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„Apocalypse Now“: Ein Kinoklassiker ist zurück

40 Jahre nach der Premiere präsentiert Francis Ford Coppola sein eindringliches Vietnamkriegsepos im restaurierten Final Cut.

Von Christian Fuchs

I’ve seen the horror“: Das Grauen, von dem Marlon Brando in einem der berühmtesten Sätze der Filmgeschichte spricht, ist wieder zurück. 40 Jahre nach der Premiere von „Apocalypse Now“, Francis Ford Coppolas monumentalem Antikriegsklassiker, beginnt die endlose und schleichende Bootsfahrt ins Herz der Finsternis erneut, diesmal in einer „Final Cut“-Version.

Abermals fasziniert Martin Sheen als verstörter Captain Willard, der von der US-Regierung am Höhepunkt des Vietnam-Kriegs in den Dschungel geschickt wird, um dort den mysteriösen Colonel Kurtz (Brando) zu liquidieren. Einen Mann, der einst als hochdekoriertes Aushängeschild der Army galt und der sich zum übermenschlichen Dschungelfürsten stilisierte. Die Reise auf einem kleinen Patrouillenschiff, zusammen mit einer Handvoll junger, drogenbenebelter Soldaten, wird für Willard und den Zuschauer zu einer grotesken Konfrontation mit dem Fiasko Vietnam.

Dass der Film zum Mythos mutierte, verdankt sich auch den irrwitzigen Dramen rund um seine Produktion.

Finanzierungsprobleme, Alkoholexzesse am Set, ein Herzinfarkt von Martin Sheen und katastrophale Drehbedingungen trieben alle Beteiligten an den Rand des Wahnsinns. Letztlich erhielt der Film die Goldene Palme in Cannes, zwei Oscars, drei Golden Globe Awards sowie zahlreiche andere Preise. „Apocalypse Now“ gilt als künstlerischer Höhepunkt und Ausklang der New-Hollywood-Ära, bevor die Blockbuster übernommen haben, Anspielungen auf Coppolas Werk durchziehen die Popgeschichte, von den Simpsons bis zu Filmen wie „Watchmen“ und „The Beach“ oder Parodien wie „Tropic Thunder“.

This is the end, my only friend

Und jetzt das Wiedersehen im dunklen Kinosaal, mit atemberaubend verbesserter Bild- und Tonqualität. Donnern und Grollen. Slow-Motion-Hubschrauber, Palmen, die in einem Feuerball explodieren. The Doors auf dem Soundtrack und Überblendungen zu einsamen Alkoholritualen in einem klaustrophobischen Hotelzimmer: Schon die ersten hypnotischen Bilder stellen klar, dass „Apocalypse Now“ alles andere als eine nüchtern-wirklichkeitsgetreue Auseinandersetzung mit dem Krieg ist, sondern vielmehr ein in orange-rote Farben getauchter, psychedelischer Horror-Trip mit philosophischen Untertönen.

Martin Sheen als Captain Willard

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Nicht nur, dass diese überhöhte, bisweilen rauschhafte Form der Darstellung dem Film und seiner Thematik keineswegs schadet. „Apocalypse Now“ dringt, ganz im Gegenteil, in der Masse der Hollywood-Streifen, die das amerikanische Vietnam-Trauma bewältigen woll(t)en, am tiefsten und allgemeingültigsten in die Abgründe menschlicher Emotionen ein. Coppola wusste nämlich, was andere sogenannte „Antikriegs“-Regisseure in ihrer Vermessenheit nie kapierten: Dass man den schlimmsten aller menschlichen Extremzustände ohnehin nicht in realistische Bilder bannen kann.

Jeder für sich und alle gegen alle

Noch etwas hebt „Apocalypse Now“ von anderen Leinwandkriegen ab: Niemand in dem Film würde versuchen, Private Ryan zu retten. Es gibt keine Helden in Coppolas Albtraumwelt. Keine „edlen“ Ziele. Keinen Patriotismus, der in irgendeiner Form gerechtfertigt wäre. Keine „vernünftige“ Politik, die noch irgendwie Sinn macht. Keine Fahne, die am Ende im Winde weht.

