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Filmstill aus "CIAO CIAO" von  Jiayin Chen, CN 2016

Jiayin Chen

Das Animationsfilmfestival Tricky Women/Tricky Realities schaut nach China

Das Tricky Women/Tricky Realities Festival in Wien zeigt Animationsfilmkunst von Frauen. Ein Puppenspiel-Recap von „Orange is the New Black“ ist dabei genauso darunter wie cineastische Kurztrips in ein China, das man so hierzulande noch nicht auf der Leinwand gesehen hat.

Von Maria Motter

Maschinenmenschen haben Überwachungskameras statt Köpfen und sie treffen auf einen Höhlenmenschen. Der Mann mit dem runden Gesicht und den wuscheligen Haaren betrachtet seinen Schatten an einer Felswand, dann krabbelt und klettert er aus dem Untergrund Richtung Tageslicht. In „Politea“ hat der griechische Philosoph Platon in der Antike seine Ideenlehre anhand des Höhlengleichnisses illustriert. In Lei Yangs „The Laughing Carneval“, einem jener Kurzfilme, die am Tricky Women/Tricky Realities Festival präsentiert werden, stemmt er einen Kanaldeckel hoch und wird bald von einem Heer stramm Marschierender verschluckt. Die fünfminütige tolle Filmarbeit ist ein Beispiel dafür, was in den kommenden Tagen beim Festival für weibliches Animationsfilmschaffen alles zu erleben sein wird.

Tricky Women/Tricky Realities

13. bis 17.3.2019, Wien, Gartenbaukino und Metro Kinokulturhaus: Screenings, Workshops und Talks zu Animationsfilmkunst von Frauen

Denn das Tricky Women hat ab diesem Jahr einen längeren Namen und wird diesem gerecht: Bei Tricky Women/Tricky Realities steht neben dem hohen künstlerischen Anspruch auch der politische, feministische Aspekt im Zentrum.

Erstmals gibt es mit „Up and Coming“ einen eigenen Wettbewerb für Nachwuchstalente. Im klassischen Wettbewerb laufen Filme aus Europa, Asien und den USA, verteilt sind die eingereichten Arbeiten auf ganze vier Blöcke. Das „Österreich Panorama“ versammelt junges, heimisches Animationsfilmschaffen.

Filmstill aus "The Man Woman Case" von Anaїs Caura, FR 2017

Anaїs Caura

„The Man Woman Case“

Ein Highlight ist Freitagabend die Österreich-Premiere des 45-minütigen „The Man Woman Case“. Darin rollt Anaїs Caura einen spektakulären Mordfall in Sydney im Jahr 1920 auf: Ein gewisser Eugene Falleni wird wegen Mordes an seiner Frau Annie gesucht. Eugene/Eugenia Falleni war eine der ersten dokumentierten Transgender-Personen des frühen 20. Jahrhunderts. Zuvor ist „Orange is the New Black“ in neuem Gewand eines Puppenspiels zu sehen.

Besonders aufregend wird der Länderschwerpunkt: Gibt es überhaupt einen künstlerischen, unabhängigen Animationsfilm in China? Also abseits der Riesenmaschinerie Animationsfilmindustrie? Ausgehend von dieser Frage beleuchtet das Festival Lebensrealitäten in China.

Trickreiches aus dem Reich der Mitte

Auch wenn 60 Prozent aller Trickfilme weltweit in Japan hergestellt werden, die chinesische Animationsfilmindustrie hat in den letzten Jahren zugelegt und produziert aktuell ca. 8 Prozent aller Filme. Einerseits lassen in anderen Ländern angesiedelte Firmen dort co-produzieren, andererseits gibt es den Markt für eine Milliarde Menschen - ca. zwanzig Prozent der Menschen auf der Welt leben in China. Und es gibt den künstlerischen, unabhängigen Animationsfilm.

Filmstill aus "Chasing" von  Chao Wu, CN 2011

Chao Wu

„Chasing“, Chao Wu, CN 2011

Für das Special konnte das Festival Tricky Women/Tricky Realities auf seine langjährigen Kontakte zu chinesischen Kuratorinnen setzen. Ein historisches Programm und drei weitere mit aktuellen Arbeiten ermöglichen kurzweilige Trips in die jüngere Vergangenheit und in die Gegenwart Chinas. Von den Pionierinnen des Trickfilms zu heutigen Kunstschaffenden spannt Tricky Women/Tricky Realities einen Bogen. In den neuen Filmen wie „Day, The Chef“ werden aus Menschen Enten, die am Silbertablett serviert werden, die wiederum in die Silhouette einer Skyline einer Megacity einfließen. Es sind kritische Analysen, die vom Druck einer Hochleistungsgesellschaft in einem hochgerüsteten Überwachungsstaat berichten.

