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FM4 Homebase Spezial: 50 years of Queer Pop Icons

Die Einflüsse queerer Künstler*innen auf die Gesellschaft und der umfangreiche musikalischen Output queerer Musik: WIr hören uns durch fünf prägende Dekaden von den 1970ern bis zu den 2010ern.

Vor 50 Jahren formierte sich mit den Stonewall-Riots, also den Aufständen nach einer Polizeirazzia im Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street, eine erste große, gemeinsame Bewegung von Lesben, Schwulen und Transgender, die, außerdem angetrieben vom gleichzeitigen Tod ihrer Ikone Judy Garland, in die jährlichen Paraden der LGBTIQ-Community mündete.

50 Jahre queerer Pop

Seit damals hat sich viel getan in der queeren Popkultur. Von Lou Reeds „Walk on the Wild Side“ über das Leben der New Yorker Dragqueen Candy Darling über Bronski Beats „Small Town Boy“ über einen Jungen, der frisch geoutet aus seinem ländlichen Elternhaus flüchtet, die Riot Grrrls, die in den 90er-Jahren die patriarchalen Musik-Strukturen aufgemischt haben, die rockigen 00-er Jahre mit Peaches bis Gossip und den fluiden Gender-Switches eines Antony bis hin zum neuen Selbstverständnis queerer Rapper*innen in den 2010ern.

Wir beleuchten die Einflüsse queerer Künstlerinnen und Künstler auf die Gesellschaft und versuchen dem umfangreichen musikalischen Output, das queere Musik mittlerweile zu bieten hat, gerecht zu werden.

Die queeren 70er

Von Martin Pieper

Mit dem 28. Juni 1969, dem Beginn der Stonewall Riots in New York haben die popkulturell queeren 70er-Jahre begonnen. Mit dem Beginn der amerikanischen LGBTIQ-Bewegung kam auch Bewegung in die heteronormative Rockwelt. Mit den zwei Polen San Francisco und New York wurden auch zwei schwul-lesbische Sehnsuchtsorte definiert. Das New York von Andy Warhol, Lou Reed, den New York Dolls und anderen Gender-Bendern auf der einen Seite und das psychedelisch freiere, langhaarige, lesbisch-feministische-freakige San Francisco auf der anderen Seite waren „where it’s at“.

Popstars gehen in den 1970ern offen mit ihrer Sexualität um. David Bowie, ein Bewunderer beider Welten, als dünner androgyner Spaceboy, bekannte sich in einem Interview zu seiner Bisexualität. Sogar Mick Jagger trug Nagellack und Lippenstift, vielleicht auch um seine Virilität über Umwege noch mehr zu performen. Glamrock wurde Pflicht und so zogen sich selbst stock-heterosexuelle Jungs-Bands widerwillig silberne Plateauschuhe und paillettenbesetzte Blusen an.

Für viele Lesben hieß Popmusik vor allem Folk in all seinen Spielarten. Ein Label wie Olivia Records, von einem Frauenkollektiv geleitet, verkaufte über eine Million Schallplatten, ein Netzwerk aus gerade gegründeten Frauenbuchläden half beim Vertrieb. Frauen in der Musikbrance kämpften in den 70er Jahren generell um ihr Standing. Feminismus war das Überbegriff, unter dem viel Queeres und Lesbisches subsumiert werden konnte.

Und dann war da noch Disco. Vor allem für schwarze schwule Männer waren Clubs wie The Gallery, The Loft oder die Paradise Garage ein „Shelter“, ein sicherer Ort, an dem sie ausleben konnten, was in der rassistischen, homophoben Mehrheitsgesellschaft nicht geduldet wurde. Doppelt ausgegrenzt waren die Underground-Diskotheken in den USA der Ort, an dem aus Soul, R’n’B und europäischer Elektronik eine neue himmlische Musik der Befreiung entstehen konnte. Love is the Message.

