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Giulia Becker: Twitterkönigin und Romandebütantin

Auf Twitter unterhält Giulia Becker 56.000 Follower täglich mit witzigen und pointierten Tweets. Jetzt hat die Autorin vom Neo Magazin Royale einen Roman veröffentlicht.

Von Daniel Grabner

2016 ist Giulia Becker berühmt geworden. Als erster Autorin des Neo Magazin Royale überantwortete ihr Jan Böhmermann damals die Produktion eines eigenen Musikvideos. Das Ergebnis: „Verdammte Scheide“. Eine Ballade ganz im Stil von Adele, in der Becker davon singt, dass man im Job, privat und ganz allgemein im Leben nicht weiterkomme, wenn man eine Scheide hat.

Es sollte nicht der einzige Song der damals 25jährigen bleiben, aber der bisher erfolgreichste: Über eine Million Klicks hat das Video auf Youtube mittlerweile, Giulia Becker wurde von verschiedenen Medien als feministische Ikone bezeichnet und gilt seitdem als ziemlich angesagte Satirikerin, ähnlich wie Hazel Brugger oder Stefanie Sargnagel. Mittlerweile hat Becker mit „Dicke Titten – Das Gleichberechtigungsmagazin“ sogar ihre eigene Rubrik. Auf ihrem sehr unterhaltsamen Twitterkanal folgen ihr 56.000 Menschen, halb so viele wie Brugger, und mehr als doppelt so viele wie Sargnagel. Den Account hatte Becker irgendwann im Zuge eines Seminars auf der Uni angelegt. Monate vergingen, in denen sie nur mitlas, ehe sie selbst begann, Tweets zu verfassen. Unter dem Pseudonym Schwester Ewald twittert sie witzige, pointierte Alltags- und Medienbeobachtungen, oft auch selbstironisch und mit feministischen Spin. Als sich Becker Jahre später bei der Bildundtonfabrik, der Produktionsfirma des Neo Magazin Royale, bewarb, war Jan Böhmermann bereits unter ihren Followern. Falls ihr noch nicht auf Twitter seid, lohnt es sich alleine für Beckers Kanal, einen Account anzulegen. Da findet man dann auch Perlen wie diesen Thread.

Kürzlich hat Giulia Becker nun, ähnlich wie schon Stefanie Sargnagel, ein Buch veröffentlicht. Sargnagels „Statusmeldungen“ sind eine Sammlung ihrer Facebook-Postings, bei Giulia Becker ist es ein Roman mit dem Titel „Das Leben ist eins der härtesten“.

Giulia Becker Buch

Rowohlt

Vom Leben ramponiert

Die Handlung ist schnell erzählt. Die 97jährige Frau Goebel wird bald sterben und hat den Wunsch, einmal in ihrem Leben Aras zu sehen. Da die Reise in die Karibik zu beschwerlich ist, unternimmt die fürsorgliche Silke mit ihr einen Trip zum riesigen Wasservergnügungspark „Tropical Islands“ - auch dort gibt es Aras. Mit dabei sind der schüchterne Taubenpfleger Willy-Martin und die taktlose, derbe Renate. Ganz nebenbei muss Silke noch zigtausende Euros für ihren Bekannten, den krebskranken Obdachlosen Zippo, auftreiben, um ihm eine medizinische Behandlung zu ermöglichen, denn er ist nicht krankenversichert.

Es ist überraschend, dass keiner von Beckers Protagonist*innen unter 40 ist. Silke, Renate und Willy-Martin sind vom Leben etwas mitgenommene Kleinverdiener*innen, die in der überschaubaren Kleinstadt Borken wohnen. Gemeinsam bilden sie eine Art Leidensgenossenschaft. Willy-Martin flüchtet vor einer Internetbekanntschaft, die ungefragt bei ihm eingezogen ist und nicht mehr gehen will, und Renate hat sich nach dem Tod ihres geliebten Hundes „Mandarine Schatzi“ mit unzähligen Teleshopping-Impulskäufen betäubt.

Silke, die eigentliche Hauptfigur in Beckers Roman, arbeitet bei der Bahnhofsmission; dort stottert sie Sozialstunden ab, die ihr das Gericht auferlegt hat, nachdem sie am Weg zu ihrem Ehemann wegen einer Panikattacke die Notbremse eines fahrenden Zugs gezogen hatte, eine Art irrationaler Befreiungsakt, der ihr zwar die Scheidung, aber auch ein Leben am Existenzminimum eingebracht hat. Silkes Exmann taucht nun immer wieder ungefragt an Silkes Arbeitsplatz auf und belästigt sie.

