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Low live im Wuk 2019

Niko Ostermann

(That’s how you sing) Amazing Grace

Anmut und Eleganz, Liebe, Schönheit und Schmerz: Die US-amerikanischen Slowcore-Legenden Low spielten in der Gluthitze des Wiener Wuk ein Konzert des Jahres.

Von Katharina Seidler

„Songs to test headphones with“, „Beautiful Indie Ambient“ und „Life sucks“, das sind drei große Spotify-Playlists, in denen Songs von Low zu finden sind. Die Titel der Listen spannen bei genauerer Betrachtung überraschend akkurat den Bogen zwischen der anmutigen Sorgfalt, der Schönheit und dem ihr innewohnenden Schmerz, die die Musik von Low seit 25 Jahren ausmachen. 25 Jahre Bandgeschichte heißen für das US-amerikanische Trio: Zwölf Studioalben und unendlich viele zusätzliche Releases, zahlreiche Touren, keine Trennungen, Streits oder Skandale, demnach auch keine Reunions, eine glückliche Ehe zwischen den zwei Banddritteln Alan Sparhawk und Mimi Parker. Low stehen auch in der Playlist „Glastonbury 2019“, denn die Sadcore-Legenden haben ihr 2018 veröffentlichtes, fantastisches Album „Double Negative“ im Gepäck und sind wieder auf Tour. Nach über zehn Jahren hat sie diese am Montagabend wieder nach Wien geführt.

Wuk-Konzerte im Hochsommer sind für Künstler*innen und Publikum immer auch eine körperliche Herausforderung. Der unklimatisierte große Saal, an diesem Abend natürlich ausverkauft, wird selbst nach dem kühlenden Nachmittagsgewitter bereits beim Support-Act zur Sauna. Als solcher erschafft Johannes Piller zu Beginn auf dem Boden gekauert unter seinem Alter Ego Kobermann ausgiebige EBM-Meditationen. Konzentrierten Slow-Motion-Electro und Reste von Post-Punk zieht er aus seinem Hardware-Maschinenpark und bekommt dafür später von Alan Sparhawk zu Recht Props zugesprochen. Kobermanns letztes Jahr via Goldgelb Records erschienenes Album „Katalysator“ kann man hier finden.

Kobermann live im Wuk 2019

Niko Ostermann

Kobermann

Always up

Wo es schon in der im wahrsten Sinne des Wortes Warm-Up-Phase für Wien-Verhältnisse halbwegs okay ruhig war im Saal, verstummen die hunderten Besucher*innen augenblicklich ganz, als Low dann die Bühne betreten. Alles wird gar andächtig. Mimi Parker streicht mit dem Beserl über das Becken ihres Schlagzeuges und hebt mit heller Stimme an zu singen: „I believe, I believe, I believe, can’t you see, can’t you see, can’t you see?“ Gitarre und Schlagzeug geben sich erst zögerlich, bis sie sich schwer und mächtig mit vollen Gewicht in die Saiten lehnen. Ein Akkord, dann ein nächster: „Always up, must be time...“


Leider ohne „(That’s how you sing) Amazing Grace“

Gleichzeitig mit Bands wie Smog, Bonnie „Prince“ Billie oder Songs:Ohia haben Low ab Mitte der neunziger Jahre auf Empfindsamkeit und Introvertiertheit gesetzt, auf Melancholie voll fragiler Schönheit, hinter der immer auch Brüche und Abgründe hörbar wurden. Ihre Walls of Sound brechen nie mit dem Holzhammer über den Saal herein, sie sind nicht so determiniert wie manch andere Drones, die Bands derselben Ära aus ihren Gitarren und Bässen kratzen, sondern sie gleichen eher schmerzhaften Ahnungen, einem langsam näherkommenden schwarzen Loch in einem Claire Denis-Film. Es ist, als bahnte sich durch diese wunderschönen Melodien ein kosmisches Rauschen seinen Weg auf die Welt: „One more dance before they take away the light...“ Die Tränen auf unseren Augenlidern sind Schweißtropfen. Oder ist es umgekehrt?

Low live im Wuk 2019

Niko Ostermann

Low live im Wuk 2019

Niko Ostermann

Do you know how to waltz?

Die aktuelle Live-Lichtshow der Tour, ein buntes Flackern und Blinken auf 3 LED-Stab-Wänden, passt in ihrer Schlichtheit nur allzu gut zu den minimalistischen Songs der Band. Drei sehr gute Ideen pro Stück, das ist mehr, als manche Bands in ein ganzes Album packen, und es ist mehr als genug für Low. Alles ist an seinem Platz. Man vergisst aber sogar aufs Schauen, wenn sich der Song „Do you know how to waltz?“ aus dem dritten Low-Album aus 1996, live gerne dargebracht in nahtloser Verknüpfung mit „Lazy“ aus dem 1994er-Albumdebüt „I could live in hope“, zur minutenlangen - 10? 30? - Instrumental-Noise-Orgie wandelt. Plötzlich sind alle ganz bei sich, Band und Publikum, Licht und Sound, und selbst das dauerschmusende Pärchen in der Mitte vergisst im Wurmloch das Lippenzusammenkleben. Draußen ist Alltag, aber hier drinnen sind wir. Hier sind die anderen.

Zwischen den Songs bedankt sich Alan Sparhawk höflich bei seinen Bandkolleg*innen, vergisst aber auch Licht, Ton, Merch-Beauftragten, Fahrer und Support-Act nicht. Nie spielen seine Frau und er die Ehepaar-Karte, selbst dann nicht, wenn Mimi Parker ihn bei einem Text-Schnitzer subtil wieder auf den richtigen Weg bringt. Die Wukhitze, die schon manch anderen Act an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus gebracht hat (never forget, Angel Olsen), kommentiert Sparhawk nur mit einem einzigen Satz, der in der Karriere dieses in jeder Hinsicht coolen und wahrhaftig guten Trios als Bandpoetik ebenso gelten kann wie als Dogma für das ganze Leben, am Land und zu Wasser: „Be kind! And if someone around you starts to fall, please catch them.“

Low live im Wuk 2019

Niko Ostermann

Vielen Dank an Niko Ostermann für die zauberhaften Bilder.

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