Playlist - Die queeren 70er

Lou Reed Take A Walk on the Wild Side
David Bowie Changes
Wayne County & the Electric Chairs Toilet Love
Jobriath Morning Star Ship
Meg Christian Ode to a Gym Teacher
MFSOP Love is the Message
Sylvester You Make Me Feel Mighty Real
Loose Joints Is It all over my Face
Tom Robbins Band Glad to be Gay
Throbbing Gristle Hot on the Heels of Love

Die queeren 80er

Von Martin Pieper

In London war der Blitz Club der Hangout für Exzentriker, Postpunks und Fashion Victims, ein „Blitz Kid“ namens Boy George sollte nur kurz darauf mit seiner Band Culture Club via Pop oft he Pops und dem MTV die Jugendzimmer der ganzen Welt mit seiner Version von Gender-Bending überzeugen. Getrieben von einer gnadenlosen Style- und Musikpresse wurden die neuen britischen Popbands immer exzentrischer. Das bevorzugte Format war das Synthie-Duo: Von Soft Cell, Erasure, Pet Shop Boys oder Eurythmics bis zu Dead Or Alive oder den Associates.

Der britische Club-Pop der 1980er Jahre war das Schlaraffenland für Flamboyance und Mehrdeutigkeit. Das sprichwörtliche Closet war zwar bunter, aber immer noch vorhanden, vor allem im Mainstream Pop. Bestes Beispiel: Frankie Goes To Hollywood, die sich für ihren Hit „Relax“ recht schamlos bei Hi-NRG, dem damals vorherrschenden Sound der schwulen Clubs bedienten.

In New York verabschiedete sich Disco als Mainstream und kehrte wieder zurück in den schwarzen schwulen Undergound. Disco gab es wieder ohne John Travolta und Bee Gees, dafür als Tempel für die Marginalisierten, die Tänzer und die Believer. In Chicago machten DJs wie Ron Hardy oder Frankie Knuckles daraus Mitte der 1980er Jahre eine Musik namens House.

Nicht wenige der allergrößten Punk- und Indiepop-Helden in diesem Jahrzehnt waren schwul und/oder queer, die wenigstens haben darüber gesprochen, erst in den auskunftsfreudigeren 90er und Nullerjahren bekamen die Texte von manchen dieser jungen verzweifelten Männer die Bedeutung die sie vielleicht immer schon hatten.

Morrissey, Bob Mould von Hüsker Dü und Michael Stipe von REM waren alle drei auf ihre jeweils eigene Art „Queers in the closet.“ Thematisiert wurde das in den Indie-Medien der 1980er Jahren kaum. Weitaus offener waren da eine Handvoll Frauen, die in den 80er Jahren, oft vom Punk kommend, Country und Folk-Musik neu gequeert haben. Prominenteste Beispiele: K.D. Lang, Melissa Etheridge, Michelle Shocked oder die lesbisch jüdische Punkfolksängerin Phranc. Auch hier noch Pionierinnen, deren Saat erst Anfang der 90er Jahre via Riot Grrrls aufgehen sollte.

Die queeren 80er

Culture Club Time
Bronski Beat Smalltown Boy
Divine Shoot Your Shot
Frankie Knuckles Your Love
K.D. Lang Constant Craving
Michelle Shocked Ancourage
Grace Jones Pull Up To The Bumper
Marc Almond Mother Fist
The Smiths Hand in Glove
Hüsker Dü Hardly Getting Over It

Die queeren 90er

Von Stefan Elsbacher

Musikalisch sind die 90er vielleicht das unqueerste Jahrzehnt überhaupt, wenn man es mit den 80ern und den 2000ern vergleicht, vielleicht hat sich da aber auch nur alles ins Fernsehen verlagert.
Nach den männlich dominierten 80ern war es jedenfalls höchste Zeit, dass die Mastermen am Mikro von Masterwomen abgelöst werden. Bikini Kill, Sleater Kinney, L7, Babes in Toyland oder auch Skin von Skunk Anansi, haben den Sound der 90er mit feministischer queerness aufgewertet. Das Rrriot Girls Movement war jedenfalls immer auch queer gedacht. Die Allies wie Kurt Cobain zogen sich Kleidchen für’s Fotoshooting an.

Hip Hop wird zum globalen Phänomen, offen lesbische oder schwule RapperInnen bleiben allerdings die Ausnahme. Auch Britpop bleibt über weite Strecken ein recht männlich-heterosexuelles Kapitel. Die Lad-Kultur wird gefeiert. Zum Glück gibt es aber auch noch Suede und vor allem Placebo. Deren androgyner Sänger Brian Molko und Bassist Stefan Olsdal dürfen sogar David Bowie, der seinen Gender-Fuck mit den Medien schon viel früher getrieben hat, auf Tour begleiten, Freddy Mercury stirbt 1991 an AIDS, der Wiener Life Ball wird ins Leben gerufen und welche Trends schlachtet eigentlich Madonna diesmal aus? Strike a Pose! Sie wird offiziell zur schwulen Ikone.