Quatsch Comedy Club

Gerade diese Backstory von Beckers Hauptfigur ist gehaltvoll und hätte etwas mehr Platz in der Geschichte verdient; doch was Becker vor allem mit ihrem Roman will, ist unterhalten. Ihr Humor arbeitet mit stark überzeichneten Figuren und Situationskomik. Die ungehobelte Renate, die man mit einer „Cindy aus Marzahn“ vergleichen könnte, lässt Becker auf die Neurosen des verklemmten Taubenpflegers Willy-Martin treffen. Immer wenn er nervös ist, muss Willy-Martin niesen und sich wegdrehen. Das führt in der Geschichte immer wieder zu Slapstick-Szenen.

„Als Willy-Martin den LKW vorfährt, liegt Renate nackt auf der Rückbank hinter den Sitzen. Auf ihren Augen eine schwarze Satinschlafmaske, in den Ohren gelbe Stöpsel, eine ovale Brustwarze lugt aus der maigrünen Wolldecke. Willy-Martin kann sich kaum noch halten, so sehr muss er niesen, sein Kopf schwillt an, die Ader an seinem Hals pocht. Seine Hände verkrampfen, bei jedem Niesen drückt er versehentlich die Hupe am Lenkrad, der riesige Taubentransporter macht dadurch einen ohrenbetäubenden Lärm.“ (Seite 127)

Die gut 200 Seiten des Romans hat man in zwei Nachmittagen durch. Es ist leichte Lektüre und das nicht unbedingt im besten Sinne. Durch den starken Fokus auf die situative Komik hängt der Humor irgendwie in der Luft und changiert in seinen schwächsten Momenten zwischen Villacher Fasching und Quatsch Comedy Club. An den guten Stellen überrascht Becker mit Absurdität an der Grenze zur Wahrscheinlichkeit, also mit einer gelungen Gratwanderung: man kann die Szene gerade noch ernst nehmen und muss vor allem deswegen lachen.

“Renate Gabor geht es schlecht. Vergangenen Freitag ist ihr Malteser-Mischling Mandarine Schatzi kopfüber in einer Punica-Flasche stecken geblieben und erstickt.“ (S9)

Immer da, wo Giulia Becker wirklich etwas erzählt, also die erwähnte Backstory ihrer Hauptfigur Silke zum Beispiel, oder auch die implizite Liebesgeschichte zwischen Willy-Martin und Silke, werden die Handlung und ihre Figuren greifbar. Doch über weite Strecken besteht der Roman aus einer Aneinanderreihung von mit Absurdität überladenen Szenen, die Gewitztheit und oft gesellschaftspolitische Pointen vermissen lassen - also das, wofür man Giulia Becker auf Twitter oder in ihren Beiträgen im TV kennt und liebt. Dazu kommt, dass die Figur der Renate problematisch angelegt ist. Sie ist der laute Clown der Geschichte. Alle ihre überzeichneten Eigenschaften sind dazu da, um darüber zu lachen. Die ruppige Renate ist aber auch eine (sexuell) selbstbestimmte, selbstbewusste Frau, die nichts auf gesellschaftliche Angepasstheit gibt, und obwohl sie „wohlbeleibt“ ist, ein positives Körperbild hat. Ausgerechnet über sie zu lachen, richtet sich gegen die Ideale, für die Becker selbst eintritt, nämlich Feminismus und Body Positivity.

Giulia Becker

Joseph Strauch

Die Marke „Giulia Becker“

Zu Gast im „Podcast UFO“ erzählte Becker unlängst, wie sie die Geschichte ihres Romans entwickelt hat, und auch, warum sie sich überhaupt gleich an die literarische Königsdisziplin, den Roman, gewagt hat. Nachdem der Verlag auf ihre Tweets aufmerksam geworden ist, trat man an sie heran. Becker begann dann Kurzgeschichten zu schreiben, die der Verlag ablehnte; stattdessen wurde ihr vorgeschlagen, doch gleich einen Roman zu schreiben. Das, was dabei herauskam, ist auch das Ergebnis einer etwas fehlgeleiteten Publikations- und Vermarktungsstrategie, die ihren Fokus nicht auf den Text, sondern auf die Person „hinter“ dem Roman legt. Doch nicht jede intelligente, witzige und angesagte Person des öffentlichen Lebens ist auch gleichzeitig eine begnadete Romanautorin – leider, muss man im Fall von Giulia Becker ergänzen. Aber eigentlich muss sie das ja auch nicht sein.

Man kann „Das Leben ist eins der härtesten“ lesen, wenn man mal was Leichtes für den Strand braucht, oder etwas, um den Kopf frei zu kriegen. Für Menschen, die‘s gern ein bisschen smarter haben, empfehlen sich die Tweets von Giulia Becker: davon gibt es knapp 5000 und sie sind allesamt lesenswert.

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