In scharfem Kontrast dazu stehen melancholisch und niedlich anmutende Kindheitsgeschichten, in denen allerdings auch die harte Realität nicht ausgeklammert wird: Ein alleinerziehender Vater tischt in „My Milk Cup Cow“ Märchen auf, ein anderes kleines Mädchen entkommt in Ren Jinjings „Black Room“ dem Gefängis, das häusliche Gewalt für Betroffene ist.

Tuschezeichnungen als Charakteristik

Welche Frauenbilder in den letzten Jahren projiziert wurden, hat die Festivalorganisatorinnen Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber beschäftigt. In vielen historischen chinesischen Filmen verabschieden Frauen ihre Männer, kurz bevor diese in den Kampf oder Krieg ziehen. „Das sind nicht unbedingt die Arbeiten, die uns interessiert haben“, erklärt Waltraud Grausruber. „Die Filme, die wir zeigen, sind in der klassischen Ink-and-wash-Technik angefertigt, die etwas speziell Chinesisches ist. Mit Tusche und wunderschön gemalt. Diese Technik wurde Ende der 1940er Jahre entwickelt.“

Filmstill aus "Birds Dream" von Mi Chai, CN 2014

Mi Chai

„Birds Dream“, Mi Chai, CN 2014

„Little Sisters of Grassland“ von Cheng Tang und Yunda Quian stammt aus 1964, die 20-minütige Bambi-und-Mädchen-Geschichte „Deer Bell“ von Cheng Tang und Qiang Wu ist 1982 gefertigt worden. Zu sehen sein wird auch ein Ausschnitt aus „Emperor’s Dream“ (1948) von Boer Chen. „Es war gar nicht klar, dass dieser Film noch ganz verfügbar ist. Wir zeigen ihn, weil wir Chen Boer Tribut zollen wollen: Sie hat das Shanghai Animation Studio maßgeblich mitgeprägt. In den 40er und 50er-Jahren war das Studio in China, wo all die klassischen Animationen entstanden“, sagt Waltraud Grausgruber. „Es war dort auch so, dass die Frauen nicht so bekannt sind, weil die Filme unter der Regie der Männer liefen, obwohl sie Zusammenarbeiten waren“.

Eine eigenwillige, süß-bittere Geschichte spielt sich in „The Tall Woman And Her Short Husband“ von Yihong Hu ab: Es geht um ein Paar, eine Frau und einen Mann, die körperlich ungleich groß sind. Die Umwelt versucht, diesen frappanten Unterschied auszugleichen. Kleider werden genäht, Perücken sollen den Mann optisch größer erscheinen lassen. Unter dem Druck der Außenwelt zerbricht das Paar schließlich. „The Tall Woman And Her Short Husband“ entstand im Jahr 1989, als in Berlin die Mauer fiel.

Anlässlich des Mauerfalls vor bald dreißig Jahren werden in einem weiteren Special „Filme aus einem verschwundenen Land – Regisseurinnen des DEFA – Trickfilm Studios Dresden“ betrachtet. Darunter sind Werke von Sieglinde Hamacher, die Bühnenmalerin war und Regisseurin von Animationsfilmen wurde.

Wie schön diese Seh-Erfahrungen sind und wie sie je nach Kulturkreis anders gelesen werden können, offenbart sich mitunter, wenn man die Filmbeschreibungen verspätet liest: Lei Yangs „The Laughing Carneval“ erzähle „in Form einer Reportage über einen Niemand, der am Rande der Gesellschaft lebt, jemand, der sich in den gesellschaftlichen Mainstream integrieren musste und von der Mehrheit assimiliert wurde“. Ein Niemand ist er also, der Mann, der den Figuren aus Platons Höhlengleichnis gleicht.

Filmstill aus "Augenblicke" von Kiana Naghshineh, DE 2018

Kiana Naghshineh

„Augenblicke“, Kiana Naghshineh, DE 2018

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