Von den Riot Grrrls bis zu den men in dresses, Promi-Outings und die wissenschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit HIV und AIDS, zu berichten gibt es über die 90er genug. Und das ist gut so. Ach so, der Satz war ja dann erst 2001.

Die queeren 90er

George Micheal Let’s go outside
Bikini Kill Suck my left one
L7 Pretend we are dead
Skunk Anansi Hedonism
Placebo Nancy Boy
Freddy Mercury Living on my own
Lassie Singers Liebe wird oft überbewertet

Die queeren 00er

Von Christian Pausch

Von Peaches bis Wainwright. Von den Hidden Cameras bis Le Tigre. Die 00er Jahre bringen endlich den selbstbewussten, queeren popmusikalischen Mix, der sich in den 30 Jahren davor gemächlich angeschlichen hat.

Lesbischer Elektro, schwuler Indiepop, queerer Hip Hop, die Genregrenzen werden endgültig Makulatur. Queere Musik vermittelt sich vor allem über Haltung, weniger über Stil. Transpersonen bekommen eine Stimme abseits von sensationsgierigen TV Reportagen. Vieles ist möglich, das Wort „Queer“ verlässt endgültig das akademische Ghetto und kommt in den allgemeinen Sprachgebrauch. So ganz sicher ist sich allerdings fast niemand, was damit eigentlich genau gemeint ist. Pride-Paraden überall, zumindest in der sogenannten westlichen Welt. Es wird Kritik laut an der Kommerzialisierung der LGBTIQ-Community. Aber hey, dafür darf auch geheiratet werden.

Playlist - Die queeren 00er

Peaches Lovertits
The Hidden Cameras Ban Marriage
Coco Rosie Lemonade
Rufus Wainwrigth Gay Messiah
Antony and The Johnsons For Today I Am A Boy
Le Tigre Deceptacon
Bloc Party Banquet
Ezra Furman Take Off Your Sunglasses
Hercules And Love Affair Blind
Scissor Sisters Comfortably Numb
Owen Pallett This is the Dream of Win and Regine

Die queeren 10er

Von Michaela Pichler

„Lets Talk about Gender“ singt die non-binäre, genderqueere Kunstpersona Planningtorock 2013, und meint damit die ganze Popwelt. Denn was in der Vergangenheit lange schon in Subkulturen und Underground-Szenen dahin gebrodelt hat, macht sich in den 2010ern endlich auch im Mainstream breit, auf großen Festivalbühnen oder in verkrusteten Musikgenres: Queerness erreicht die Massen.

Das fängt bei glattgebügelten Pop-Stars wie Rita Ora an, die sich in Songs wie „Girls“ als bisexuell outen. Ob Billige Marketingstrategie oder echte LGBTQIA-Beweggründe, über Genderidentitäten und sexuelle Orientierung spricht man mittlerweile auch in Mainstream-Welten.

Vielleicht wird da nur an der Oberfläche gekratzt, aber wo anders hört man es schon längst rumpeln: Im Genre HipHop zum Beispiel, das vor allem für männliche Hegemonie, misogyne Inhalte und allgemeinen Schwanz-Vergleich Fame geworden ist.

Ein toxisches Arbeitsumfeld, das in den vergangenen Jahren von unterschiedlichen Akteur*innen immer mehr aufgebrochen wird: Mit Frank Ocean beispielsweise, der sich 2012 via Tumblr in einem Statement als schwul outet und damit das HipHop-Milieu ins 21. Jahrhundert wachrüttelt. Oder Princess Nokia, die sich nicht nur als sexuell fluid und queer identifiziert, sondern auch als Tomboy, Misfit und sogenannte „bruja“- als Hexe, die dem Genre Queer Rap alle Ehre macht.

Playlist - Die queeren 10er

Planningtorock Let’s Talk About Gender Baby
Princess Nokia Tomboy
Hayley Kiyoko Girls Like Girls
Against Me! Transgender Dysphoria Blues
Mykki Blanco Wavvy
Frank Ocean Forrest Gump
Kelela LMK

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