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Mette Ingvartsen bei ImPulsTanz

Charles Roussel

impulstanz

Mette Ingvartsen hält eine Lektion über Sexualität – aber nicht ohne kollektiven Orgasmus

Sexualität, Verlangen, Geschlechterrollen: Das sind die Themen, die die Tänzerin und Choreographin Mette Ingvartsen in ihrer Arbeit beschäftigen. Bis Montag, den 22. Juli, war sie beim Impulstanzfestival und hat für Gelächter, Scham, aber auch kollektive Orgasmen gesorgt.

Von Livia Praun

Mette Ingvartsen ist Zensur im Internet gewöhnt – die Bilder oder Videos ihrer Performance werden von Facebook stets heruntergenommen. Das musste auch das Impulstanzfestival erfahren: Ein Bild von einer Performance Ingvartsens, auf dem ein Haufen nackter Menschen zu sehen ist, kam in einem Trailer für das Festival vor. Die Facebook-Seite des Impulstanzfestivals war daraufhin für mehr als zwei Monate gesperrt.

Die „Red Pieces Series“ handelt von Sexualität und unserem Umgang damit. Ingvartsen erklärt im FM4-Interview überzeugt, dass Sexualität nichts Privates sei, sondern etwas Öffentliches, das für die Gesellschaft und auch Politik ausschlaggebend ist. Schon 11-jährige Buben schauen sich etwa Pornos an. Das bildet dann auch maßgeblich die Wahrnehmung vom menschlichen Körper und Sexualität, welche oftmals einseitig ausfällt. Dementsprechend sei eine vielfältige Darstellung von Sexualität wichtig, was in unserer Kultur nicht unbedingt der Fall ist. Darüber hinaus gilt: „Es gibt immer noch einen Überschuss von Pornographie von Männern für Männer“, erklärt Ingvartsen.

Mette Ingvartsen bei ImPulsTanz

Charles Roussel

Mette geht das Thema Sexualität definitiv auf eine außergewöhnliche Art und Weise an. Bei dem Gruppenstück „69 positions“ macht Mette eine Art Tour mit ihrem Publikum. Kommt man in den Raum, in dem die Performance stattfindet, denkt man, man ist in einer Art Ausstellung gelandet. An den Wänden hängen Bilder, E-Mail-Auszüge und Monitore, auf denen Kunstfilme abgespielt werden. Leise kann man auch Gestöhne, Geschrei und Musik vernehmen. Dann beginnt das Stück.

Was folgt, sind zwei turbulente Stunden: Anfänglich erzählt die Performerin von verschiedenen Stücken, die in den 1960ern, dem Anfang der sexuellen Revolution, entstanden sind, und performt diese daraufhin, reduziert auf sich und ihren Körper. Dann wiederum spielt sie Protestaktionen nach, wobei sie komplett nackt ist. Schließlich beginnt Ingvartsen, einfach zu tanzen, und lächelt alle einladend an. Manche folgen dieser Einladung. Der Abend ist voller solcher Momente: Man fühlt sich stets eingeladen, mit ihr mitzumachen. Sich vor 60 fremden Menschen auszuziehen ist in dieser Umgebung dann irgendwie doch nicht so abwegig, wie man vielleicht denkt.

Mette Ingvartsen bei ImPulsTanz

Charles Roussel

Es überrascht einen dann auch nicht, als sie wenig später in die Runde fragt: „Would anyone be interested in a multiple collective orgasm?“ Tatsächlich stehen dann wenig später jeweils zwei Männer und Frauen mit iPods in der Hand vor der Gruppe. Sie hören eine Aufnahme einer stöhnenden Frau und sollen ihre Geräusche imitieren. Was folgt, ist ein dreieinhalb-minütiger Orgasmuschor. „Ich würde es auf jeden Fall wieder machen“, schwärmt eine der Teilnehmer*innen.

Am Schluss hinterfragt Ingvartsen die Sexualisierung von Objekten. Im Interview erklärt sie, dass unser Verlangen stets ausgenutzt wird, um Objekte besser zu verkaufen. Jetzt karikiert sie die Devise „Sex Sells“: Sie leckt eine Lampe ab, küsst ein Buch, tanzt voller Begierde mit einem Stuhl.

Hier fällt besonders der fließende Übergang zwischen ihren Rollen als Lektorin und Performerin auf. Der Genrebruch irritiert aber nie, durch ihre nahbare und sympathische Art funktioniert alles gut. Und genau dieser Genrebruch bewirkt, dass die eigenen Grenzen aufgelockert werden und man sich dem Input öffnet. Ingvartsen verpackt mit ganz viel Charme radikal andere Sichtweisen auf Sexualität und den menschlichen Körper, sodass man danach gerne die eigene auch überdenkt.

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