wenigen Dunkelstunden etliche schlafbefreite Sommernächte bedeuten. Wo wir auch gleich bei kunstvoll klugem Schrecken sind: Für den stand ja in der Spielzeit davor auch schon Jordan Peeles mannigfaltig raffinierter „Get Out“. Sehr viel Award-Anerkennung und sicher nicht wenige Auftragsarbeiten-Angebote später steht der (ehemalige) Comedian bald mit seinem selbstgeschriebenen Nachfolgerfilm vor der Tür. Und mit ihm diverse ungeheure Doppelgänger, die einem schon im Trailer zum Social-Horror-Streifen „Us“ die Gänsehäute im großen Maßstab aufsteigen lassen.

Christian Fuchs: Peele bleibt dabei nicht nur dem Genre, sondern auch seinem Blickwinkel treu. „Us“, der den idyllischen Strandurlaub einer afroamerikanischen Familie in Angst und Schrecken enden lässt, verspricht wieder dieselbe Mischung aus Terror, Humor und Sozialkritik, die „Get Out“ so speziell gemacht hat.

Sebastian Selig: Knochentrockener Schrecken in bildschönem Schwarzweiß erwartet uns im neuen Film von Robert Eggers. Robert Pattinson und Willem Dafoe sind in „The Lighthouse“ als Leuchtturmwärter zu sehen, die es um 1890 herum mit aus der Gischt des Ozeans aufsteigendem Schrecken zu tun bekommen. Die Dreharbeiten in eiskalter See und unter größtmöglich authentischen Bedingungen, so wurde schon berichtet, waren bereits mehr als außergewöhnlich. Wohl auch ungewöhnlich hart für die beiden Hauptdarsteller, die zudem durchwegs in dem der Zeit entsprechendem Englisch sprechen werden. Bereits Eggers Hexenmysterium „The Witch“ hat sich jeglicher Schublade verweigert und uns gleichsam befremdet wie begeistert. Mit „The Lighthouse“ verspricht er nun sogar noch einmal weiter zu gehen.

Christoph Prenner: Apropos Licht, apropos Schatten. Drei Jahre nachdem er mit „Under The Shadow“ die Herzen der - politischen Subtexten gegenüber aufgeschlossenen - Horrorgemeinde erobert hat, legt der iranisch-britische Regisseur Babak Anvari heuer endlich nach. In „Wounds“ handelt sich Barkeeper Armie Hammer durch ein liegengelassenes Handy (wodurch auch sonst?) reichlich Ungemach ein; Dakota Johnson und die tolle Zazie Beetz („Atlanta“, „Deadpool 2“) hat Anvari für seine erste budgetkräftigere Produktion ebenfalls gewinnen können.

Christian Fuchs: Große Hoffnungen darf man auch in den neuen Gänsehautstreifen des österreichischen Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala setzen. Nach dem im schönsten Sinn verstörenden Psychodrama „Ich seh, ich seh“ haben die beiden nun ihre erste internationale Produktion gedreht, coproduziert von den legendären Hammer Studios. „The Lodge“ arbeitet sich wieder an meinem Lieblingsgenre, dem gespenstischen Psychothriller ab. Die tolle Riley Keough wird in einem abgelegenen Wochenendhaus mit dem Hass konfrontiert, den die Kinder ihres neuen Freundes mit sich herumtragen. Nach dem renommierten Sundance Festival, wo der Film demnächst seine Weltpremiere feiert, wissen wir mehr.

Filmstill aus The Lodge

FilmNation Entertainment

„The Lodge“

Sebastian Selig: Auch die Wienerin Jessica Hausner kehrt nach „Amour Fou“ nun noch einmal zu den entrückt schrecklichen Wurzeln ihres Meisterwerks „Hotel“ zurück. In „Little Joe“, ihrem ersten in Englisch gedrehtem Film, spielt Emily Beecham („Hail, Caesar!“) eine Biologin, die eine Pflanze züchtet, an der die Welt zugrunde gehen könnte. James Bonds Waffenspezialist Ben Whishaw, famos auch in „The Lobster“, hilft ihr dabei.

Christian Fuchs: 2018 wird wahrlich ein Jahr des außergewöhnlichen Arthouse-Horrors. Da passt dann auch Jim Jarmusch dazu, der nach seinem genialen Vampirepos „Only Lovers Left Alive“ wieder Genreklischees unterwandert. „The Dead Don’t Die“ verwickelt Bill Murray, Adam Driver, Tilda Swinton, Tom Waits, und Selena Gomez in eine Zombie-Apokalypse. Ich ersehne mir die langsamsten Untoten jenseits von George Romero und die bittersüße Antithese zu „The Walking Dead“.

Monster, Mutationen und Arthouse-Astronauten

Christian Fuchs: Machen wir einen gar nicht mal so großen Schritt vom Horror zu Science Fiction und Fantasy. Die riesigen Ungetüme, die in „Godzilla: King of the Monsters“ die Welt bedrohen, wird man in Plastik-Spielzeugform aber auch schon in manchen Kinderzimmern finden. Zumindest ich habe als kleiner Stöpsel den gigantischen Godzilla verehrt. Und freue mich auch als Erwachsener ungemein auf diese Monsterschlacht made in Hollywood, dicht auf den Spuren der ikonischen japanischen Kaiju-Klassiker. Neben den Superstars Mothra, Rodan und King Ghidorah spielt übrigens die supere Millie Bobbie Brown aus „Stranger Things“ die menschliche Hauptrolle.

