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Facebook-Logo neben Cambridge-Analytica-Schild

APA/AFP/Daniel LEAL-OLIVAS

Wo unterscheiden sich legitime Wahlkampagnen und Manipulation?

„To the god’s of sillicon Valley: You are on the wrong side of history“. Die britische Journalistin Carole Cadwalladr, die den Skandal um Cambridge Analytica aufgedeckt hat, rechnet mit den Social Media Giganten ab. Auch im EU-Wahlkampf wird wieder über Social Media diskutiert.

Von Paul Pant

TED Talks neigen dazu, bemerkenswert zu sein, Aufklärung für die Aufgeklärten des Informationszeitalters. Der Vortrag der britischen Journalistin Carole Cadwalladr ist aber mehr. Es ist eine Anklage mitten in der wandernden „Akropolis“ von Silicon Valley. Ende April hatte sie in Vancouver aufgeschlagen. Cadwalladr nutzte die TED-Konferenz als Bühne für eine Abrechnung mit den „Göttern“ unserer Zeit. Facebook, der US-Milliardär Robert Mercer und Cambridge Analytica wollten Cadwalladr für ihre Recherchen verklagen. Sie hat den Whistleblower Christopher Wylie ausfindig gemacht und den Datenskandal trotzdem publiziert.

Durch Zufall zur Aufdeckerin

Die 49-jährige Reporterin hat sich die mächtigen Gegner nicht freiwillig ausgesucht. Durch Zufall ist sie zur Recherche über Wahlkampfmanipulationen, Fake News und den Facebook-Datenskandal gekommen. Nach ihrer journalistischen Ausbildung beim „Daily Telegraph“ hat sie sich als freie Autorin großen Geschichten und Reportagen gewidmet. Im Jahr 2006 erschien ihr Roman „Wie man die Liebe erklärt“. Nach der Brexit-Abstimmung im Jahr 2016 bekam sie von der britischen Zeitung Observer den Auftrag, eine Reportage in „Ebbw Vale“ in Süd-Wales zu machen. Die Kleinstadt hatte beim Brexit-Referendum eine der höchsten Zustimmungsraten für den Austieg in Großbritannien. Da Cadwalladrs Wurzeln in Süd-Wales liegen, war sie die Richtige für den Job.

Ground Zero des Brexit

In ihrer Erinnerung war Ebbw Vale eine Arbeiterstadt. Aus der Kohle-Industriestadt wurde mittels EU-Geld eine moderne Kleinstadt, kaum MigrantInnen, so das Ergebnis des Lokalaugenscheins von Cadwalladr. Und dennoch lehnten die Leute die Europäische Union ab, fürchteten sich vor dem Islam und erzählten davon, dass sie nicht wollten, dass die Türkei der EU beitrete. Es waren offensichtliche „Zuspitzungen“ und Fake News, die während der Brexit-Kampagne die Social-Media-Timelines überfluteten. Die Frage, die über all dem stand: „Woher bekommen die Menschen diese Informationen“.

These vom „Versuchskaninchen“

Cadwalladr folgte den Spuren und deckte einen der brisantesten Skandale des jungen 21. Jahrhunderts auf. Bis heute sind viele Fragen offen. Carole Cadwalladr brisante These: Der Brexit war nur der Testlauf für etwas viel Größeres: den wichtigsten Job der Welt, den Sessel des US-Präsidenten. Getestet wurde mit Schwarzer PR, Fake News und Propaganda. Das Urteil von Cadwalladr: Es hat funktioniert und sie sind damit davongekommen. Vorläufig.

Wer oder was war Camebridge Analytica?

Cambridge Analytica war ein privates Datenanalyse-Unternehmen, das von der SCL Group im Jahr 2014 gegründet wurde. Berühmt wurde die Firma durch den Facebook-Datenskandal und mutmaßliche Wahlmanipulationen. Die Firma zeichnete sich nach eigenen Angaben für die erfolgreichen Social-Media-Wahlkampagnen von US-Senator Ted Cruz und Donald Trump, als auch die Brexit-Kampagne „Leave.EU“ verantwortlich. Der republikanische US-Hedgefonds-Milliardär Robert Mercer investiert Millionen in Cambridge Analytica. Als Vizepräsident war Rechtsaußen-Chefideologe Stephen Bannon mit an Bord.

Der „Dr. No“ des Brexit

Die Geschichte beginnt mit dem Neurowissenschaftler Dr. Aleksandr Kogan im Jahr 2014. Einem jungen aufstrebenden Lektor an der Cambridge Universität. Er entwickelt auf der Uni zu Studienzwecken eine App, die Daten von Facebook-Usern sammelte. Die Geschäftsbedingungen von Facebook ließen das damals zu. Diese Daten, von 87 Millionen Usern, bekommt Cambridge Analytica in die Hände, eine britische Datenanalyse-Firma mit Hauptsitz in New York. Das geschieht offenbar in Verletzung der Nutzungsrechte von Facebook. Dr. Kogan, auch Dr. Spectra (der Familienname seiner Frau) gibt später in einem Interview mit CNN an, dass er keine Ahnung davon gehabt habe, dass Camebridge Analytica die Daten für politische Wahlwerbung nutzen wollte.

Überzeugendes Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell von Camebridge Analytica ist „Überzeugung“. Der „Marketing Claim“ klingt wie aus dem Repertoire von Propaganda-Apologeten, die die Büchse der Pandora gefunden haben. Die Analysten behaupten, mittels Social-Media-Daten und weiterer persönlicher Informationen habe man die komplexen Daten der User in individuelle, psychologische Profile übersetzen können. Mit extrem gezielter Werbung (Microtargeting), könne man so die Wahlentscheidungen beeinflussen. Den wissenschaftlich, reproduzierbaren Beweis blieben sie freilich schuldig. Cambridge Analytica leugnete nach Auffliegen des Skandals auch den Missbrauch der Facebook-Daten. Sie hätten zwar einen Blick darauf geworfen, aber es als nicht nützlich befunden.

Propagandamaschine Social Media

Im Kern geht es aber ohnehin um viel mehr als missbräuchliche verwendete Daten. Es geht um den Einsatz von Social-Media als Propagandamaschine, die auf unsere Ängste, auf Ressentiments und dem Hassschüren abzielt. In der Realität könnte man das Geschäftsmodell von Cambridge-Analytica somit eher als „Überzeugung mit Nachdruck“ beschreiben, wie der ehemalige CEO Alexander Nix in einem Undercover-Interview des britischen Senders Channel4 offenbarte. Falschinformation, bewusste Fake-News Produktion, Bestechung und Erpressung sind die Zutaten aus der Giftküche der „Schwarzen PR“. Das Ziel: potentielle WählerInnen der anderen Parteien davon abzuhalten, überhaupt zur Wahl zu gehen, Unentschiedene zur Stimmabgabe für den eigenen Kandidaten oder die eigene Kandidatin zu überzeugen und das eigene WahlerInnenpotential zu emotionalisieren, radikalisieren und aufzuheizen. Im Trump-Wahlkampf hat dies funktioniert, sagte Nix, und dass Campbridge Analytica dafür verantwortlich war:

“We did all the research, all the data, all the analytics, all the targeting, we ran all the digital campaign, the television campaign, and our data informed all the strategy.” Quelle: Channel4

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