Martin Sheen als Captain Willard

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Stattdessen regiert das völlige Chaos, findet die Umwertung aller Werte statt, versinkt jede Regung von Empathie in einem Pandämonium aus blut- und lehmverschmierten Gesichtern. Der Krieg wird in diesem Film zur Metapher für Ausnahmesituationen, die Facetten bloßlegen, die die Kultur ansonsten nur zu gerne verhüllt. Mitleid als zivilisatorischer Luxus. Egoismus als menschliche Grundeigenschaft. Jeder kämpft nur für sich allein und gegen alle.

Der Geruch von Napalm am Morgen

Statt „guten“ und „bösen“ Vorgesetzten kann man in „Apocalypse Now“ nur noch zwischen unterschiedlichen Kategorien des Bösen und des Wahnsinns unterscheiden. Da wirkt Marlon Brando als archaischer Colonel Kurtz, der in einer nebeligen Zone haust, wo Köpfe aufgespießt auf Speeren stecken, zwar wie ein Monster. Aber wie ein fühlendes, reflektierendes Monster. Ein Mensch, den der Krieg verrückt gemacht hat. Die schlimmeren Bösewichte, deuten die Szenen davor an, sind die technokratischen Drahtzieher im Hintergrund. Und ihre staatlich legitimierten emotionslosen Vollstrecker.

Zum Beispiel Ltd. Kilgore (Robert Duvall), der nach vernichtenden Napalmangriffen auf ein vietnamesisches Dorf seine GIs dort zum Surfen zwingt. Ein Cowboy in einem fremden Land, der „den Geruch von frischem Napalm am Morgen“ liebt, ein Symbol für eine eisige, logistische Mordmaschinerie, die jedes Opfer bloß als abstrakte Zahl sieht. „Apocalypse Now“ sagt: Die großen Massaker der Menschheit wurden und werden nicht im Zeichen des Irrationalismus, sondern im Namen einer pervertierten Vernunft begangen.

Ltd. Kilgore (Robert Duvall)

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Meisterwerk revisited

Als ob Francis Ford Coppola ein makabres Gefühl für Timing hätte, bringt er das Grauen ausgerechnet im verstörenden Herbst 2001 erstmals auf die Leinwände zurück, um 49 zusätzliche Minuten erweitert. Was für Fans des Originals viele Fragen aufwirft. Gab es nicht bereits einen großartigen „Director’s Cut“? Kann man ein Meisterwerk verbessern? Schwerlich.

„Apocalypse Now Redux“ ist nicht der bessere Film, sondern ein gänzlich anderer. Aus der grundsätzlichen philosophischen Meditation über die Bestie Mensch wurde vor allem ein Werk über Amerika. Über das Anziehende und das Ekelhafte des Popkultur-Kolonialismus, über Surfen und Sexploitation und das Unterwerfen und Abschlachten des „Anderen“. Eine besonders zynische, aber auch gelungene Szene, in der eine Truppe „Playboy-Bunnies“ einen Frontbesuch absolviert, hat Coppola nun aus dem brandneuen „Final Cut“ wieder entfernt. Dafür hat er die umstrittenste Sequenz der „Redux“-Fassung, einen langen Zwischenstopp der Soldaten in einer französischen Plantage, im Film gelassen.

Marlon Brando als Kurtz

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Francis Ford Coppola gesteht, dass er auf die Plantagenszene besonders stolz ist, wohl auch, weil sie dem unendlichen Horror einen Hauch Menschlichkeit, Liebe und eine gewisse Form der Kultiviertheit entgegensetzt. Allerdings verwandelt sich der Film dadurch auch im 183 Minuten langen „Final Cut“. Die paranoide, nachtschwarze, unerträglich nach Dreck, Männerschweiß und Angst stinkende Bootsfahrt wird von politischen Konversationen und einem Hauch Humor und Sex aufgelockert. Ob das notwendig ist, sollte jeder für sich selbst beantworten. Unbedingt sehenwert ist „Apocalypse Now“ auf jeden Fall, egal in welcher Fassung. This is the end, my only friend.

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