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Jad Turjman

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„Wähle dir den Weggefährten und dann erst den Weg“

Jad Turjman ist 2014 aus Syrien nach Österreich geflohen. In seinem Buch „Wenn der Jasmin auswandert - Die Geschichte meiner Flucht“ erzählt der 29-Jährige, wie das Leben im Krieg war und was er auf seinem Weg von Damaskus bis nach Salzburg erlebt hat.

Von Ambra Schuster

Jad Turjman hat in Damaskus, der Stadt des Jasmins, ein gutes Leben. Bis 2011 der Krieg in Syrien ausbricht und sein Viertel sich zunehmen in ein Schlachtfeld verwandelt. Trotzdem geht das Leben weiter. Fenster zerspringen unter den Druckwellen der Detonationen, Jad spielt mit seinen Freunden weiter Karten. Raketen schlagen ein, Jad begibt sich trotzdem jeden Tag auf den gefährlichen Weg in die Arbeit. Die Menschen gewöhnen sich an alles, passen sich an, halten den Krieg aus. Jad nennt das die „elastische Seele“, über die Menschen in Ausnahmezuständen plötzlich verfügen. „Es ist erstaunlich, dass der Mensch, egal wie dramatisch seine Lage ist, immer wieder Wege findet weiterzuleben“, sagt Jad Turjman im Interview.

Der Krieg klopft nicht an die Tür der Zivilisten an und fragt, ob sie ihn wollen. Der Krieg kommt einfach.

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Jad Turjman im FM4 Interview Podcast (29 Minuten).

Jad entgeht nur knapp einem Selbstmordattentat. Er sieht Folterkeller des Regimes von innen. Und wird von einer Terrororganisation entführt und nur gegen Lösegeld freigelassen, während andere Gefangene im Nebenraum vor laufender Kamera getötet werden. Trotzdem bleibt er in seinem geliebten Damaskus. Bei seiner Freundin, seiner Familie und seinen Freunden.

Erst als im November 2014 der Einberufungsbefehl zu Assads Armee oder – wie Jad es nennt – der „Todesbrief“ kommt, beschließt der damals 25-jährige Jad Syrien binnen zwei Tagen zu verlassen. Um nicht in einem Krieg zu kämpfen, der - wie er stets betont – nie seiner war: „In Österreich werde ich oft mit der Frage konfrontiert, warum ich nicht für mein Vaterland kämpfe und meine Landsleute im Stich lasse. Aber es war für mich von Anfang an klar, das ist nicht mein Krieg. Ich kann nicht auf Menschen schießen. Ich kann mich bei aller Selbstreflexion nicht daran beteiligen.“

Was ist, wenn mir meine Sehnsucht nach Damaskus im Exil das Herz zerreißt?

Ein Schlepper koordiniert von Schweden aus seine Reise, die ganze Familie legt dafür zusammen. Die Flucht beginnt. Aus Damaskus über den Libanon, Jordanien, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn bis nach Österreich. Er sieht zu, wie ein Baby auf der Überfahrt nach Griechenland stirbt, berichtet von skrupellosen Schleppern und bestechlichen Polizisten. Und reflektiert immer wieder politische Machtverhältnisse. Jad blickt mehrmals dem Tod ins Auge und erzählt, wie er und seine Weggefährten ihm – meist Dank seines Handys – immer wieder entrinnen.

Eindringlich, berührend, schockierend erzählt das Buch „Wenn der Jasmin auswandert“ von Rückschlägen, der ständigen Ungewissheit, brutalem Kriegsalltag und Grenzerfahrungen. Und von der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat und einem Syrien, wie es früher war. Wenn Jad von Damaskus erzählt und Erinnerungen aus seiner Jugend beschreibt, bewegt das.

Wähle dir den Weggefährten und dann erst den Weg.

Buchcover mit zwei Jasmin-Blüten, die auf dem Boden liegen

Residenz Verlag

Jad Turjman, „Wenn der Jasmin auswandert“, erschienen am 6. Februar 2019 im Residenz Verlag, 254 Seiten.

In „Wenn der Jasmin auswandert“ geht es aber stets auch um Hoffnung und Freundschaften, die überlebenswichtig sind. So lernt man Jads fünf „Schutzengel“ kennen, ohne die er wohl nie in Österreich angekommen wäre.

„Man begegnet anderen auf dem Weg. Ich habe sie gebraucht, sie haben mich gebraucht. Wir haben eine Freundschaft auf Zeit geschlossen und beschlossen, dass wir jetzt aufeinander aufpassen. Es hat gut getan, Menschen, die dasselbe Schicksal mit dir teilen, an deiner Seite zu haben. Das stärkt einen enorm. Es ist auch sehr bereichernd, wenn man die Menschen in so einem Zustand erlebt. Da sieht man wirklich, was Charakter bedeutet“, so Jad.

Jad hat „Wenn der Jasmin auswandert“ über die letzten zweieinhalb Jahre auf Deutsch geschrieben, als Therapie und um sein Deutsch zu verbessern. Außerdem will er „die Lücken in der Gesellschaft kleiner machen und für mehr Toleranz sorgen“. „Ich will, dass man Flüchtlinge und Asylwerber nicht nur als Schlagzeilen in den Zeitungen betrachtet, sondern auch als Menschen mit Geschichten, die auch bestimmte Dinge erlebt haben.“ Er selbst hat übrigens kein Problem damit Flüchtling zu sein und stellt sich auch bewusst als solcher vor.

Menschen sind schon immer geflohen. Diesmal hat es uns getroffen. Warum sich dafür schämen?

„Wenn der Jasmin auswandert“ ist ein Buch, das verstehen lässt und eine Thematik, die unseren Zeitgeist dominiert, greifbar macht. Eine Erzählung, die berührt, ohne dabei je kitschig zu werden. „Ich habe versucht, die ganze Handlung immer wieder durch Humor zu entschärfen. Es ist nicht mein Ziel, dass Menschen mein Buch lesen und weinen“, so Jad.

Stilistisch fallen schnell die kurzen Gedichte und arabischen Sprüche am Anfang eines jeden Kapitels auf. Sie sind so sorgfältig ausgewählt und übersetzt, dass das Gefühl entsteht, sie wären eigens geschrieben worden.

Das Vorwort zum Buch hat Karim El-Gawhary geschrieben. Eine Geste, die Jad viel bedeutet: „Als 20-Jähriger in Damaskus war Christiano Ronaldo mein Vorbild. Seit ich in Österreich bin und Karim kennengelernt habe, ist er zu meinem Vorbild geworden. Dann habe ich auch noch das Glück, dass er das Vorwort für mich schreibt. Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, habe ich geweint.“

Mit dem Erlös des Buches möchte Jad Psychotherapie für Kinder in Syrien ermöglichen. Auch weil sie ihm selbst so geholfen hat, die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten.

Jad Turjman präsentiert sein Buch in Salzburg, Elixhausen und Eugendorf.

Eigentlich wollte Jad Turjman nach Schweden, aber er wurde im Zug in Österreich aufgegriffen. Heute ist er froh darüber, zwei Kulturen zu haben. In Salzburg, wo Jad jetzt wohnt und arbeitet, hat er wieder Jasmin angepflanzt.

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