Willkommen im Märchenland: Das Cannes Film Festival ist eröffnet
Von Gini Brenner, aus Cannes
Eine junge Frau in einem riesigen Kleid, mit schwindelerregend highen High Heels, klettert mit allergrößter Mühe die Treppen zum Palais de Cinéma hoch. Ständig droht sie, zu stolpern und runterzupurzeln. Nur unterstützt von drei Security-Mitarbeitern schafft sie es dann doch bis ganz nach oben.
Eine der schrägsten und meistfotografierten Szenen der diesjährigen Eröffnungsgala des Filmfestivals von Cannes – und für viele eine Metapher für den Zustand der weltweit wichtigsten Convention der FilmemacherInnen, -LiebhaberInnen und -Profiteure. Noch dazu, wo der offizielle Cannes-Trailer, der vor jedem Film läuft, ja auch genau die rot beteppichten Treppen in den Kino-Olymp zeigt. Schafft man’s hier nun vor lauter Glamour-Ballast gar nicht mehr ohne Hilfe in die lichten Höhen der Kinokunst? So à la Shakespeare mit seinen „Guilded Butterflies“? (Extra Nerdpunkte für alle, die das auf Anhieb verstehen. Sonst: Googeln, ist echt ein superes Zitat.)
LOIC VENANCE / AFP
Netflix, don’t chill
Gini Brenner
Jury-Präsident Alejandro Gonzalez Innáritu sieht es jedenfalls nicht ganz so. „You can’t just see cinema, you have to watch it“, erzählt er uns. „It’s an experience. And it’s a communal experience.“ Festivals wie Cannes, meint er, sind die letzten Bastionen des „echten“ Kinos – das man sonst immer weniger zu sehen bekommt, weil es immer weniger Kinos gibt, die Filme abseits des Blockbuster-Lineups zeigen. „Genau hier hat Netflix sein Erfolgskonzept gefunden“, so Innáritu. „Denn es gibt Nachfrage nach Qualitätsfilmen. Und je weniger man diese im Kino sieht, desto mehr werden sie auf Streaming-Plattformen gesucht.“ Also, Devise: Retten wir das Kino! Schauen wir mal, was Cannes dieses Jahr alles so hergibt. Ist eh einiges.
Iggy Pop, Coffee Zombie
Die erste Steilvorlage war schon mal Jim Jarmuschs Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“. Bill Murray, Adam Driver und Chloe Sevigny spielen hier ein Cop-Trio in einer über-idyllischen US-Kleinstadt, die von einer Zombie-Plage heimgesucht wird. Mit dabei: Iggy Pop als Zombie, Tom Waits als Einsiedler, Selena Gomez als Nicht-ganz-Scream-Queen, und Tilda Swinton als Samurai-Schottin. Die meisten Kritiker hier sind nicht happy mit dem Film, sie finden ihn „arrogant and silly“ – vielleicht stimmt das ja sogar. Aber: Es ist endlich wieder mal ein Jarmusch-Film, der nicht fad ist, keine Sekunde lang nämlich. Und Bill Murray. Und Iggy als Zombie. Und: Schlachtruf „Chardonnay!“
Focus Features
Was kommt sonst?
Alain Delon soll die Goldene Palme fürs Lebenswerk bekommen. Kinotechnisch gesehen wohl verdient, aber der gute Mann ist in letzter Zeit für seine, äh, kontroversiellen politischen Äußerungen ziemlich unter Beschuss geraten. Aber keine Sorge, das Festival ist nach wie vor eine Bastion der „White Old Men“. „Was wollt ihr denn, wir geben ihm ja eh nicht den Friedensnobelpreis!“, kommentierte Festivalpräsident Thierry Fremaux demnach ego-linientreu.
Sony Pictures Entertainment
Chris Harris
Des weiteren wird natürlich auf den neuen Tarantino gewartet, „Once Upon A Time … in Hollywood“, mit Brad Pitt und Leo DiCaprio – wir werden natürlich berichten. Dann freuen wir uns auf Jessica Hausner, mit dem Fantasy-Drama „Little Joe“ erstmals im Wettbewerb. Und auf „Atlantics“ der Senegalesin Mati Diop, die allererste Afrikanische Regisseurin im Wettbewerb, everever. Und ja, „Rocketman“ von „Bohemian Rhapsody“-Regisseur Dexter Fletcher werd ich mir sicher auch anschauen.
CHRISTOPHE SIMON / AFP
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Publiziert am 15.05.2019