Christoph Prenner: Ein weiterer Beweis dafür, dass Frauen verstärkt den Sektor der Sci-Fi-Action-Blockbuster erobern. Jennifer Lawrence in den „Hunger Games“, Amy Adams in „Arrival“, Natalie Portman in „Annihilation“, das alles war wohl erst der Anfang.

Christian Fuchs: „Alita: Battle Angel“ setzt diesen Trend nun definitiv fort, auch wenn ausgerechnet die weibliche Titelfigur dieser aufwändigen Manga-Verfilmung zum Teil computeranimiert ist. Sensationell an dem Mix aus actiongeladenem CGI-Bombast und Young-Adult-Romanze ist aber vor allem der Produzent: James Cameron meldet sich nach fast zehn Jahren zurück, die seit dem Megaerfolg „Avatar“ vergangen sind. Weil der erfolgreichste Regisseur aller Zeiten aber an gleichzeitig vier (!) Sequels zu seiner Alien-Öko-Saga bastelt, hat er sein Herzensprojekt „Alita“ an Robert Rodriguez übergeben. Und ob der noch einen wirklich guten Film auf die Reihe kriegt, ist fraglich. Ich durfte jedenfalls schon lange Ausschnitte sehen, die technisch virtuos und inhaltlich sehr konventionell wirkten.

Sebastian Selig: Wechseln wir ins Weltall. Dort oben am Firmament scheint immer noch Raum genug für weitere Astronauten-Abenteuer. In „Ad Astra“ reist ein autistischer Brad Pitt unter der Regie von James Gray (“The Lost City Of Z”) ins All, um seinen dort vor zwanzig Jahren verschollenen Vater Tommy Lee Jones zu finden. Womöglich noch spannender wird es aber wohl, sich mit Eva Green, Matt Dillon und Lars Eidinger aufs All vorzubereiten. Regie in „Proxima“ führt Alice Winocour, die mit „Maryland – Der Bodyguard“ schon einmal gezeigt hat, wie flirrend intensiv Kino mit aus der Bahn geworfenen Männerfiguren und tollen Frauen inszeniert sein kann.

Christoph Prenner: Mehr ein Post-All-Abenteuer ist es wohl, worum es Noah Hawley in „Lucy In The Sky“ geht: Wenn Natalie Portmans namensgebende Astronautin und ihr irdisches Ringen um ihren Liebhaber und ihren Verstand nur halbwegs so verheißungsvoll verdreht rüberkommen wie des Regisseurs Seriengroßtaten „Fargo“ und „Legion“, dann könnte das eines der unerwarteten Genre-Glanzlichter der Saison werden. Die Herren J.J. Abrams und Joss Whedon haben eine ähnliche Laufbahn ja schon mal erfolgreich vorgezeichnet.

Superhelden und kein Ende

Christoph Prenner: Ich glaube, ich spreche auch weiterhin für uns alle, wenn ich hier eine unverändert starke Comic-Film-Müdigkeit konstatiere. Von den nicht nur gefühlt ein Dutzend diesjährigen Genre-Beiträgen interessiert mich neben dem hoffentlich wirklich finalen Avengers-Meeting – damit das Theater endlich mal abgeschlossen ist! – eigentlich nur so richtig, was sich Todd Phillips, Joaquin Phoenix und Robert De Niro zur an sich auch schon ausreichend durchgespielten Figur des „Joker“ überlegt haben.

Christian Fuchs: Geht mir genauso. Ich fand ja die hochgradig düsteren DC-Verfilmungen von Zack Synder am Anfang überraschend mitreißend. Nachdem sich der kontroverse Regie-Hooligan aber einstweilen verabschiedet hat, wirkt die Marvel-Konkurrenz fast schon peinlich ziellos. Ein Film über den Joker, fern aller knallbunten Clownereien á la „Suicide Squad“ und näher am Heath-Ledger-Vermächtnis, reizt mich aber auch.

Christian Fuchs: Und ich gebe zu, dass ich gewisse Erwartungen in „Captain Marvel“ setze. Das Soloabenteuer der Frau mit den Superman-Kräften gibt es ja schon einen Monat nach „Avengers: Endgame“ zu sehen, in dem wohl - Achtung, Spoileralarm - alle zentralen Superhelden wieder reanimiert und topfit auf die Leinwand zurückkehren. Der entscheidende Faktor neben Oscar-Gewinnerin Brie Larson dürfte bei „Captain Marvel“ das Duo im Regiestuhl sein: Anna Fleck & Ryan Boden bringen viel Erfahrungen aus der US-Indie-Szene mit, in der sie mit ihrem Drama „Half Nelson“ einst den Durchbruch schaffen. Verdammt, irgendwie kriegen sie uns ja doch noch immer, die übermenschlichen Frauen und Männer in den bunten Kostümen.

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